Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. bedauert das anstehende Ausscheiden des amtierenden schleswig-holsteinischen Landesbeauftragten für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen, Kapitän i.R. Stefan Schmidt, sehr. Wir danken Stefan Schmidt für sein jederzeit herausragendes Engagement und seine hohe Bereitschaft zur Kooperation mit Akteur*innen der solidarischen Zivilgesellschaft. Stefan Schmidt hat sich im Amt als erfolgreicher Brückenbauer zwischen Politik, Regierung, Bürger*innengesellschaft und Eingewanderten mit und ohne Fluchthintergrund erwiesen. Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein wünscht dem Beauftragten alles Gute für den anstehenden überaus wohlverdienten Ruhestand.
Vorbemerkungen
Der immens hohe Bedarf an der Verstetigung des Amtes des Landesbeauftragten erklärt sich nicht zuletzt mit Blick auf die Entwicklung Schleswig-Holsteins zu einer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft und der diesbezüglichen Bedarfe:
2021 lag der Anteil der ausländischen Staatsangehörigen insgesamt in Schleswig-Holstein mit fast 290.000 bei gut 10 Prozent. Davon wurden am 31.12.2022 knapp 108.000 EU-Staatsangehörige, das sind 6 Prozent der Gesamtbevölkerung, in SH gezählt. Fast 29 Prozent der Menschen mit amtssprachlichem Migrationshintergrund – wir bevorzugen den Begriff Menschen mit Migrationsgeschichte – in SH stammen aus einem EU-Mitgliedsstaat. Insgesamt 352.000 Menschen, gut 20 Prozent, in SH haben einen Migrationshintergrund. Über 20 Prozent der Null- bis Sechsjährigen sind selbst zugezogen oder Kinder eines zugezogenen Elternteils. Die Städte mit einem gegenüber dem ländlichen Raum (immerhin regelmäßig über 5 Prozent) hohen Migrant*innenanteil von z.T. weit über 10 Prozent sind Kiel, Neumünster, Flensburg und Lübeck.
Drittstaatsangehörige – damit sind aus eurozentristischer Perspektive nicht, wie Teile der Politik und Medien es bisweilen glauben machen wollen, Menschen dritter Wahl gemeint. Sondern so sind solche amtlich bezeichnet, die nicht aus der EU, dem EWR oder der Schweiz, sondern aus dem Rest der nicht freizügigkeitsberechtigten Welt stammen. Drittstaatsangehörige kommen nach Schleswig-Holstein als einwandernde Fach- und Arbeitskräfte, als um Asyl Nachsuchende hochgerechnet gut 8.000 dieses Jahr und bis zum 23.7.2023 als Schutzsuchende mit guter Bleibeperspektive aus der Ukraine 34.490. 3,7 Prozent der Menschen in SH stammten 2022 aus einem Asylherkunftsland, 27 Prozent der registrierten Schutzsuchenden kamen aus der Ukraine. Unter den ins Bundesland Geflüchteten sind inzwischen ca. 60% weiblich. Ca.12.000 Menschen leben mit einer Duldung im Bundesland.
Unter den in Schleswig-Holstein lebenden Ausländerinnen und Ausländern stellen Menschen mit syrischer Staatsbürgerschaft die größte Gruppe dar. Seit letztem Jahr dicht gefolgt von Menschen aus der Ukraine. Es folgen Staatsangehörige aus Polen, der Türkei, Rumänien und Afghanistan. Während deutschlandweit 30 Prozent der selbst eingewanderten Menschen und deren Nachkommen aus den sogenannten Anwerbestaaten stammen, beträgt ihr Anteil in Schleswig-Holstein lediglich 21 Prozent.
Schleswig-Holstein hat ein besonderes demographisches Problem: 2018 wurden gut 25.000 Geburten, aber fast 36.000 Todesfälle registriert. Wissenschaftliche Studien, u.a. vom ifo-Institut und vom IAB, warnen, dass der Fachkräftemangel in den kommenden Jahren – aufgrund des demographischen Wandels und besonders wegen der nun ins Rentenalter kommenden Babyboomer-Generation – sich weiter verschärfen wird. Im Jahr 2035 würden weit über 100.000 Fachkräfte in Schleswig-Holstein fehlen. Unter anderem seien die Aktivierung des vorhandenen Arbeitskräftepotentials – nicht zuletzt der Geduldeten – sowie zusätzliche Zuwanderung und eine konsequente Beseitigung fortbestehender bürokratischer Hürden beim Arbeitsmarktzugang zwingend geboten.
Dabei gilt es zu beachten, dass nach wie vor die gesellschaftliche Realität in Schleswig-Holstein von großer Unterstützungsbereitschaft gegenüber fluchtbedingt oder aus anderen Gründen Einwandernder gekennzeichnet ist. Allerdings verbreiten sich auch soziale Ausgrenzungen von vermeintlich Nichtdeutschen im Alltag und rassistische Überzeugungen in Teilen der Bevölkerung. Letzteres nimmt unter dem Eindruck einer von Klimafolgen, Kriegen, u.a. in Europa, und wirtschaftlicher Krise zunehmenden Verunsicherungen zu. Es ist spürbar, dass in Folge solcher gesellschaftlichen Widersprüche demokratische Werte unter erheblichen Legitimationsdruck geraten, auf Ausgleich und Toleranz abstellende Umgangsformen werden an den Rand gedrängt.
Es bedarf einer Strategie, einerseits mit dem Ziel der Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und andererseits, dem Mangel an Partizipation in herkunftskulturellen Gruppen und der mit Blick auf die z.T. bei Eingewanderten aus Drittstaaten bestehenden sozialen Vereinzelung und fehlenden Identifizierung mit dem Einwanderungsland gezielt entgegenzuwirken. Gleichzeitig ist es notwendig, der autochthonen Bevölkerungsmehrheit Zugänge zur Wahrnehmungsperspektive Eingewanderter und bei ihr eine Sensibilisierung für deren Migrations- und Integrationswirklichkeit zu erreichen. Das sind sich den Parteien, der Landesregierung, den kommunalen Landesverbänden, Nichtregierungsorganisationen, Migrant*innenorganisationen und der Gesellschaft des Bundeslands Schleswig-Holstein insgesamt dringend stellende Aufgaben.
Es waren Stefan Schmidt und seine ebenfalls ehrenamtlichen Vorgänger Helmut Frenz und Wulf Jöhnk, die im Bewusstsein um diese schon vor Jahren absehbare einwanderungsgesellschaftliche Bedarfsentwicklung das Amt des Landesbeauftragten für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen mit Empathie für die hierzulande Einwandernden, mit weitsichtiger Kompetenz und mit beständiger Hartnäckigkeit gegenüber der politischen Klasse und den zuständigen öffentlichen Stellen als unverzichtbare Instanz in der politischen Landschaft unseres Bundeslandes etabliert haben.
Zum Gesetzentwurf
Vor diesem Hintergrund begrüßt der Flüchtlingsrat die Gesetzesinitiative der Regierungsfraktionen und des SSW ausdrücklich, das Amt als dem Landtag angegliederte und von der Landesregierung unabhängige Fachstelle nach der Ära der Ehrenamtlichkeit endlich zu verhauptamtlichen und die im GE vorgesehenen Regelungen für Stellvertretung und Team als einwanderungspolitisch bedarfsgerecht und zielführend.
Gleichzeitig hoffen wir nicht zuletzt wegen der u.E. in dem hier berührten Politikfeld besonders wichtigen Signalwirkung von Einigkeit der demokratischen Parteien, dass diese Gesetzesinitiative im weiteren Verlauf der Beratungen von allen Fraktionen des Landtages mitgetragen werden kann und wird.
Im Detail schlagen wir vor:
Wegen der Brückenfunktion des Amtes zwischen Eingewanderten, Menschen mit Migrationshintergrund und Mehrheitsgesellschaft, mit Blick auf das Ziel eines verbesserten gesellschaftlichen Zusammenhalts und zur Etablierung einer wirksamen regelmäßigen Beteiligung des Landesbeauftragten an rechtspolitischen Prozessen schlagen wir vor,
§ 2, Abs. 1, Satz 2 wie folgt zu ändern:
Ihr oder ihm obliegt es insbesondere, die gesellschaftliche Integration und Teilhabe der in Schleswig-Holstein lebenden Ausländerinnen und Ausländer, Aussiedlerinnen und Aussiedler sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Einwanderungsgesellschaft insgesamt zu fördern.
§ 2, Abs. 2, Punkt 1 wie folgt zu ändern:
1. die Vermittlung der Beratung von Einzelpersonen, Familien, Migrant*innenorgansiationen und Institutionen,
§ 2, Abs. 2, Punkt 4 wie folgt zu ändern:
4. eigene Vorschläge für rechtspolitische Initiativen und Stellungnahmen zu politischen Konzepten, Programmen, Gesetzentwürfen, Anwendungshinweisen und Erlassen und
Und um die aus der engen Vernetzung des Landesbeauftragten mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und migrantischen Communities im Bundesland resultierende Wirkmächtigkeit seiner Politikberatungsmöglichkeiten zu optimieren, schlagen wir vor, § 3, Abs. 3 wie folgt zu ändern:
(3) Der oder dem Beauftragten kann in den Ausschüssen des Landtages und im Parlament zu Themen, die die Belange von Geflüchteten, Asylsuchenden oder Zuwanderinnen und Zuwanderer sowie andere einwanderungsgesellschaftspolitische Belange betreffen, auf Wunsch das Wort erteilt werden.
Hinsichtlich der in § 7 Absatz 3 im GE vorgesehenen Neuformulierung „und ihre oder seine Mitarbeitenden sind zu den in § 87 des Aufenthaltsgesetzes…“ halten wir diese – anders als die vom Landesbeauftragten in seiner Stellungnahme vom 22.8.2023 (Umdruck 20/1878) vorgeschlagene Reduzierung, dass es nur um die Meldepflichten nach § 87 Absatz 1 und Absatz 2 AufenthG gehe, – für zielführend.