Die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels vom 10. Mai 2023 stellen nicht allein eine deutliche Diskursverschiebung nach rechts dar. Die mit den Beschlüssen einhergehende Festschreibung von rechtlichen und administrativen Ungleichbehandlungen – hier europäischer versus nichteuropäischer Schutzsuchender aus Drittstaaten – schafft Strukturen, wie man sie sonst eher aus Apartheid Systemen kennt.
Unverhohlen ist die Strategie der Beschlüsse insbesondere gegen Schutzsuchende aus nichteuropäischen Drittstaaten ausgerichtet und stellt hier u.a. auf
- Einreiseverweigerung,
- Grenz- und Zentrallagerinternierung,
- Schnellverfahren,
- soziale Schlechterstellung,
- Kollaboration mit Herkunftsregimen und
- systematische Abschiebung ab.
Und die Landesregierung Schleswig-Holstein ist widerspruchslos mit dabei.
Worauf haben sich Bund, Länder und Kommunen am 10. Mai geeinigt?
Erstmals erklären Bund und Länder in einem gemeinsamen Papier ihre Bereitschaft zur Etablierung eines verpflichtenden Grenzasylverfahrens an den EU-Außengrenzen. Wenn auch das eingeschränkt nur „für bestimmte Personengruppen“ und natürlich „rechtsstaatlich“ passieren soll, ist der Beschluss doch ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer Externalisierung des Asylverfahrens.
Der britische und auch schon in Dänemark geplante Schritt der exterritorialen Verschiebung des Asylsystems und die Deportation der Asylsuchenden nach Ruanda ist dann nur noch ein kleiner. Am Ende dieses Prozesses wird man Flüchtenden den Zugang zu einem Asylverfahren in Europa – wie aktuell in den USA umgesetzt – ganz verweigern mit dem Hinweis, sie hätten in zweifelhaften Drittstaaten schon Schutz gefunden oder finden können.
Schon die aktuelle Praxis mit Puschbacks u.a. in Griechenland, Kroatien, Polen oder Litauen, der Aufbau libyscher „Seenot-Leitstellen“ durch die EU zum Zweck des Rücktransports von Geflüchteten in libysche Folterlager oder die geplante regelmäßige Internierung von Geflüchteten in Abschiebungslagern an allen europäischen Grenzen verdeutlichen, wie bigott Europa – und seit vorvorgestern auch die hier jetzt Einigkeit demonstrierenden Bund, Länder und Kommunen – mit Menschenrechtsfragen hantieren, wenn es um Schutzsuchende aus Drittstaaten des globalen Südens geht.
Die Aufnahme großer Zahlen von geflüchteten Menschen stellt, da besteht kein Zweifel, eine Herausforderung auch für die deutsche Gesellschaft dar. Dass und wie eine Interpretation der Zahlen jedoch rassistisch überformt wird und mit dem Ziel einer gezielten Stimmungsmache passiert, hat der Verein „Berlin Hilft“ gut herausgearbeitet. Demnach ist offenkundig nicht die Zahl der Geflüchteten, sondern ihre Herkunft entscheidend für die Frage, ob Geflüchtete im öffentlichen Drama als „Problem“ definiert werden – oder nicht.
Der Forderung der Integrationsministerkonferenz vom 27.04.2023, alle Geflüchteten gleich zu behandeln, wollen Bund und Länder – und hier gilt das Primat einer gegenüber nichteuropäischen Schutzsuchenden restriktiven Ordnungspolitik der Innenminister*innen – gerade nicht entsprechen.
Für die von Ländern und Kommunen geforderte stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten der Flüchtlingsaufnahme hätte es eine einfache Lösung gegeben: Die einmal mehr zum 1. Mai von einem bundesweiten Bündnis geforderte Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Mit einem solchen Schritt hätte sich auch die von allen Seiten geforderte, schnellere Teilhabe von Geflüchteten herbeiführen lassen: Die Betroffenen wären wieder ins SGB II – jetzt Bürgergeld – eingegliedert worden, und nicht die landesfinanzierten Sozialämter, sondern die bundesfinanzierten Jobcenter wären zuständig.
Alle Geflüchtete würden nicht nur gleichwertige Leistungen erhalten, sondern auch von Beginn an (und nicht erst nach 18 Monaten) eine systematische Beratung und Vermittlung in den deutschen Arbeitsmarkt und Chancen auf nachhaltige Integration erhalten. Die Menschen hätten eine Krankenversicherung, die ihren Namen verdient, und der Bund trüge, wie bei allen anderen Leistungsberechtigten im SGB II, die ganz überwiegenden Gesundheitskosten.
Natürlich müssten parallel die Arbeitsverbote gestrichen werden, damit auch eine ausländerrechtliche Erwerbsfähigkeit gegeben wäre – indes wird immer fraglicher, ob das diesbezügliche Versprechen im Ampel-Koalitionsvertrag auch gehalten werden wird.
Die Forderung nach Gleichbehandlung aller Schutzsuchenden wird von der Zivilgesellschaft nicht erst erhoben, seit die EU und Deutschland mit der Anwendung der Massenzustromrichtlinie seit März 2022 bewiesen haben, dass eine diskriminierungsfreie Rechtslage und Verwaltungspraxis selbst unter Bedingungen starker Geflüchtetenzuwanderung – hier der Ukrainer*innen – bestens funktioniert.
Statt dass aber Länder und Kommunen – nicht zuletzt mit Blick auf die damit auch für sie einhergehenden erheblichen Entlastungen – sich also für eine Liberalisierung der für nichteuropäische Asylsuchende bis dato geltenden restriktiven Rechts- und Verordnungslagen stark machen, beteiligen sie sich seit dem Berliner Gipfel unisono widerspruchslos an einer Politik, bei der künftig selbst anerkannte Geflüchtete eingeschränkte Sozialleistungen und Sachleistungen in Gemeinschaftsunter erhalten sollen, weil eine „Ungleichbehandlung“ vermieden werden müsse.
Zu welchen Schäbigkeiten wollen sich Bund, Länder und Kommunen bei der für November geplanten nächsten MPK zum Thema noch verabreden? Wir werden sehen.
Zunächst fordern Bund und Länder nun schärfere Sanktionen und noch mehr Ausgrenzung, angefangen bei Grenzkontrollen und Schleierfahndung über die Deklaration von weiteren „Sicheren Herkunftsstaaten“ (hier zunächst ausgerechnet von Frontstaaten des Ukraine-Krieges Georgien und Moldawien) bis – Beschäftigungs- und demographischer Notstand hin oder her – zur Erleichterung, zahlenmäßiger Erhöhung und Beschleunigung von Abschiebungen.
Doch das eigentliche Problem im Bereich des sog. „Rückführungsmanagements“ stellen rechtsstaatliche Mängel der Arbeit der dafür zuständigen Stellen dar: Die regelmäßigen Jahresberichte des Flughafenforums Hamburg geben dazu beredt Auskunft. Fachanwaltliche Statistiken belegen, dass rund 50% aller Abschiebungshaftbeschlüsse sich bei Überprüfung durch die Gerichte am Ende als rechtswidrig erweisen.
Statt endlich für rechtsstaatliche Verfahren zu sorgen, wollen Bund und Länder aber mit einem ganzen Strauß von menschen- und rechtsstaatlich äußerst bedenklichen Maßnahmen den Abschiebungsvollzug ausweiten:
- Neue Haftgründe,
- Erweiterung der Höchstdauer des Ausreisegewahrsams,
- Legitimierung von Hausfriedensbruch bei Geflüchteten,
- fortgesetztes Auslesen von Mobiltelefonen,
- Abschiebung in Einzelfällen trotz geltenden Abschiebungsstopps
- usw.
Zu erwarten ist in der Folge eine über das schon jetzt bekannte Maß hinaus sich verstärkende Brutalisierung des Abschiebungsvollzugs und eine Ausweitung von Rechtsverstößen durch die Vollzugsbehörden.
Die solidarische Zivilgesellschaft ist also erheblich herausgefordert. Auf dem Weg verbesserter Kooperation von Akteur*innen, die sich landesweit gegen die Abschiebung von Geflüchteten in Schleswig-Holstein engagieren, steht eine robuste Vernetzung.
Aber der Weg wird lang!
Martin Link
Kiel, 13.5.2023
Quellen: u.a. Bundeskanzleramt, PRO ASYL, FR Niedersachsen, GGUA Münster, FRSH, Magazin Der Schlepper, Diakonie HH, Berlin Hilft, DW