Neben und ergänzend zur Abstimmung zum Entwurf zur Änderung des Ausländer-zentralregistergesetzes (AZRG) (BT Drs. 19/28170)[1], gegen das der Flüchtlingsrat SH gemeinsam mit anderen Organisationen und Datenschutzexpert*innen[2], bereits am 3.5.2021 gesondert Bedenken geäußert hat, steht am 25.06.2021 auch die Abstimmung im Bundesrat zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Rechtsgrundlagen der Bundespolizei (BT-Drs. 19/26541)[3] auf der Tagesordnung.
Der Entwurf sieht u.a. in Art. 3 die Einführung eines neuen Absatzes 3a) in § 71 AufenthG, in Satz 1 mit der Erweiterung der Zuständigkeiten und Befugnisse der Bundespolizei für Abschiebungen und Zurückschiebungen von Drittstaatsangehörigen vor, die
1. im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei festgestellt wurden,
2. vollziehbar ausreisepflichtig sind und
3. deren Abschiebung nicht ausgesetzt ist oder deren Abschiebung innerhalb von 6 Monaten durchführbar ist, insbesondere, wenn nach § 60a Abs. 2 Satz 1, 1. Alternative die Abschiebung aufgrund von fehlenden Reisedokumenten ausgesetzt ist und nach Einschätzung der Bundespolizei die notwendigen Reisedokumente innerhalb dieser Frist beschafft werden können.
Nach Satz 2 der geplanten Regelung soll die Zuständigkeit der Bundespolizei wieder enden, wenn
1. im Falle der Aussetzung der Abschiebung aufgrund von fehlenden Reisedokumenten nicht innerhalb von 6 Monaten nach der Feststellung der Drittstaatsangehörigen im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei die Beschaffung von Reisedokumenten gelungen ist und eine Beschaffung nicht unmittelbar bevorsteht, oder
2. nach Feststellung des Drittstaatsangehörigen im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei andere rechtliche oder tatsächliche Gründe aufgetreten sind oder fortbestehen, die einer Abschiebung innerhalb von 6 Monaten entgegenstehen oder
3. die zuständige Landesbehörde widerspricht.
Die Begründung einer weiteren Zuständigkeit nach § 71 Abs. 3a Satz 1, neben oder an Stelle der regelmäßig zuständigen Ausländerbehörden begegnet in mehrfacher Hinsicht Bedenken:
Der mögliche Zuständigkeitsübergang birgt eine hohe Wahrscheinlichkeit von sich überschneidenden und widersprechenden Maßnahmen und Entscheidungen.
Die bis dahin regelmäßig zuständigen Ausländerbehörden werden vielfach über Hintergrundinformationen verfügen, die im Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs nicht bekannt sind, wie beispielsweise zu bevorstehenden Anhörungsterminen zur Klärung eines Aufenthaltsrechts oder eines gesetzlichen Duldungstatbestandes (Ausbildungsplatz, Ausbildungsvorbereitung, etc.), ein ggf. bereits anhängiges Antragsverfahren zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus anderen Gründen, oder eines Asylfolgeantragsverfahrens, u.v.a. Ein zusätzlicher Verwaltungs- und Zeitaufwand zur Klärung der Zuständigkeit scheint vorprogrammiert.
Noch weniger greifbar ist die zuständigkeitsbegründende Einschätzung einer Durchführbarkeit der Abschiebung oder Prognose zur Beschaffbarkeit von Reisedokumenten innerhalb von 6 Monaten. Vielfach wird die Dauer eines Abschiebungshindernisses, wie am Beispiel dringender persönlicher Gründe wie der Durchführung ärztlicher Behandlungen, Pflege von Familienangehörigen, erforderlicher Zeugenaussagen in einem Strafverfahren, o.ä. ersichtlich, kaum realistisch abschätzen lassen. Erfüllt sich die Erwartung nicht, findet nach Satz 3 abermals ein Zuständigkeitswechsel statt.
Auch hier liegt die Entstehung zusätzlichen Verwaltungsaufwands zur Zuständigkeitsklärung auf der Hand.
Behörden, wie Betroffene müssen mit unklaren Zuständigkeiten und Unsicherheiten aufgrund sich widersprechender Auskünfte, Maßnahmen und Entscheidungen verschiedener Behörden rechnen.
Für weitere Behörden, Gerichte und sonstige Beteiligte, die sich an die für die Abschiebung oder Rückführung zuständige Behörde richten wollen oder müssen, bedeuten die mehrfachen und von außen nicht einschätzbaren unterschiedlichen Zuständigkeiten ebenfalls mindestens einen nicht absehbaren zusätzlichen Aufwand und zusätzliche Unsicherheiten.
Im Ergebnis wird hier durch Zuständigkeitsintransparenzen eine Grundlage für die Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) geschaffen.
Die erforderliche Abstimmung zwischen den Behörden dürfte in Gefahr noch weitergehender Hemmnisse, Fehlerquoten, Verzögerungen und erheblichen, weiteren Aufwands zu geraten, sollte der weitgehende Zugriff der Behörden auf das Ausländerzentralregister durch die beabsichtigte Änderung des AZR-Gesetzes sich als nicht im beabsichtigten Umfang durchführbar erweisen, was angesichts der erhobenen datenschutzrechtlichen Bedenken aber naheliegend erscheint.
Der federführende Ausschuss für Innere Angelegenheiten scheint in seiner Empfehlung vom 15.06.2021 (Bundesrat-Drucksache 515/1/21)[4] die Problematik ähnlich einzuschätzen und weist in B. 2c) und d) der Empfehlung auf „fachliche Bedenken, insbesondere im Hinblick auf Schnittstellen und unklare Zuständigkeiten“ und einen entsprechenden Nachbesserungsbedarf hin. Zur Begründung führt der Ausschuss aus, es sei „nicht erkennbar, inwieweit mit dieser Regelung tatsächlich eine Schnittstellenreduzierung erreicht werden kann, es sei vielmehr zu erwarten, dass mit der Regelung unklare Zuständigkeiten und Schnittstellenprobleme neu geschaffen werden.
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. schließt sich dieser Einschätzung, mit Ausnahme der dennoch erteilten Zustimmungsempfehlung, an und regt nachdrücklich an, dem Entwurf nicht zuzustimmen und im Bundesrat auf eine Ablehnung der Zustimmung hinzuwirken.
gez. Axel Meixner, Martin Link, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
[1] BT Drs. 19/28170: <link https: dserver.bundestag.de btd>
[2] PE v. 3.5.2021: <link file:6469>
www.frsh.de/fileadmin/pdf/presseerklaerungen/2021/gpe_AZR_20210503.pdf
[3] BT-Drs. 19/26541: <link https: dserver.bundestag.de btd>
[4] BR Drs. 515/1/21: <link https: www.bundesrat.de shareddocs drucksachen>
www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2021/0501-0600/515-1-21.pdf