„Wenn aus Seenot gerettete oder selbstständig in Italien angelandete Migrant*innen auf Quarantäneschiffen festgehalten werden, schränkt dies das Recht auf Bewegungsfreiheit ein und widerspricht dem Diskriminierungsverbot. Denn die vollkommen intransparent kommunizierte Maßnahme gilt ausschließlich für ausländische Staatsbürger*innen, die als Migrant*innen nach Italien gelangt sind.“
So lautet der erste der im Dokument „Die Problematik der Quarantäneschiffe für Geflüchtete: Analyse und Forderungen“ formulierten Kritikpunkte. 150 italienische und internationale Organisationen haben es gemeinsam mit Wissenschaftler*innen, Philosoph*innen und Menschenrechtler*innen unterzeichnet. Die Ministerien für Inneres, Verkehr und Gesundheit sowie die Abteilung für Zivilschutz werden darin aufgefordert, das Verfahrensmodell der Quarantäneschiffe abzuschaffen, das Aufnahmesystem zu verbessern und Maßnahmen zu ergreifen, die ohne diskriminierende Unterscheidungen die Sicherheit, Gesundheit und Rechte der betroffenen Personen schützen.
DIE FORDERUNGEN AN DIE REGIERUNG
Die Unterzeichnenden fordern die Abschaffung der Quarantäneschiffe. Dieses System entspricht offenbar eher geschürten Ängsten als Kriterien eines vernünftigen und menschlichen Umgangs mit der Epidemie. Die Finanzierungen sollten besser in die Sanierung der Aufnahmezentren auf dem Festland investiert werden. Zudem muss die Öffentlichkeit umfassend und transparent über die Situation an Bord der Schiffe und den Umgang mit Minderjährigen und besonders schutzbedürftigen Personen informiert werden.
Ferner wird gefordert, den Personen an Bord der Schiffe angemessene rechtliche und medizinische Aufklärung zu gewähren. Weiterhin soll öffentlich versichert werden, dass zukünftig keine bereits auf dem Festland befindlichen Personen mehr auf Quarantäneschiffe gebracht und beim Landgang keine zeitversetzten Zurückweisungs- oder Abschiebungs-bescheide mehr erteilt werden.
MEDIZINISCHE NOTSTÄNDE
Angesichts der aktuellen Lage wird die Präventivquarantäne nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Allerdings mehren sich gerade im Hinblick auf die Infektionsprävention die Zweifel an der Effizienz der Quarantäneschiffe. Schließlich werden an Bord sowohl positiv getestete Fälle als auch Personen in Präventivquarantäne in einem einzigen geschlossenen Raum untergebracht, in dem es unmöglich ist, physische Abstände zu wahren und einzelne Personen ganz zu isolieren. Außerdem kann im Bedarfsfall der umgehende Transport in ein Krankenhaus nicht garantiert werden. Somit sind die Quarantäneschiffe weder nötig noch wünschenswert.
Expert*innen zufolge wäre es am besten, die Personen schnellst möglich einem Test zu unterziehen und sie dann an geeigneter Stelle an Land gehen zu lassen. Über die mit dem Virus verbundenen Gefahren hinaus können sich bereits bestehende gesundheitliche und psychologische Probleme an Bord verschärfen.
Insbesondere die Lage von Personen, die mit Erfahrungen von Gewalt, Verlust, Folter oder anderen Traumata leben müssen, kann sich durch die Situation an Bord erheblich verschlechtern. Presseberichten zufolge ergriffen allein im Monat Oktober mehrere Personen an Bord die Flucht und stürzten sich ins Meer. Auch von Selbstverletzungen an Bord wurde berichtet.
RECHTSVERLETZUNGEN
Ausschließlich nicht-italienische Personen im Migrationsprozess müssen sich an Bord der Quarantäneschiffe begeben und die damit verbundene Einschränkung ihres Rechts auf Bewegungsfreiheit hinnehmen. Das Vorgehen ist also diskriminierend. Abgeschnitten vom Rest der Welt erhalten die Menschen an Bord der Quarantäneschiffe weder rechtliche Aufklärung, noch die Möglichkeit, Anwält*innen, ihnen bekannte Ärzt*innen oder Organisationen an Land zu kontaktieren. Die Schiffe fungieren als „schwimmende Hotspots“, in der die willkürliche und präventive Unterscheidung zwischen Asylsuchenden und „Wirtschaftsmigrant*innen“ umgesetzt und Abschiebungen vorbereitet werden können. Dass bis in die erste Oktoberhälfte 2020 hinein unbegleitete minderjährige Geflüchtete an Bord festgehalten worden sind, stellt eine schwerwiegende Rechtsverletzung dar. Außerdem wurde im Oktober durch verschiedene Hinweise bekannt, dass wiederholt Personen ausländischer Herkunft, die sich teilweise bereits seit Monaten auf italienischem Territorium befanden, aus den Aufnahmezentren an Land geholt und auf die Quarantäneschiffe gebracht worden sind. Illegale Handlungen dieser Art scheinen zurzeit eingestellt, doch eine öffentlich ausgesprochene Garantie dafür gibt es nicht.
ÖKONOMISCHE ASPEKTE
Ferner wird analysiert, wie die Quarantäneschiffe nach der entsprechenden Ausschreibung des Verkehrsministeriums ausgewählt und die privatwirtschaftlichen Betreiber in beschleunigten Vergabeverfahren beauftragt wurden. Die Gesamtkosten dieser Operation zu ermitteln ist nicht nur rechnerisch unmöglich, sondern auch deswegen schwierig, da für Sicherheitspersonal und Gesundheitsfürsorge durch die gleichzeitige Tätigkeit an Land und auf See Mehrkosten anfallen. Dennoch kann man auf Grundlage der Mitteilungen des Innenministeriums davon ausgehen, dass entsprechende Einrichtungen an Land 30-40€ pro Tag pro Migrant*in kosten. Die gleiche Dienstleistung an Bord eines Quarantäneschiffes hingegen kostet um die 150-200€, wie aus den öffentlichen Ausschreibungen abgeleitet werden kann. Absolute Unverhältnismäßigkeit, schwerwiegende Intransparenz und ein völliger Mangel an entsprechender Kommunikation.
SOZIALE KONSEQUENZEN
Da die Quarantäneschiffe ausschließlich für Migrant*innen genutzt werden, wird ein bestimmtes Bevölkerungssegment in Italien zunehmend stigmatisiert. Im November 2020 waren von 2448 Personen an Bord nur 197 COVID-19-positiv, d.h. 8%. Die perverse, alarmistische und vollkommen unbegründete Debatte über das vermeintliche öffentliche Gesundheitsrisiko, das sich aus der Ankunft ‚pestverbreitender‘ Migrant*innen ergäbe, wird nun von der besorgniserregenden Ankündigung flankiert, ein Quarantänemodell „mit erhöhter Sicherheit“ für die an italienischen Küsten angekommenen Migrant*innen zu finden. Beschämend sind nicht zuletzt populistische Rhetoriken, denen zufolge Migrant*innen dadurch ‚privilegiert‘ würden, dass sie die Quarantäne auf Schiffen verbringen ‚dürften‘, die mit Bars, Schwimmbädern und Kinos ausgestattet seien.
„Das Recht auf Leben und das Recht auf Gesundheit dürfen nicht abhängig von Herkunft und Staatsbürgerschaft variieren. Sorgen wir stattdessen mit vereinten Kräften für ein sicheres und würdevolles Aufnahmesystem.“ So lautet die einhellige Forderung der Unterzeichner*innen.
Um die Verbreitung des Dokuments zur „Problematik der Quarantäneschiffe für Geflüchtete: Analyse und Forderungen“ wird mit Nachdruck gebeten.
Weitere Unterzechner*innen bitte <link https: docs.google.com forms d e viewform external link in new>hier.
Pressesekretariat
CISS/Cooperazione Internazionale Sud Sud | Forum antirazzista Palermo
Pasqua de Candia, <link>p.decandia@cissong.org - 091 6262694
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