Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein schließt sich der vielstimmigen Kritik an der Vorlage zum Familiennachzugsneuregelungsgesetz (FzNeuG) an und fordert den Deutschen Bundestag auf, den Gesetzesentwurf am Freitag abzulehnen. Die Vorlage geht weit über das schon im Koalitionsvertrag gegen Geflüchtete Vereinbarte hinaus und stellt einen weiteren Schritt in Richtung einer inhumanen und familienfeindlichen Flüchtlingspolitik dar.
Der Flüchtlingsrat kritisiert das Gesetz als unions-, völkerrechts- und verfassungswidrig. Es geht an den Bedarfen der betroffenen Menschen vorbei und schränkt Elementare Grund- und Menschenrechte ein (BT-Ausschussdrucksache 19(4)33).
Die fortgesetzte Unterscheidung zwischen Flüchtlingen im Sinne der der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und subsidiär Geschützten, weil letztere nur einen kurzfristigen Schutzstatus hätten, ist rechtlich nicht gedeckt. Beide Gruppen werden europarechtlich als gleichermaßen „international schutzberechtigt“ bezeichnet und befinden sich in Sachen Familiennachzug in der selben Lage. Die größte Gruppe der Betroffenen sind vor Bürgerkriegen in Syrien, Irak und Afghanistan Geflohene. Eine gefahrlose Rückkehr ist für sie nicht möglich oder zeitnah zumutbar.Ihr Familienleben kann nicht anders gewährleistet werden, als durch eine Zusammenführung in dem Staat, der einem Familienmitglied Schutz zugesprochen hat.
Der grundsätzliche Ausschluss eines Anspruchs auf Familienzusammenführung (§ 36a Abs. 1 S. 3 AufenthGE) für subsidiär Geschützte stellt eine unfaire und unverhältnismäßige Interessenabwägung zu Lasten der Betroffenen dar. Das vorgesehene Kontingent von 1.000 humanitären Visa pro Monat würde das Recht auf Familieneinheit (Art. 8 EMRK, Art 7 EU-Charta der Grundrechte, Art. 6 Grundgesetz) der Betroffenen willkürlich beschränken. Es drängt sich die Frage auf, was mit der 1.001. Familie jeden Monats passieren soll.
Besonders der Primat des Kindeswohls verbietet diese diskriminierende Unterscheidung zwischen Flüchtlingen im Sinnen der GFK und subsidiär Schutzberechtigten. Die Berücksichtigung von Kindeswohlinteressen im behördlichen Ermessen würde jenseits der 1.000-Visa-Grenze unmöglich. In der Praxis führt das zu langen Trennungen von Kindern und ihren Eltern.
Die Kriterien für die Auswahl der 1.000 Nachziehenden sind offensichtlich ungeeignet. So ist nicht nachzuvollziehen, weshalb Integrationsleistungen (§ 36a Abs. 2 S. 4 AufenthGE) für den Nachzug aus humanitären Gründen ausschlaggebend sein sollen. Personen, die Integrationsleistungen vorweisen können, müssen außerhalb solcher Kontingente Anspruch auf Familiennachzug haben.
(Ausschluss-) Kriterien wie die Dauer der Trennung (§ 36a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthGE), schwerwiegende Erkrankungen (§ 36a Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AufenthGE) oder die zu erwartende Aufenthaltsperspektive (§ 36a Abs. 3 Nr. 3 AufenthGE) verlangen den zuständigen Ausländerbehörden aufwändige, einzelfallbezogenen Ermittlungen ab. Es erscheint deshalb fraglich, ob unter den gegebenen Bedingungen die Erfüllung des Kontingents überhaupt möglich wäre. Zu erwarten stehen ganz im Gegenteil lange, intransparente Verfahren.
Die Beschränkung des Nachzugs von Ehepartner*innen auf Ehen, die vor der Flucht geschlossen wurden (§ 36 a Abs. 3 Nr. 1 AufenthGE), geht an der Realität vorbei. Mehrjährige Fluchterfahrungen mit längeren Aufenthalten an unterschiedlichen Stationen, an denen auch Ehen und Familien gegründet werden, sind keine Seltenheit – auch solche Familie sind schutzwürdig! Das für diese Differenzierung ein erforderlicher Sachgrund fehlt, wurde bereits vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt (EGMR , Urteil v. 6.11.2012, Nr. 22341/09, Hode und Abdi vs. Vereinigtes Königreich).
Eine Aussetzung des Familiennachzugs bei Einleitung des Widerrufs- oder Rücknahmeverfahrens (§79 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 AufenthGE ) gäbe den Behörden weitreichende Möglichkeiten den Nachzug von Familienangehörigen zu verhindern. Dies gilt umso mehr, wenn man die im GroKo-Koalitionsvertrag vereinbarte Überprüfung aller positiven Entscheide nach drei Jahren berücksichtigt.
Ärzte ohne Grenzen bestätigt, die Sorge um die Familie ist mit Abstand die größte psychosoziale Belastung für Geflüchtete – 80% gaben dies bei einer Befragung 2017 als ihre Hauptsorge an (BT-Ausschussdrucksache 19(4)58). Die mit dem vorgesehen Gesetz geplante Neuregelung wird für viele die Zeit der Trennung von ihren Familien unkalkulierbar verlängern.
Selbst bei voller Auslastung des Kontingents würde es zwei Jahre dauern, um alleine die bis März 2018 anhängigen Altanträge positiv zu bescheiden (Antwort auf kleine Anfrage der FDP-Fraktion, BT-Drucksache 19/2060). Zwischenzeitig setzt sich für die Betroffenen die Trennung von ihren Liebsten fort. Menschen leben in Deutschland mit dem Wissen, dass ihre Familienangehörigen den täglichen Gefahren in Herkunftsländern wie Somalia, Afghanistan oder Syrien ausgesetzt sind. Diese Situation verhindert wirkungsvoll, dass sie sich auf die Integration in die neue Gesellschaft konzentrieren können. Hauptsächlich dient die Gesetzesvorlage deshalb dazu, Integrationsbemühungen zu unterminieren.
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein fordert den Bundestag auf, den Gesetzesentwurf zur Neuregelung des Familiennachzugs subsidiär Schutzberechtigter nicht anzunehmen sondern für eine Gleichstellung von subsidiär Schutzberechtigten und Flüchtlingen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention Sorge zu tragen!
gez. Martin Link, T. 0431-735 000, <link>public@frsh.de
Letzte Meldung, 15.6.2018:
Der Bundestag hat am 15.6.2018 das <link https: www.zeit.de news deutschland-bundestag-beschliesst-neuregelung-von-familiennachzug-fuer-subsidiaer-schutzberechtigte-15131207>"Familiennachzugsneuregelungsgesetz" mehrheitlich beschlossen, mit Stimmen der Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD.
PRO ASYL hatt zuvor dazu noch einmal <link https: www.proasyl.de pressemitteilung statt-recht-auf-familie-gluecksrad-familiennachzug>Stellung genommen.
Hier die web-links zu <link https: www.bundestag.de external-link-new-window external link in new>Sachverständigenanhörung im Bundestag und <link https: www.bundestag.de dokumente textarchiv kw24-de-familiennachzug external-link-new-window external link in new>Bundestagsdebatte zum Nachhören und Nachlesen.
Der Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung für subsidiär Schutzberechtigte wurde damit heute vom Bundestag abgeschafft.