Das Bundesinnenministerium (BMI) ist drauf und dran, die humanitäre Seenotrettung im Mittelmeer zu kriminalisieren. 52 Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen und die Universitäten Lüneburg und Hamburg fordern die Bundesregierung und den Bundestag dazu auf, rechtspolitisch abzurüsten.
Das schon bei Bekanntwerden wegen seiner extrem restriktiven Ausrichtung gegen hierzulande erfolglos Schutz suchende Menschen stark kritisierte, euphemistisch „Rückführungsverbesserungsgesetz“ genannte Gesetzesvorhaben des BMI, soll jetzt auch gegen die Szene internationaler Hilfsorganisationen in Stellung gebracht werden.
Diese Zielrichtung ergibt sich aus einer Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf, den das BMI am 1. November online gestellt hat.
Ein Gutachten der Universitäten von Lüneburg und Hamburg und ein von den Autor*innen der o.g. Stellungnahme bestelltes Kurzgutachten stellen fest, dass auf Grundlage der geplanten Änderungen in § 96 Aufenthaltsgesetz die bisher von verschiedenen Hilfsorganisationen auf hoher See geleistete Lebensrettung Geflüchteter – im Amtsdeutsch „Beihilfe zur unerlaubten Einreise“ genannt – unter Strafe gestellt werden kann, wenn sie "wiederholt oder zugunsten mehrerer Ausländer“ erfolgt. Darauf, dass solches insbesondere von Rettungsschiffbesatzungen verschiedener Hilfsorganisationen u.a. im Mittelmeer geleistetes uneigennütziges Engagement auf keinen Vorteil für die Hilfeleistenden angelegt ist, soll es dann nicht mehr ankommen.
Das BMI will offenbar jetzt auch hierzulande eine Rechtslage etablieren, die im Jahr 2004 schon den ehemaligen schleswig-holsteinischen Landesbeauftragten für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen, Stefan Schmidt, in einen sizilianischen Knast gebracht hatte. Ihm war damals als Kapitän der Cap Anamur die Rettung von 37 in Seenot befindlichen Geflüchteten als Schleusung vorgeworfen worden.
Mit der aktuellen Gesetzesinitiative – sollte sie damit durchkommen – wird sich die Bundesregierung gemein machen mit autokratischen Regierungen z.B. in Russland, Polen oder Ungarn, wo das uneigennützige humanitäre Engagement zur Unterstützung Geflüchteter schon seit Jahren unter Strafe steht.
Die 51 Organisationen fordern am 21. November die Bundesregierung und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, dem unverantwortlichen rechtspolitischen Treiben des BMI Schranken zu setzen und die geplante Ausweitung des Paragraphen 96 im Gesetzentwurf zurückzunehmen.
Download:
- Stellungnahme „Kriminalisierung von Seenotretter*innen verhindern!“ vom 20.11.2023 mit allen Unterzeichnenden und juristischem Kurzgutachten
- "Kriminalisierung der Seenotrettung? Gutachten zur geplanten Neufassung des § 96 Abs. 4 AufenthG", Universitäten von Lüneburg und Hamburg, 5.12.2023
Pressekontakt: Flüchtlingsrat SH, T. 0431-5568 5640, public[at]frsh.de