Asylsuchende werden in Ungarn rechtswidriger Inhaftierung, Misshandlungen in Haft und der Gefahr von Kettenabschiebungen ausgesetzt. Dies dokumentiert ein heute erschienener Bericht des UNHCR-Regionalbüros in Budapest. Der Bericht ist ein eindeutiger Beleg für systemische Mängel der Aufnahmebedingungen und des Asylverfahrens in Ungarn.
“Die Bundesregierung muss Abschiebungen nach Ungarn sofort stoppen”, so Karl Kopp, Europareferent von PRO ASYL. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 dürfen Asylsuchende aus EU-Staaten nicht in andere Mitgliedstaaten abgeschoben werden, wenn dort systemische Mängel im Asylsystem vorliegen, aus denen sich eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ergeben kann.
Bisher waren Betroffene drohenden Rückschiebungen weitgehend schutzlos ausgeliefert. Nicht allein mit Blick auf Rückschiebungen nach Ungarn begrüßt daher der FLÜCHTLINGSRAT SCHLESWIG-HOLSTEIN den aktuellen Erlass des Kieler Justizministeriums zur Zustellung von Rückschiebungsbescheiden für Personen, die der Dublin-II-Verordnung unterliegen (<link fileadmin pdf behoerden erlass_jumi_2012-04-19_zustellung-rueckfuehrunge.pdf>Erlass vom 19.4.2012). Dem Erlass gemäß dürfen diese Bescheide nicht mehr erst zum nicht vorher angekündigten Abschiebungstermin ausgehändigt werden. Ab sofort müssen Betroffen so rechtzeitig von der anstehenden Rückschiebung in das asyl-zuständige EU-Land in Kenntnis gesetzt werden, dass sie ggf. noch rechtzeitig gerichtlichen Eilrechtschutz beantragen könnten. Solcher Eilrechtsschutz ist inzwischen von vielen Verwaltungsgerichten mit Blick auf die desaströse rechtliche und soziale Lage von Flüchtlingen in EU-Staaten wie Griechenland, Malta, Italien und nicht zuletzt Ungarn zugestanden worden. In solchen Fällen ist Deutschland zur Durchführung des Asylverfahrens verpflichtet.
Problematisch bleibt aus Sicht des Flüchtlingsrates allerdings weiterhin, dass asyl- und aufenthaltsrechtlich die Bundespolizei für zahlreiche Dublin-II-Flüchtlinge in Schleswig-Holstein zuständig ist. Das Bundesland ist Transitland für viele Asylsuchende, deren Fluchtweg nicht selten nach dem Aufgriff durch die Bundespolizei im Abschiebungsgefängnis in SH endet. Die Bundespolizei ist in ihrer Einzelfallzuständigkeit fachaufsichtlich keinen Ländererlassen verpflichtet und von dem übergeordneten Bundesinnenministerium ist ohne politischen Druck ein entsprechender Erlass nicht zu erwarten. "Wir appellieren an Justizminister Schmalfuß, beim Bund einen Erlass zu erwirken, der die Rückschiebungspraxis der Bundespolizei gleichen rechtstaatlichen Bedingungen unterwirft, wie sie für die Landes- und Kommunalbehörden gelten" fordert Martin Link, Geschäftsführer beim Kieler Flüchtlingsrat.
Der besagte UNHCR-Bericht weist nach, dass Asylsuchende in Ungarn regelmäßig unmenschlicher und erniedrigender Behandlung ausgesetzt werden. Bisher wurden im Rahmen des europäischen Asylzuständigkeitssystems Flüchtlinge aus Deutschland nach Ungarn, Malta oder Italien abgeschoben, wenn diese über eines dieser Staaten in die EU eingereist waren.
Das 28-Seitige Dokument des UNHCR belegt, dass Asylsuchende - selbst Minderjährige - in Ungarn regelmäßig rechtswidrig inhaftiert oder in Gefahr für Leib und Leben in Drittstaaten weiterabgeschoben werden. Im Dezember 2010 wurde die ungarische maximale Abschiebungshaftdauer von sechs auf zwölf Monate heraufgesetzt. Im Jahr 2011 mussten zwei Drittel aller Asylsuchenden ihr Schutzgesuch in Haft stellen. Effektive Rechtsmittel gegen die Verhängung von Abschiebungshaft werden den Inhaftierten verweigert. Der Bericht dokumentiert zudem Misshandlungen in den Haftanstalten, das Verabreichen von Beruhigungsmitteln und elende soziale Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende.
Downloads zum Thema:
- Zum UNHCR-Bericht “Observations on the situation of asylum- seekers and refugees in Hungary", April 2012: http://www.unhcr.org/refworld/docid/4f9167db2.html
- Ungarn-Bericht von PRO ASYL im Internet: <link http: www.proasyl.de de presse detail news unhcr_belegt_menschenrechtsverletzungen_im_ungarischen_asylsystem moz-txt-link-freetext>www.proasyl.de/de/presse/detail/news/unhcr_belegt_menschenrechtsverletzungen_im_ungarischen_asylsystem/
- Der Erlass des Kieler Justizministeriums vom 19.4.2012: <link fileadmin pdf behoerden erlass_jumi_2012-04-19_zustellung-rueckfuehrunge.pdf moz-txt-link-freetext>www.frsh.de/fileadmin/pdf/behoerden/Erlass_JuMi_2012-04-19_Zustellung-Rueckfuehrunge.PDF
gez. Martin Link, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.