Die Wahl des Bürokratie-Begriffs "freiwillige Ausreise" zum Unwort des Jahres gab die zuständige Experten-Jury der Universität in Frankfurt am Main am Freitag in Köthen in Sachsen-Anhalt bekannt. Zur Begründung der Entscheidung erklärte die Jury, dass die Freiwilligkeit einer solchen Ausreise von Asylbewerbern aus der Bundesrepublik in vielen Fällen bezweifelt werden könne.
Als eine Kritik nicht nur am Begriff, sondern an der zugehörigen Praxis deutscher Ausländer- und Flüchtlingspolitik bewerten der Kieler FLÜCHTLINGSRAT und PRO ASYL die Wahl des Begriffes "freiwillige Ausreise" zum Unwort des Jahres. Deutsche Ausländerbehörden, Verwaltungsgerichte und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge halten die "freiwillige Ausreise" in fast jeden Staat dieser Welt für möglich, ungeachtet der Frage, ob dort Verfolgung, Bürgerkrieg oder willkürliche Gewalt herrschen. Dies gilt selbst für für solche von Gewalt zerrütteten Staaten wie Afghanistan, den Irak oder Sri Lanka. Wer - vielleicht aus Angst vor einer Wiederholung der im Herkunftsland erlebten Gefahren - von der Möglichkeit der "freiwilligen Ausreise" keinen Gebrauch machen will, dem droht entweder die Abschiebung oder er wird mit einer "Duldung" abgespeist.
Zur "freiwilligen Ausreise" gebracht wird ein Teil der Betroffenen seit vergangenem Frühjahr auch in Schleswig-Holstein durch die Zwangseinweisung in das - von den Behörden gern als "Gemeinschaftsunterkunft für ausreisepflichtige Ausländer" bezeichnete - sog. "Ausreisezentrum" in Neumünster (<link http: www.hiergeblieben.info>www.hiergeblieben.info). Hier soll im Zuge des Verwaltungshandelns die "Bereitschaft der Betroffenen zur freiwilligen Ausreise gefördert" werden. Das kann viele Monate lang daueren, geht mit regelmäßigen "Gesprächs"vorladungen einher und wird nicht selten durch amtliche Kürzungen der sozialen Unterstützung begleitet.
Die deutsche Migrations- und Flüchtlingspolitik ist eine Produktionsstätte von "Unwörtern", in der Begriffe mit politischer Absicht verbogen und umgearbeitet werden. Lager wurden zu "Gemeinschaftsunterkünften", ein Gesetz, mit dem Asylsuchenden ein Großteil der Sozialleistungen entzogen wurde, taufte man "Asylbewerberleistungsgesetz". Bundesinnenminister Schäuble hat den nächsten Begriff eingeführt, der das Zeug zum "Unwort" hat. Aus dem gescheiterten "Rotationsprinzip" der deutschen Gastarbeiterpolitik der 60-er Jahre wurde die "zirkuläre Migration" als ein EU-Modell mit Zukunft.
gez. Martin Link, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V., Kiel. gez. Bernd Mesovic, PRO ASYL e.V., Frankfurt/M.