Der EuGH hat am 12. April 2018 entschieden, dass unbegleitete Flüchtlinge mit Flüchtlingseigenschaft, die zum Zeitpunkt der Asylantragstellung minderjährig waren, ihr Recht auf Elternnachzug behalten, auch wenn sie vor Einreise der Eltern volljährig werden. Das Urteil wird jedoch in der deutschen Praxis nicht umgesetzt, so dass die willkürliche Trennung von Eltern und ihren Kindern weiterhin an der Tagesordnung bleibt.
Derzeit wird unbegleiteten Minderjährigen, die als Flüchtlinge anerkannt wurden, das Recht auf Nachzug der Eltern verweigert, wenn sie vor der Erteilung der Visa für die Eltern volljährig werden. Aufgrund monate- oder jahrelanger Asylverfahren, langer Wartedauern auf einen Botschaftstermin und auf eine Bearbeitung der Visumsanträge wird jungen Menschen, die während dieses Prozederes volljährig werden, die Zusammenführung mit ihren Eltern verwehrt. Bearbeitungszeiten nationaler Behörden werden damit zu lebensentscheidenden Faktoren für ganze Familien.
Genau auf diesen Missstand hat der EuGH mit seinem Urteil nun reagiert. Im Fall einer niederländischen Antragstellerin entschied er, mit Blick auf den besonderen Schutz der Familie bei erzwungener Trennung gemäß der Richtlinie zur Familienzusammenführung (2003/86), dass es nicht von der Bearbeitungsdauer eines Asylantrags durch die Behörden abhängen darf, ob ein Anspruch auf Elternnachzug besteht oder nicht – und hat damit auch der derzeitigen deutschen Praxis eine Absage erteilt.
Dennoch beharrt das Auswärtige Amt (AA) auf seinem Vorgehen und lehnt weiterhin Anträge auf Elternnachzug ab, wenn anerkannte Jugendliche zwischenzeitlich volljährig geworden sind. Das AA argumentiert, das Urteil sei nicht anwendbar, da es auf der Grundlage eines niederländischen Verfahrens entschieden wurde und damit nicht auf deutsches Recht anwendbar sei. Dabei beziehen sich die Aussagen des EuGH gerade nicht auf die Auslegung niederländischen Rechts, sondern auf die verbindliche Auslegung von EU-Recht, unabhängig von nationalem Recht.
Die Landesflüchtlingsräte, JUMEN e.V., der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und PRO ASYL protestieren gegen die Verweigerung, das Urteil umzusetzen. Der EuGH hat für die Klärung eines weitreichenden Missstands gesorgt und bei betroffenen Jugendlichen Sicherheit geschaffen für ein Zusammenleben mit ihren Eltern. Die Missachtung von europäischer Rechtsprechung aus fadenscheinigen Gründen auf dem Rücken geflüchteter Jugendlicher muss dringend beendet werden. Die Bundesregierung hat hier dringend für Klarheit zu sorgen.
Die Bundesregierung erklärte zwischenzeitlich, die ablehnende Haltung des Auswärtigen Amtes sei nur mit dem BMI abgestimmt worden. „Weitere Ressorts“ hätten Klärungsbedarf angemeldet, so dass mit einer Ressortabstimmung begonnen wurde.
Die Landesflüchtlingsräte, JUMEN e.V., der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und PRO ASYL fordern eine schnelle und europarechtskonforme Umsetzung des EuGH-Urteils.
gez. Simone Ludewig, public(at)frsh.de, T. 0431-55685360