Das BVerfG erklärt, dass das Existenzminimum durch einen Rechtsanspruch gesichert werden muss. Das MJFSIGSH allerdings meint am 8.12.2022 gegenüber dem FRSH: "Der Beschluss des BVerfG wird in S-H ohne eine gesetzliche Änderung umgesetzt." Für die Anpassung der AsylbLG-Leistungen im Nachgang zum BundesVerfG-Beschluss vom 19.10.2022 bedürfe es - im Gegensatz zur Rechtsauffassung des FRSH - demnach keiner gesetzlichen Fixierung. Als Grundlage für Anpassungen genüge eine Rundmail des BMAS vom 1.12.2022 an die Bundesländer, die u.a. auch die Grundlage der am 8.12.2022 an die schleswig-holsteinischen Leistungsbehörden ergangenen Rundmail ist:
Auszug:
"(...) mit dem als Anlage beigefügten am 24.11.2022 veröffentlichtem Beschluss (1 BvL 3/21) hat das Bundesverfassungsgerichts [am 19.10.2022] entschieden:
- '§ 2 Absatz 1 Satz 4 Nummer 1 Asylbewerberleistungsgesetz in der Fassung des Artikel 1 Nummer 3 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13. August 2019 (Bundesgesetzblatt I Seite 1290) ist mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit für eine alleinstehende erwachsene Person ein Regelbedarf lediglich in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird.
- Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung wird angeordnet: Auf Leistungsberechtigte nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Asylbewerberleistungsgesetz findet § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit dem Regelbedarfsermittlungsgesetz und §§ 28a, 40 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes oder in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes für jede allein[1]stehende erwachsene Person der Leistungsbemessung ein Regelbedarf in Höhe der jeweils aktuellen Regelbedarfsstufe 1 zugrunde gelegt wird. Für die bei Bekanntgabe dieser Entscheidung nicht bestandskräftigen Leistungsbescheide gilt dies ab dem 1. September 2019. Bereits bestandskräftige Bescheide bleiben unberührt, soweit vorhergehende Leistungszeiträume betroffen sind.'
Zu den von den Ländern über die ArgeFlü dem Bund im Zusammenhang mit der Umsetzung des Urteils gerichteten Fragen vom 25.11.22 hat das BMAS sich per Mail vom 01.12.22 erklärt:
- Ist der Beschluss auf Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG anwendbar?
§ 3a enthält parallele Regelungen (§ 3a Abs. 1 Nr. 2b und Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG), der Beschluss bezieht sich nur auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG
Antwort:
'Das BMAS vertritt die Auffassung, dass der o.g. Beschluss zur Verfassungswidrigkeit der Regelung nach § 2 Absatz 1 Satz 4 Nummer 1 AsylbLG auch bei der Gewährung von Grundleistungen nach §§ 3 bzw. 3a AsylbLG angewandt werden sollte.
Die der Verfassungswidrigkeit der Norm zugrundeliegende Begründung, es gäbe keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass in den Sammelunterkünften regelmäßig tatsächlich Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften erzielt werden oder werden können, die eine Absenkung der Leistungen um 10 % rechtfertigen würden, ist von grundsätzlicher Natur. Wir gehen daher von einer Anwendbarkeit des Beschlusses auch auf die Parallelregelungen in § 3a Absatz 1 Nummer 2 und Absatz 2 Nummer 2 AsylbLG für Leistungen im Grundleistungsbezug aus.'
- Welcher Zeitpunkt ist für die Umsetzung relevant?
Der Beschluss ist vom 19.10.2022, die Pressemitteilung sowie die Veröffentlichung der Gründe am 24.11.2022. Ab wann gilt der Beschluss als bekanntgegeben, so dass die Regelung des BVerfG Anwendung finden muss? Das ist vor allem für die Neufälle relevant.
Antwort:
'Da der Beschluss des Senats ohne vorherige mündliche Verhandlung erfolgte, gilt er mit der schriftlichen Übermittlung an die Beteiligten, also am 24. November 2022, als bekannt gegeben.'
- Sind Rückzahlungen aufgrund des Beschlusses des BVerfG als Vermögen anzurechnen oder bleiben sie von der Anrechnung frei?
Antwort:
'Das BMAS ist der Auffassung, dass Nachzahlungen von Asylbewerberleistungen aufgrund der im BVerfG-Beschluss getroffenen Anordnung zur Neuberechnung nicht bestandskräftiger Leistungsbescheide nicht als Vermögen einzusetzen sind. Für den Analogleistungsbezug nach § 2 Absatz 1 Satz 1 AsylbLG ergibt sich dies bereits aus der entsprechenden Anwendung des § 90 Absatz 3 SGB XII. Eine Härte im Sinne des § 90 Absatz 3 SGB XII liegt dann nahe, wenn das Vermögen aus nachgezahlten oder angesparten Leistungen stammt, die - wie hier - nach § 82 Absatz 1 Nummer 1 SGB XII analog nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind.
Bezüglich des Grundleistungsbezugs nach §§ 3 bzw. 3a AsylbLG sind die oben ausgeführten Erwägungen zum Durchgriff der Einkommensfreilassung auf die Vermögensanrechnung vorliegend nach Auffassung des BMAS ausnahmsweise entsprechend anzuwenden. Dies ist notwendig, damit die Wertung des BVerfG nicht dadurch konterkariert wird, dass wegen der Nachzahlungen - welche gemäß § 7 Absatz 2 Nummer 1 AsylbLG nicht als Einkommen gelten - im Folgemonat Leistungen mit Hinweis auf den Vermögenseinsatz gemäß § 7 Absatz 1 AsylbLG verwehrt werden.'
Ich bitte um Kenntnisnahme."