Im Verlauf einer Diskussionsveranstaltung im Kieler Landeshaus am 17. Mai wurde breite Kritik am Rücknahmeabkommen zwischen Deutschland und dem Kosovo sowie der Abschiebungen von Roma in das Kosovo deutlich.
In Zusammenarbeit mit dem Kieler Flüchtlingsrat und dem Landesverband der Deutschen Sinti und Roma hatte die SPD-Fraktion unter der Überschrift “Keine Abschiebung! Zur Situation der Roma in Südosteuropa” renommierte KennerInnen der Situation dieser ethnischen Minderheit ins Landeshaus eingeladen.
Das Impulsreferat zum Thema Roma in Südosteuropa hielt Dr. Stephan Dünnwald. Nach seinem letzten Aufenthalt im Kosovo veröffentlichte er Ende 2009 seinen alarmierenden Bericht zur Lebenssituation von aus Deutschland abgeschobenen Roma, Ashkali und Angehörigen der Ägypter-Minderheit. Er ging ausführlich auf die für abgeschobene Roma nicht bezahlbare Gesundheitsversorgung, die äußerst beengten Wohnverhältnisse, fehlende Arbeit, den fehlenden Schutz durch die albanische Polizei und den verwehrten Zugang der Kinder in das Bildungssystem ein. “Es gibt eine doppelte Diskriminierung: Einmal als Rückkehrer und dann als Roma. Im Ergebnis sind ihre Kinder in der Schule praktisch nicht anzutreffen.” Die vorhandenen Integrationspapiere des jungen Staates Kosovo seien leider nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen. Denn sie haben keine Entsprechung in der Realität. "Und die Realität ist es, auf die wir achten müssen."
Etwa 2/3 der ins Kosovo abgeschobenen Roma verlassen das Land schnell wieder. Die alten Sozialstrukturen bestehen nicht mehr und ohne Perspektive geht die Flucht in ein menschenwürdiges Leben weiter.
In der anschließenden Podiumsdiskussion verwies Ewa Chylinski, Stellvertretende Direktorin vom European Centre for Minority Issues (ECMI) auf das aktuelle europäische Jahr gegen Armut und Ausgrenzung. Viel werde gesprochen, aber zu wenig wirklich gemacht. "In der EU sind Minderheiten kaum sichtbar, nicht nur Roma, auch andere Minderheiten werden nicht anerkannt."
MdL Anke Spoorendonk, Vorsitzende der SSW-Landtagsfraktion lenkte den Blick auf eine Studie der Menschenrechtsagentur in Wien, die Diskriminierung von Roma in der gesamten EU deutlich macht. "Es sind Instumente gegen die Diskriminierung von Roma und anderen Minderheiten vorhanden, sie werden nur nicht gut genug genutzt."
Auf die dunkle Tradition der Roma-Diskriminierung in Deutschland und die sich daraus ergebende historische Verantwortung verwies Martin Link vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Das vereinbarte Rückübernahmeabkommen zwischen Deutschland und dem Kosovo führe nun nicht zu einer neuen Idee von Abschiebungen - diese Idee hat eine schon Jahre dauernde Praxis. In der Schlussrunde der Diskussion forderte Link den "Widerstand gegen die etablierte Flüchtlingspolitik, die sich nur an Kosten orientiert." Er verwies auf die Ende Ende Mai in Hamburg stattfindende Innenministerkonferenz, auf der die Rückführung von Roma Thema sein werde.
Matthäus Weiß, Vorsitzender des schleswig-holsteinischen Landesverbandes der Deutschen Sinti und Roma stimmte der Forderung nach Solidarität zu. Er kritisierte u.a. die Verschleierung der Tatsachen durch Namen wie "freiwillige Rückkehr" oder "Rückübernahmeabkommen": “Kein Mensch geht freiwillig in eine Situation, in der die Familie geschlagen wird, wo die Kinder aus Angst nicht zur Schule gehen können und wo sie hungern müssen. Das sind Deportationen." Im Kosovo erwarte die z.T. seit 10 bis 20 Jahren hier geduldeten Flüchtlinge auswegloses Elend.
In seiner Moderation schloss sich der Europapolitische Sprecher der SPD Fraktion, MdL Rolf Fischer der Einschätzung an, dass Rückführungen Zwangsmaßnahmen gegen Menschen sind. Er kritisierte, dass nicht nur die abgeschobenen Roma in die Illegalität abgedrängt werden, sondern auch die Personen und Gruppen, die sie unterstützen. Er verwies auf den Minderheitenschutz als Kriterium für die neuen Mitglieder der EU und der Nichterfüllung dieses Kriteriums durch die alten EU-Länder. Eine parlamentarische Initiative gegen Abschiebungen von Roma und anderen Minderheiten ins Kosovo wurde von den Oppositionsfraktionen in Schleswig-Holstein gestartet.
In ihrem Schlusswort forderte die Migrationspolitische Sprecherin der SPD Fraktion, MdL Serpil Midyatli, diese Diskussion von der Fachebene runter zu brechen und allgemeine Aufmerksamkeit in Europa und Schleswig-Holstein für Roma und andere Minderheiten zu schaffen. "Roma und Sinti müssen in Schleswig-Holstein endlich in die Landesverfassung aufgenommen werden."
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein unterstützt den Antrag von Bündnis 90 / Die Grünen, SPD, SSW und Die Linke, Abschiebungen in das Kosovo auszusetzen. "Roma und Ashkali dürfen nicht in eine unzumutbare Situation abgeschoben werden!” fordert der Antrag, der am kommenden Freitag im Kieler Landtag diskutiert wird. Die Landesregierung ist aufgefordert, den sich in Schleswig-Holstein befindenden Roma ein Bleiberecht zu sichern.
gez. Andrea Dallek, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V., T. 0431-735 000, <link mail ein fenster zum versenden der>projekt[at]frsh.de