Auf Einladung des Landesbeauftragten für Flüchtlings-. Asyl- und Zuwanderungsfragen, der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände, des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein und des Netzwerkes zur beruflichen Integration von Flüchtlingen Land in Sicht! diskutierten am Freitag, den 11.2.2011 in Neumünster rund 80 Fachleute und Interessierte einen Gesetzentwurf, der - dem Titel nach - der Zwangsverheiratung den Kampf ansagt, und erst einmal breite Zustimmung vermuten lässt.
Doch das gesamte Gesetzespaket vereint zahlreiche durchaus widersprüchliche Änderungen. “Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften (Drucksache des Bundestages 17/4401), das sogenannte “Zwangsehebekämpfungsgesetz”, ist ein Artikelgesetz. Konkret werden darin 13 Normen geändert,” betont Torsten Döhring, Referent des Landeszuwanderungsbeauftragten. “Da lohnt sich genaueres Hinschauen.”
Zwangsverheiratung soll ein eigener Straftatbestand werden. Diese Aufwertung hat allerdings mehr symbolische Funktion. Schon jetzt ist Zwangsverheiratung als schwerer Fall von Nötigung im gleichen Umfang strafbar. “Mit dieser Hervorhebung könnten auch Vorurteile und Stereotype über Menschen mit Migrationshintergrund verstärkt werden”, warnt Bernd Agge, Geschäftsführer der LAG der Wohlfahrtsverbände.
Staatliche Ehe-Qualitätsprüfungen statt Opferschutz
Frauenorganisationen kritisieren, dass mit einer anderen geplanten Vorschrift im Gesetzespaket, - anders als vorgesehen - der Opferschutz eher geschwächt würde. Ehen sollen künftig drei statt zwei Jahre bestehen müssen, bevor ein ausländischer Ehepartner oder eine ausländische Ehepartnerin ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhält. “Gerade Frauen, die in Zwangsehen oder anderen Gewaltverhältnissen mit ihrem Ehepartner zusammen leben, würden so genötigt, länger mit dem Partner zusammen zu bleiben,” so Referentin Claudia Rabe, “Opferschutz sieht anders aus”. Die geplante Regelung birgt noch andere Probleme: Sie wird begründet mit der Notwendigkeit sogenannte Scheinehen zu verhindern. “So werden binationale Ehen einmal mehr unter Generalverdacht gestellt und staatliche Ehequalitätsprüfungen gerechtfertigt,” befürchtet Cornelia Pries vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften aus Hamburg.
Diskriminierend und überflüssig sei auch die vorgesehene Verschärfung der Sanktionen für vermeintliche “Integrationsverweigerer” bei Abbruch oder Nichtantritt von Integrations-sprachkursen, so Mona Golla von der Kieler Beratungsstelle ZBBS e.V.. Ein Bericht der Landesregierung zu diesem Thema belegt, dass es im Gegenteil zu wenig differenzierte Angebote gerade in der Fläche gibt und Abbrüche, so sie denn vorkommen, meist gute Gründe wie Krankheit, fehlende Kinderbetreuung oder Arbeitsaufnahme haben. Zudem sehen Aufenthalts- und Sozialrecht schon jetzt ausreichend Sanktionsmöglichkeiten.
Ausweitung der Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge und Bleiberecht für integrierte Jugendliche - ein Schritt nach vorn, doch nicht weit genug
Als positiven Meilenstein sehen viele die Lockerung der sogenannten Residenzpflicht. Künftig sollen Asylsuchende und Personen mit dem Status einer “Duldung” sich im ganzen Bundesland aufhalten dürfen, ohne wie bisher eine besondere Erlaubnis zum Verlassen des Kreises einzuholen, berichtet Andrea Dallek vom Flüchtlingsrat. “Schleswig-Holstein arbeitet schon an einem entsprechenden Erlass, die Bundesinitiative geht aber weiter: Bei Einvernehmen der Länder sollen per Gesetz Asylsuchende für Arbeit, Schul- und Ausbildung auch ins Nachbarbundesland reisen dürfen.”
Mit einem lachenden und einem weinendem Auge betrachtet hingegen Johanna Boettcher, Koordinatorin des Netzwerkes Land in Sicht! - Arbeit für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein die in den Gesetzentwurf aufgenommene Bleiberechtsregelung für gut integrierte langjährig geduldete Jugendliche: “Der Gesetzesvorschlag bietet eine erhebliche Verbesserung zur derzeitigen Rechtslage, kann aber eine umfassende Bleiberechtsregelung nicht ersetzen. Die zu erfüllenden Voraussetzungen beinhalten zu enge Fristen und Altersvorgaben und begünstigen nur wenige Jugendliche. Aus der Regelung spricht eher der Gedanke der ökonomischen Verwertbarkeit als der Schutzgedanke.”
Noch ist der Gesetzentwurf nicht verabschiedet. Trotz positiver Ansätze im sehen die VeranstalterInnen erheblichen Änderungsbedarf. Zu sehr setzt der Entwurf auf Sanktion. Erfolgreiche Bekämpfung von Gewaltverhältnissen wie Zwangsverheiratung und eine erfolgreiche Integration im Einwanderungsland funktionieren jedoch nicht ohne umfassenden Opferschutz und Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe.
für die Veranstaltenden
gez. Astrid Willer, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Kontakt:
Referent des Beauftragten für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen, Torsten Döhring, Tel.: 0431 / 988-1292, <link>Torsten.Doehring[at]landtag.ltsh.de
Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände, Doris Kratz-Hinrichsen, Diakonisches Werk Landesverband Schleswig-Holstein Tel.: 04331 / 593-189, <link>kratz-hinrichsen[at]diakonie-sh.de
PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband Schleswig-Holstein, Krystyna Michalski, Tel.: 0431 / 5602-23, <link>michalski[at]paritaet-sh.orge
Netzwerk Land in Sicht! - Arbeit für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein, Johanna Boettcher, Tel.: 0431 / 23 93 924, <link>lis[at]frsh.de
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V., Astrid Willer, Tel.: 0431 / 735 000, <link>office[at]frsh.de