Denn die aufenthaltsrechtliche Situation von geflüchteten Menschen, die während eines Asylverfahrens oder nach Rücknahme oder Ablehnung ihres Asylantrags durch Absolvierung einer betrieblichen oder schulischen Berufsausbildung in Deutschland Fachkraft werden möchten oder bereits Fachkraft sind, wird auch nach Verabschiedung des „Fachkräfteweiterentwicklungsgesetzes“[1] und des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge[2] weder den Bedürfnissen der geflüchteten Menschen noch den Bedarfen des deutschen Arbeitsmarktes gerecht.
Die Mitglieder der AG Migration & Arbeit fordern die Bundesregierung und die Abgeordneten des Bundestags auf, das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Verabschiedung des „Rückkehrverbesserungsgesetzes“[3] zu nutzen, um Versprechungen aus dem Koalitionsvertrag einzulösen, d.h. wirklich einen „Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik [zu] gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird“[4] sowie „das komplizierte System der Duldungstatbestände [zu] ordnen und neue Chancen für Menschen [zu] schaffen, die bereits ein Teil unserer Gesellschaft geworden sind“ und „Geduldeten in der Ausbildung und Betrieben mehr Rechtssicherheit durch eine Aufenthaltserlaubnis verleihen.“[5] In Anbetracht der steigenden Zahl unbesetzter Ausbildungsplätze[6] müssen Schritte unternommen werden, bürokratische Hürden durch hohe Auflagen abzubauen, um die Bleiberechtsregelungen einem breiten Kreis zu ermöglichen.
Als Expert*innengremium für die arbeitsmarktliche Integration von Schutzsuchenden und Zugewanderten sieht die AG Migration und Arbeit Schleswig-Holstein die Überführung der Ausbildungsduldung in eine Aufenthaltserlaubnis durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung als einen Schritt in die richtige Richtung.
Das – gut gemeinte – Gesetz birgt jedoch viele Hürden und wird sich in seiner derzeitigen Fassung für viele Auszubildende als unbrauchbar erweisen.[7]
Die AG Migration und Arbeit Schleswig-Holstein fordert, auf das Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung bei der Ausbildungsaufenthaltserlaubnis zu verzichten sowie einen Spurwechsel aus der „Asyl-Spur“ in die „Fachkräfte-Spur“ uneingeschränkt zu ermöglichen – unabhängig von einem Einreisestichtag und unabhängig von der Rücknahme des Asylantrags.
Hintergrund:
- Die aufenthaltsrechtliche Situation stellt sich für den genannten Personenkreis aufgrund der bereits verabschiedeten Gesetze wie folgt dar:
a. Ab dem 1. März 2024 können Menschen, die eine betriebliche oder schulische Berufsausbildung beginnen, unter bestimmten Voraussetzungen eine Ausbildungs-Aufenthaltserlaubnis gemäß § 16g AufenthG erhalten; erteilte Ausbildungsduldungen gelten ab dem 1. März 2024 als Ausbildungs-Aufenthaltserlaubnisse fort.
b. Nach Abschluss einer qualifizierten Berufsausbildung oder einer staatlich anerkannten Ausbildung in einer Pflegehilfstätigkeit ist ein Wechsel in eine Aufenthaltserlaubnis gemäß §§ 18, 18a AufenthG (Fachkräfte mit Berufsausbildung) oder § 19c Abs. 2 AufenthG iVm § 22a BeschV (Beschäftigung von Pflegehilfskräften) nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich, nämlich bei einer Einreise vor dem 29. März 2023 und der Rücknahme des Asylantrags.[8]
- Die bereits verabschiedeten Gesetze werden im Hinblick auf die Ausbildungs-Aufenthaltserlaubnis (§ 16g AufenthG) und den sog. „Kleinen Spurwechsel“ den Ansprüchen des Koalitionsvertrages nicht gerecht.
a. Die Ausbildungs-Aufenthaltserlaubnis ist vor allem deshalb kritikwürdig, weil neben den besonderen Erteilungsvoraussetzungen auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen vorliegen müssen, insbesondere die Lebensunterhaltssicherung. Im Falle einer schulischen Ausbildung wird der Nachweis der Lebensunterhaltssicherung in der Regel nicht möglich sein, weil die Aufenthaltserlaubnis nach § 16g AufenthG nicht zum Bezug von Leistungen nach dem BAföG berechtigt.
Dieser Kritik soll nach dem Willen der Bundesregierung dadurch begegnet werden, dass die Ausbildungsduldung (§ 60c AufenthG) neben der neuen Ausbildungs-Aufenthaltserlaubnis (§ 16g AufenthG) fortgelten soll.[9]
Dieser Lösungsvorschlag ist halbherzig und schafft unter den geflüchteten Menschen zwei Klassen von Auszubildenden. Auf der einen Seite gibt es die Klasse derjenigen, die eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, weil sie eine betriebliche Ausbildung absolvieren, durch die sie den Lebensunterhalt sichern können. Sie haben Vorteile beim Familiennachzug sowie bei einer späteren Aufenthaltssicherung durch eine Niederlassungserlaubnis oder bei einer Einbürgerung. Auf der anderen Seite steht die Klasse derjenigen, die „nur“ eine Ausbildungsduldung erhalten, weil sie „nur“ eine schulische Ausbildung machen und dadurch ihren Lebensunterhalt nicht sichern können (und auch kein BAföG erhalten). Sie haben nicht die Möglichkeit eines Familiennachzugs, und die Zeiten mit der Ausbildungsduldung werden weder bei einer späteren Aufenthaltssicherung durch eine Niederlassungserlaubnis noch bei einer Einbürgerung berücksichtigt.
Es drohen nichtbesetzte schulische Ausbildungsplätze, insbesondere im Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich sowie ausbleibende oder abgebrochene betriebliche Ausbildungen. Im Angesicht des akuten Fachkräftemangels und vieler unbesetzter Lehrstellen wäre dies ein falsches Signal gegenüber den Arbeitgeber*innen und potenziellen Auszubildenden.
b. Auch die Regelungen zum sog. Spurwechsel sind wenig ambitioniert. Menschen, die zwar vor dem 29. März 2023 eingereist sind, ihren Asylantrag aber nicht zurücknehmen, sondern der Hoffnung auf eine Schutzgewährung weiterverfolgen und dann abgelehnt werden, kommen ebenso wenig in den Genuss des Spurwechsels wie alle Menschen, die erst nach dem Stichtag 29. März 2023 nach Deutschland einreisen. Aus Angst vor vermeintlichen „Pull-Faktoren“ soll ein genereller Spurwechsel auch dann nicht erlaubt sein, wenn der Wechsel in eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft, die nun eine Anspruchsnorm ist, erfolgen soll.
Kontakt: Flüchtlingsrat SH, T. 0431-5568 5640, public[at]frsh.de
In der AG Migration Schleswig-Holstein arbeiten seit 2010 Expert*innen aus Verbänden, Integrations- und Migrationsfachdiensten aus Schleswig-Holstein zusammen.
[1]Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung vom 16. August 2023
[2] Gesetz vom 16. November 2023, noch nicht in Kraft, vgl. BR-Drucks. 601/23
[3]Gesetz zur Verbesserung der Rückkehr in der Fassung des Regierungsentwurfes vom 25. Oktober 2023 und der Formulierungshilfe des BMI vom 20. November 2023
[4] Koalitionsvertrag S. 137: abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1990812/93bd8d9b17717c351633635f9d7fba09/2021-12-10-koav2021-data.pdf?download=1
[5] Koalitionsvertrag S. 138
[6]https://arbeitgeber.de/wp-content/uploads/2023/11/bda-positionspapier-daten_und_fakten_gute_ausbildungschancen_fuer_jugendliche_auch_mit_niedrigem_schulabschluss-2023_11_15.pdf
[7] Eine detaillierte Stellungnahme inklusive Empfehlungen zur verbesserten Ausgestaltung einer Ausbildungsaufenthaltserlaubnis sind in dem Empfehlungspapier der AG Aufenthaltsverfestigung der WIR-Netzwerke nachzulesen: https://www.ibs-thueringen.de/wp-content/uploads/2023/07/Empfehlungen-zu-%C2%A7-16g-AufenthG-etc.-20.07.2023.pdf
[8] Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge vom 16. November 2023, noch nicht in Kraft
[9]Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag der Fraktionen der SPD, von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
FDP Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz)