Die von interessensgeleiteten Parteien monatelang beförderte „Debatte“ um angeblichen „Sozialmissbrauch“ durch Zugewanderte aus Rumänien und Bulgarien trifft auf erschreckend hohe Resonanz in Teilen der politischen Klasse, der Medien und an den Stammtischen.
Inzwischen hat die Bundesregierung mit dem Zwischenbericht zur Zuwanderung nachgelegt und schlägt weitere gesetzliche – im Ergebnis diskriminierende – Regelungen für EU-ZuwanderInnen vor. So soll diesen bei Rechtsverstößen für eine gewisse Zeit die Wiedereinreise verboten werden. Zudem soll die Aufenthaltsdauer zur Arbeitssuche befristet und die Auszahlung von Kindergeld an strengere Vorgaben geknüpft werden.
„Wir protestieren energisch gegen eine solche rechtspolitische Stimmungsmache, die Opfer zu Tätern erklärt.“ kritisiert Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Stattdessen sei die Politik aufgefordert, den sich in der Freizügigkeitsdebatte bahnbrechenden in der Gesellschaft vorhandenen rassistischen Ressentiments etwas entgegenzusetzen.
Tatsächlich haben verschiedene aktuelle Studien, z. B. vom Institut der Deutschen Wirtschaft, aufgezeigt, dass Migrantinnen und Migranten aus Bulgarien und Rumänien – unter ihnen eine Großzahl Minderheitenangehöriger – weit weniger arbeitslos gemeldet sind als andere Zugewanderte, und dass sie auch wesentlich weniger SGB-II-Leistungen in Anspruch nehmen.
„Der Vorwurf des ‚Sozialmissbrauchs‘ ist besonders schäbig, weil jede/r Zweite der ZuwanderInnen aus Bulgarien und Rumänien in Deutschland für einen Niedriglohn arbeitet.“ erklärt Link. Bei Deutschen sei es jede/r Fünfte. Hinzu käme, dass viele RumänInnen und BulgarInnen als grenzüberschreitende Leih- und Werkvertragsarbeitskräfte mangels Alternative ihre Arbeitskraft klaglos zu extremen Dumpinglöhnen ohne Sozialversicherungsschutz zu Markte tragen.
Insbesondere in diesem dunkelgrauen Arbeitsmarkt wird der geplante Mindestlohn für betroffene Arbeitskräfte aus osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten sich kaum auf freiwilliger Basis durchsetzen. Der Flüchtlingsrat fordert ein Ende der Kriminalisierung der in diese prekären Lohnarbeitsfelder abgedrängten Betroffenen und unterstützt vor diesem Hintergrund gewerkschaftliche Forderungen, stattdessen Zoll und Gewerbeaufsicht angemessen zur Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohngesetzes personell auszustatten.
In der täglichen Beratungspraxis in Schleswig-Holstein wird deutlich, welche erheblichen Hürden insbesondere RumänInnen und BulgarInnen auch hierzulande überwinden müssen, bevor sie in den regulären Arbeitsmarkt eintreten können.
Zum Beispiel setzt qualifizierte Arbeit i.d.R. eine Anerkennung der im Ausland erworbenen Bildungsabschlüsse oder beruflichen Qualifikationen voraus, die ohne fachkompetente Unterstützung kaum zu erreichen ist. Die Kosten des für die Betroffenen teuren Verfahrens werden allzu oft nicht von Arbeitsverwaltungen übernommen, da für MigrantInnen, die „zur Arbeitssuche“ eingereist sind, kein Anspruch auf SGB-II-Leistungen besteht.
Die Not jedoch, irgendeine Arbeit anzunehmen, führt schließlich direkt in die von Dumpingentlohnung bestimmten prekären Arbeits- und Lebensbedingungen. Ein Teufelskreis aus dem Betroffene nicht auszubrechen wagen, weil, würden sie selbst kündigen, sie keine SGB II–Leistungen bekämen. Im Ergebnis bestehen für betroffene prekär Beschäftigte faktisch keine Möglichkeiten der Misere durch Fortbildung - z.B. durch Teilnahme an Anpassungsqualifizierungen oder Sprachkursen - zu entkommen und ihr tatsächliches berufliches Potenzial auszuschöpfen.
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein fordert wirksame Maßnahmen gegen rassistische Stimmungsmache und auf Ausgrenzung ausgelegte Verunglimpfungen von WanderarbeiterInnen aus Rumänien, Bulgarien und von Anderswo.
Der Flüchtlingsrat fordert wirksame Instrumente zur Durchsetzung des Mindestlohns für prekär Beschäftigte.
Der Flüchtlingsrat fordert freien Zugang für alle auf den Arbeitsmarkt Zuwandernden zu Arbeitsmarktförderungsangeboten.
gez. Martin Link
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Anlage: PE vom 29.4.2014 mit Hintergrundpapier