Strukturelle rassistisch motivierte Diskriminierung[1] vollziehen sich in ihrer rechtspolitischen Dimension als Asylfeindlichkeit – z.B. im Zuge rechtlicher Ungleichbehandlung[2] gegenüber ukrainischen Kriegsflüchtlingen, in Form von Arbeitspflicht[3] oder in Folge sozialer Ausgrenzung und Nichtzugehörigkeits-Markierung mittels Bezahlkarte[4] – in der rassistischen Dimension u.a. als anti-schwarzer Rassismus, als Islamfeindlichkeit, als Antiziganismus, als Antisemitismus und als anti-asiatischer Rassismus auf dem Wege individueller rassistischer Praktiken, als institutionelle Praxen und Routinen sowie auf Grundlage struktureller Bedingungen sowohl in öffentlichen Einrichtungen, im Bildungs- und Gesundheitswesen als auch in anderen gesellschaftlichen Institutionen. Strukturelle rassistische Diskriminierung reflektiert dabei jeweils das Niveau rassistischer Überzeugungen in der Mehrheitsgesellschaft.[5] Das wird gestützt durch eine nach wie vor insbesondere weiße Personaldominanz in Behörden und gesellschaftlichen Institutionen.[6]
Der Flüchtlingsrat engagiert sich in der solidarischen Geflüchtetenhilfe, in der Antirassismusarbeit und ist Träger von Angeboten zur gesellschaftlichen und insbesondere arbeitsweltlichen Integrationsförderung für Eingewanderte mit und ohne Fluchtmigrationshintergrund.
Immer wieder sind wir in unserer Arbeit mit Tatbeständen rechtlicher, sozialer und z.T. exekutiv oder im sozialen oder arbeitsweltlichen Alltag verbal oder handgreiflich vollzogenen Ausgrenzungen von Eingewanderten, zumal Geflüchteten, oder vermeintlich Nichtdeutschen konfrontiert. Zahlreiche tatsächlich oder vermeintlich Eingewanderte leiden darüber hinaus unter Mehrfachdiskriminierungen z.B. als Frauen, als Queere oder als Menschen mit Behinderung. Zunehmend sind auch solcherart Diskriminierungen festzustellen, die sich gegen autochthone Unterstützende in der Geflüchtetenhilfe richten, oder solche, die sich für die Verbesserung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in der Einwanderungsgesellschaft engagieren.
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Initiative der Fraktion des SSW für ein Landesantidiskriminierungsgesetz sehr. Allerdings erscheint uns der GE noch nicht für die hierzulande herrschenden strukturellen föderalen Bedingungen optimal ausgerichtet.
Im Folgenden widmen wir uns dem Gesetzentwurf grundsätzlich und im Detail.
Zu § 1
Wir begrüßen die umfassende und grundsätzliche Formulierung in §1 zum Ziel des Gesetzentwurfs.
Zu § 2
§2 reduziert das Diskriminierungsverbot auf öffentlich rechtliches Handeln. Das ist, mit Blick auf die Diskriminierungswirklichkeit im Bundesland eine höchst bedauerliche Relativierung der möglichen Wirkung des angestrebten Gesetzes, weil es Diskriminierungen, die nicht von öffentlich rechtliche Handeln ausgehen, als nicht abhilfebedürftige Tatbestände ausgrenzt.
Diesbezüglich und darüber hinaus wäre hier u.E. dringend zu ergänzen, dass nicht nur der Diskriminierungsgrund des sozialen, sondern auch des rechtlichen Status einem Diskriminierungsverbot unterzogen wird. Eingewanderte erleiden regelmäßig Diskriminierungstatbestände, die aus der geltenden Rechts- und Verordnungslage und ihrem diesbezüglichen asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Status hergeleitet werden.[7]
Zu § 3
Die in § 3 Abs. 1 erfolgte Reduzierung des Geltungsbereichs des Gesetzes auf Landesverwaltungen oder landesunmittelbare öffentlich-rechtliche Körperschaften und andere Institutionen des Landes offenbart u.a. die im GE angelegte Problematik, eine Rechtslage aus einem zentralistisch strukturierten Bundesland – Berlin? – auf die Situation in Schleswig-Holstein zu übertragen.
Das in §2 benannte öffentlich-rechtliche Handeln findet in unserem Bundesland eben nicht allein in legislativer und exekutiver Landesverantwortlichkeit statt, sondern auch durch
- ein im Rahmen der in der Landesverfassung festgeschriebenen Unabhängigkeit der kommunalen Landesverbände vollzogenes kommunales Verwaltungshandeln und
- im Zuge von bundesbehördlicher Verwaltungspraxis statt.
- Darüber hinaus vollzieht sich öffentlich-rechtliches Handeln auch durch die durch Land und Kommunen im Zuge des Subsidiaritätsprinzips auf nichtbehördliche Fachdienste übertragenes Handeln.
Der aktuelle GE wird dieser schleswig-holsteinischen Struktur von öffentlich-rechtlichem Handeln nicht gerecht und stellt Opfer von diskriminierendem Verwaltungshandeln im Bundesland, das nicht von Landesbehörden und Institutionen des Landes, sondern von kommunalen und Bundesbehörden oder von subsidiär tätigen zivilgesellschaftlichen Fachdiensten, z.B. der freien Wohlfahrtspflege oder der freien Jugendhilfe, ausgeht, außerhalb des Schutzes des künftigen Landesantidiskriminierungsgesetzes.
Ebenso schützt das geplante Gesetz in § 3 Abs. 2 zwar vor Diskriminierungen in Betrieben mit Mehr- oder Minderheitsbeteiligung des Landes, aber das Gesetz nimmt diesbezüglich nicht Betriebe ins Fadenkreuz, die im Zuge öffentlicher Auftragsvergabe für Landes- oder Kommunalverwaltungen oder andere öffentliche Hand tätig werden. Wenn der GE nicht auch solche Betriebe in den Wirkungsbereich des Gesetzes mit aufnimmt, wird es bei den in den vergangenen Jahren hinlänglich und immer wieder bekannt gewordenen Diskriminierungen, z.B. gegenüber Beschäftigten solcher Betriebe oder von privaten Sicherheitsdiensten oder Betreibern von Unterkünften gegenüber Geflüchteten, auch künftig trotz Landesantidiskriminierungsgesetz bleiben.
Zu § 4
Der Flüchtlingsrat begrüßt die unzweideutige Formulierung „eine Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person wegen eines oder mehrerer der in § 2 genannten Gründe eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt“. Wir bedauern indes die Halbherzigkeit, die sich in diesem Zusammenhang offenbart, wenn im GE die Relativierung qua Rechtfertigung nach § 5 auf dem Fuße folgt.
Mit diesem Junktim werden je nach Herkunft diskriminierende Rechts- und Verordnungslagen, wie sie z.B. aktuell in der gleichzeitig rechtlich extensiven Behandlung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen und der rechtlich restriktiven Praxis gegenüber Kriegsflüchtlingen aus dem globalen Süden vorherrschen, oder die seit Dekaden fortgeschriebene verfassungswidrige Diskriminierung von Leistungsempfängern nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und aktuelle Verschärfungen bei seiner Exekutierung achselzuckend akzeptiert.
Hier wäre u.E. mindestens im GE zu fixieren, dass die Landesregierung sich verpflichtet, mittels geeigneter Gesetzesinitiativen gegenüber dem Bund für eine Novellierung sämtlicher dem Ziel des Landesantidiskriminierungsgesetzes widersprechender und im Bundesland diskriminierungswirksamen Bundesrechtslagen einzutreten.
In diesem Zusammenhang ist auch beachtlich, dass in § 4 Abs. 2 im Ergebnis sämtliche bestehenden in Rechts- und Verordnungslagen festgeschriebenen Diskriminierungstatbestände pauschal als nicht unter den Schutz des Landesantidiskriminierungsesetzes fallend und damit im Ergebnis für nichtig erklärt. Sollte dieser Ausschluss Bestand behalten, besteht u.E. die Gefahr, dass das geplante Landesantidiskriminierungsgesetz schon zur Makulatur verkommt, bevor es in Kraft tritt.
Zu § 5
Der Flüchtlingsrat schlägt vor, den § 5 „Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen…“ und die diesbezüglichen Bezüge in § 4 ersatzlos zu streichen.
Ergänzend zu dem o.g. grundsätzlichen Vorbehalten, mahnen wir zu § 5 Abs. 1 an, dass die Rechtfertigung einer Diskriminierung „auf Grund eines hinreichenden sachlichen Grundes“ in seiner Unbestimmtheit der Verwaltungswillkür Tür und Tor öffnet.
Die in § 5 Abs. 2 vorgeschlagenen Kompensationen von Ungleichbehandlungen durch positive Diskriminierungen lehnen wir als eine absurde Form rechtlich hergeleiteten Ablasshandels ab.
Zu § 8
Dass die Verjährungsfrist von Schadensersatzansprüchen auf ein Jahr befristet sein soll, richtet sich im Zweifel gegen die Schadensersatzansprüche von Personen, deren Ausreise amtlich durchgesetzt worden ist und die nicht innerhalb dieser Frist eine Widereinreise zur Geltendmachung ihrer Schadenersatzansprüche aufgrund von erfahrenen Diskriminierungen im Zuge öffentlich-rechtlichen Verwaltungshandelns möglich sein wird. Hier sollte der GE eine Frist festschreiben, die ggf. die Länge von Wiedereinreisesperren im Sinne der potenziellen Diskriminierungsopfer berücksichtigt.
Den Ausschluss in § 8 Abs. 4 halten wir für problematisch, weil er im gerichtlichen Verfahren zunehmend vorkommende politisch motivierte Diskriminierungstatbestände – siehe z.B. das Treiben von zwei AfD-nahen Verwaltungsrichtern in Gera (https://ezra.de/forderungspapier-zur-justiz-in-thu%CC%88ringen/) – außer Acht lässt.
Zu § 12
Bezugnehmend auf unsere diesbezüglichen Anmerkungen zu § 3 stellen wir fest, dass die in § 12 Abs. 1 erfolgte Reduzierung auf die Schleswig-Holsteinische Verwaltung nicht zielführend ist.
In Abs. 2 ist u.E. die Berichtsfrist auf zwei Jahre zu verkürzen, damit in jeder Legislaturperiode Chance auf zweimalige Berichterstattung besteht und ggf. erfolgte Empfehlungen für die weitere Umsetzung auch innerhalb einer Legislaturperiode in ihrer Beachtung und Wirkung nachvollzogen werden können.
Zu § 13
Die Etablierung einer wirksamen Antidiskriminierungskultur im Bundesland wird sich nur dann nachhaltig gestalten, wenn die Tatbestandsanalyse, die Entwicklung von den Zielen des Gesetzes zuträglichen Maßnahmen und das Controlling in einem eng vernetzten Dialog zwischen den zuständigen öffentlichen Stellen und den relevanten Akteur*innen der Zivilgesellschaft stattfinden.
Vor diesem Hintergrund schlagen wir in der Auflistung im § 13 vor, unter 3. (neu) aufzunehmen: „einen regelmäßigen Runden Tisch zweimal jährlich mit relevanten Akteur*innen der Zivilgesellschaft durchführt“. Die folgenden Punkte verändern sich zu 4. (neu) bis 7. (neu).
[1] Rassismusmonitor 2023: https://www.rassismusmonitor.de/fileadmin/user_upload/NaDiRa/Rassismus_Symptome/Rassismus_und_seine_Symptome.pdf
[2] Ungleichbehandlung: https://www.frsh.de/artikel/foederale-front-gegen-nichteuropaeische-gefluechtete
[3] Arbeitspflicht für Asylsuchende: https://www.frsh.de/artikel/recht-auf-arbeit-gewaehrleisten-anstatt-populistische-arbeitspflicht-debatten-fuehren
[4] Bezahlkarte: https://www.frsh.de/artikel/fluechtlingsrat-fordert-eine-konsequent-diskriminierungsfreie-umsetzung-der-bezahlkarte-in-schleswig-holstein
[5] Nationaler Diskriminierungs- und Rassismusmonitor 2022: https://www.rassismusmonitor.de/publikationen/studie-rassistische-realitaeten/
[6] Vgl. „Rassismus, Rassismuskritik und Resilienz“, Auma/Kinder/Piesche, 2024
[7] IAQ Report 2022: https://migrant-integration.ec.europa.eu/system/files/2022-02/IAQ-Report_2022_02.pdf
Download: Gesetzentwurf und weitere Stellungnahmen anderer Organisationen