Empört reagieren der FLÜCHTLINGSRAT SCHLESWIG-HOLSTEIN und PRO ASYL auf die in der taz bekanntgewordenen Pläne von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis90/GRÜNE), der Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten im Bundesrat zuzustimmen.
Staaten, in denen gefoltert wird, demokratische Grundrechte missachtet und die Menschenrechte von Minderheiten verletzt werden, sind keine sicheren Herkunftsstaaten!
"Wer dieser Einstufung zustimmt, kann gleich einen Blankoscheck ausstellen und die CSU auffordern, nach Belieben weitere Staaten wie zum Beispiel die Türkei, Mali, Ukraine oder andere auf die Liste zu setzen", sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. Mit Besorgnis haben die Flüchtlingsorganisationen ohnehin schon den zunehmend bei CDU, CSU und SPD Platz greifenden Trend zur Kenntnis genommen, das Thema der Flüchtlingszuwanderung Wahlkampf-stimmungsfest zu machen.
„Es wäre fatal, wenn nunmehr auch anderenorts Die Grünen sich in diesen flüchtlingsfeindlichen Überbietungswettbewerb einiger ihrer auf Kehrwochen-Mentalität und kleinbürgerliche Ressentiments in der Bevölkerung schielenden Protagonisten hinein treiben lassen würden“, warnt Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Immerhin hatte ein grüner Parteitag im November 2015 beschlossen und versprochen, von weiteren Einstufungen sicherer Herkunftsstaaten abzusehen.
Asylanträge von Menschen aus den besagten Maghreb-Staaten sind in der Gesamtstatistik ohnehin marginal. Auch vor diesem Hintergrund hofft der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, dass sich die schleswig-holsteinische Landesregierung nicht in diesen Strudel einer auf Wahlergebnisse spekulierenden Symbolpolitik hineinziehen lässt.
Der Kern des Asylverfahrens ist die individuelle Prüfung des Antrags auf Schutz. Werden immer mehr Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten ernannt, ist die Gefahr groß, dass immer mehr standardisierte Entscheidungen getroffen werden. Die willkürliche Benennung immer weiterer sicherer Herkunftsstaaten kann und darf nicht Teil von politischen Deals sein. Die rote Linie des Rechtsstaats wäre überschritten.
Die Menschenrechtssituation in den betroffenen Staaten lässt eine Einstufung als sichere Herkunftsstaaten nicht zu, wenn man den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts folgt. PRO ASYL hat hierzu am 16.2.2016 eine <link http: www.proasyl.de fileadmin fm-dam news external link in new>umfangreiche Stellungnahme typo3/vorgelegt, in der die Menschenrechtslage in den drei Maghreb-Staaten analysiert wird. In allen drei Staaten bestehen gravierende Menschenrechtsprobleme, die eine Einstufung dieser Staaten als sicher verbieten: Die Todesstrafe besteht in allen drei Ländern und wird von Gerichten verhängt; es kommt zu Folterfällen und extralegalen Tötungen, Demonstrations- und Meinungsfreiheit sind nicht ausreichend gewährleistet und die Rechte von Frauen oder Homosexuellen werden missachtet. Die Bundesregierung beschönigt die Lage in den Ländern und – insbesondere im Fall von Tunesien – stellt z.B. das Bestehen von Folter fest, ohne daraus eine Schlussfolgerung zu ziehen. Mit den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts ist dies nicht vereinbar.
Kretschmanns Handel: Gegenleistung nahe Null
Geplant ist für den ministerpräsidentialen Verrat an den Opfern von Folter und Überlebensnot in den drei Maghreb-Staaten im Gegenzug eine Altfallregelung für anhängige Asylverfahren zu schaffen und die Beschwerdemöglichkeiten in asylrechtlichen Eilverfahren zu verbessern. Der Personenkreis, der von der Altfallregelung profitieren könnte, soll extrem eng gefasst sein. Der neue § 104 Abs. 8 AufenthG sichert AntragstellerInnen ein Aufenthaltsrecht zu, wenn sie vor dem 31.12.2013 in Deutschland eingereist sind, einen Asylantrag gestellt haben, sich ununterbrochen in Deutschland aufgehalten haben und nicht aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen (einschließlich der neu eingestuften Maghreb-Staaten). PRO ASYL geht von weniger als 20.000 begünstigten Personen bei gegenwärtig 365.000 anhängigen Asylverfahren zum 31.12.2015 aus. Die vom grünen Ministerpräsidenten Kretschmann favorisierte Mini-Lösung löst überhaupt nicht die strukturellen Probleme beim BAMF.
Personen, die vor dem o.g. Stichtag (31.12.2013) eingereist sind, haben schon jetzt einen Anspruch auf eine Entscheidung über ihren Asylantrag. In den vergangenen Monaten haben viele AsylbewerberInnen erfolgreich Untätigkeitsklagen gegen das BAMF erhoben, das ihre Asylanträge nicht bearbeitet hatte. Im Klartext: Kretschmanns Absichten betreffen fast nur Fälle, in denen das Recht ohnehin auf Seiten der AsylantragstellerInnen ist. Auf der anderen Seite steht mit der Einstufung sicherer Herkunftsstaaten eine asylrechtlich gefährliche Regelung mit der Dauerwirkung eines menschrechtsfeindlichen Segens an die Regime Tunesiens, Algeriens und Marokkos.
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