"Allerdings auch in der Gesellschaft europaweit wird es kälter...."
Am 75. Internationalen Menschenrechtstag kritisiert der diesjährige Leuchtturm-Preisträger SOS Humanity die von Regierungen ausgehende zunehmende Delegitimierung von Flucht und humanitärer Geflüchtetenhilfe.
Der diesjährig 75. Jahrestag der Erklärung der Internationalen Menschenrechte am 10. Dezember ist seitens der politischen Klasse und in den Medien kaum zur Kenntnis genommen, geschweige denn angemessen gewürdigt worden. Immerhin hat aber Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat dem Tag ein angemessenes Gedenken gewidmet, das sich zu lesen lohnt.
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein hatte inzwischen zum 19. Mal und einmal mehr am Weltmenschenrechtstag, allerdings diesmal im Rahmen einer Online-Veranstaltung, seinen Preis für Engagement in der Geflüchtetenhilfe und Antirassismusarbeit, den Leuchtturm des Nordens, verliehen. Der mit 500 € dotierte Preis ging in diesem Jahr an die zivile Seenotrettungsorganisation SOS Humanity e.V.
"Flucht ist kein Verbrechen!", betonte Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat, in seiner Begrüßung: "Mit der Auswahl der diesjährigen Preisträger*in des Leuchtturms des Nordens wollen wir auch ein Zeichen setzen gegen die aktuelle flüchtlingsfeindliche Kakophonie in Teilen von Gesellschaft und Politik. Wir protestieren damit gegen eine Rechtspolitik, in der schutzsuchende Menschen allenfalls als Belastung wahrgenommen, als ungerechtfertigt und irregulär Eingewanderte diskreditiert, mit Sachleistungen diskriminiert statt integriert, schließlich inhaftiert und möglichst umgehend wieder abgeschoben werden. Und wir erklären damit auch unsere Opposition gegen politische Pläne, das territoriale Grundrecht auf Asyl in exkontinentale Drittstaaten zu verklappen."
Die zum Rettungsschiff umgebaute Humanity I der Organisation SOS Humanity war früher ein Forschungsschiff von Geomar und hat nach wie vor seinen Heimathafen in Kiel. Die bisherigen Versuche von SOS Humanity und Flüchtlingsrat, die Landeshauptstadt Kiel für die Übernahme einer Schiffspatenschaft für die Humanity I zu gewinnen, waren leider bisher erfolglos.
Die Preisverleihung fand in Zeiten statt, die zunehmend von pauschalen Infragestellungen sowohl der Fluchtgründe Schutzsuchender als auch der humanitären Geflüchtetenhilfe gekennzeichnet sind.
Auf dem Mittelmeer kreuzende zivile Rettungsschiffe werden rechtlich und behördlich unter Druck gesetzt. „Doch auch jetzt im Winter, wenn es auf See kalt, windig und rauer wird, sind wir für Menschenleben und Menschenrechte weiter im Einsatz. Allerdings auch in der Gesellschaft europaweit wird es kälter. Unsere Hilfe für Menschen in höchster Not wird zunehmend diffamiert, behindert, kriminalisiert. Unser Rettungsschiff wurde am 2. Dezember aufgrund erlogener Vorwürfe italienischer Behörden festgesetzt. Echte Gründe konnten sie nicht finden", beklagte Till Rummenhohl, Geschäftsführer bei SOS Humanity, in der Dankesrede zur Preisverleihung (Audio-Datei) am 10. Dezember 2023.
In Polen, Griechenland und anderen Frontstaaten der EU werden aufgegriffene geflüchtete Männer, Frauen und Kinder in Lagern interniert, werden ihnen Asylzugänge vorenthalten und ihr Versuch, in Europa Schutz zu finden, mit drastischen Strafen geahndet. Diese besonders in Griechenland inzwischen systematische Kriminalisierung Geflüchteter hat Carla Isa Adriaans von der Organisation borderline europe e.V. in ihrem anlässlich der Preisverleihung gehaltenen Vortrag "Raum des Rechts oder rechtsfreier Raum?" kritisiert: "Die erschreckend mangelhaften Verfahren spiegeln sich auch in der Länge der beobachteten Prozesse wieder: Im Schnitt dauerte ein Prozess 37 Minuten. Bei der Verteidigung durch eine*n Pflichtverteidiger*in im Schnitt 17 Minuten. Der kürzeste beobachtete Prozess dauerte lediglich 6 Minuten. Dies steht im harschen Kontrast zu den verhängten Strafen. Die Prozesse endeten in einer durchschnittlichen Strafe von 46 Jahren Haft und 332.209 Euro Geldstrafe."
Die Annahme aber, dass diese Politik der Kriminalisierung von Flucht und Geflüchtetenhilfe lediglich auf hoher See und an Europas Rändern rechtsfreien Raum greift, geht nach Meinung von Till Rummenhohl fehl: "Gleichzeitig ist eine Gesetzesänderung vom Bundesinnenministerium in Planung, die unsere und die humanitäre Hilfe anderer Organisationen strafbar machen soll. Dazu wird z.B. Seenotretter*innen unterstellt, mit ihrem Einsatz Menschen in den Schengenraum einzuschleusen. Aber die Rettung von Menschen in Seenot bleibt seerechtliche und humanitäre Pflicht! SOS Humanity ist gerade jetzt besonders dankbar, dass allen Anfeindungen zum Trotz unsere Arbeit für den Erhalt der Menschenrechte und Menschlichkeit auf See ausgezeichnet wird.“
Die Laudatio auf die Preisträger hat der Vorjahres-Preisträger Prof. em. Konrad Groß vom lifeline-Vormundschaftsverein für unbegleitete minderjährige Geflüchtete gehalten. Konrad Groß ist überzeugt, dass in dieser Situation der Flüchtlingsrat des Landes Schleswig-Holstein keine bessere Wahl für die Verleihung des Leuchtturms des Nordens hätte treffen können, als die Organisation SOS Humanity, die schon länger ein starkes zivilgesellschaftliches Zeichen gesetzt hat und noch immer setzt: "Der Name des Rettungsschiffs Humanity 1 ist sozusagen Programm. Humanity bedeutet zweierlei: Menschheit und Menschlichkeit. Mitmenschlichkeit ist ein Dienst an der Menschheit, und SOS Humanity ist ein weithin sichtbarer Leuchtturm, der zeigt, dass es auch anders geht als die Augen vor den vielen Tragödien im zentralen Mittelmeer zu verschließen. Es sind ganz besondere Frauen und Männer, die mit ihrem Schiff schon viele Flüchtende vor dem Ertrinken auf einer der gefährlichsten Fluchtrouten der Welt vor den Küsten Libyens und Tunesiens gerettet haben."
Der Flüchtlingsrat dankt den Auszubildenden der Seemannsschule Travemünde, die die Skulptur des Leuchtturms geschaffen und für die Preisverleihung gespendet haben, und dem FÖRDErverein FRSH e.V. für die 500 Euro, mit denen der Preis dotiert werden konnte.