Während im vergangenen Jahr viel über die prekären Beschäftigungen von Erntehelfer*innen aus osteuropäischen Ländern berichtet wurde, scheint in diesem Jahr die Spargelernte wichtiger als ein faires Arbeitsrecht. So beschloss das Bundeskabinett Ende März 2021, dass landwirtschaftliche Betriebe ausländische Saisonkräfte 102 anstatt 70 Tage sozialversicherungsfrei beschäftigen dürfen. Ein Erfolg für Arbeitgeber*innen, eine problematische Entscheidung für die Arbeitnehmer*innen. <link https: www.bmel.de shareddocs pressemitteilungen de external link in new>Bundesagrarministerin Julia Klöckner begründet die neue Verordnungslage folgendermaßen: „Wenn ausländische Saisonarbeitskräfte länger in den Betrieben bleiben dürfen, reduziert das den Personalwechsel und die Mobilität – es ist ein Beitrag zur Pandemiebekämpfung.“typo3/
„Was Ministerin Klöckner als ‚Beitrag zur Pandemiebekämpfung‘ lobt, erweist sich als ein weiteres Instrument zur Benachteiligung von Billigarbeitskräften“, kritisiert Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Von der Sozialversicherungsfreiheit betroffene, meist aus dem Ausland eingereiste Saisonkräfte müssten bei einer Corona-Infektion oder anderen Erkrankungen die Kosten für die Behandlung selbst zahlen – und das bei einem gesetzlichen Mindestlohn von 9,50 Euro die Stunde.
Corona erschwert die Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Menschen
Darüber hinaus verschärft die Corona-Pandemie die Lage auf dem Arbeitsmarkt in vielen Bereichen. So bestätigen Arbeitsmarktakteur*innen im nördlichsten Bundesland, dass eine Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit zu erkennen sei, die sich durch alle Personenkreise zieht (vgl. <link https: www.arbeitsagentur.de datei arbeitsmarktbericht-marz-2021_ba146910.pdf external link in new>BA März 2021)typo3/. Zwar hätte sich die Quote der geflüchteten Menschen, die Arbeit finden, seit Beginn der Pandemie nicht verschlechtert. Allerdings sei einer <link https: www.covid-integration.fau.de files studie_covid19-integration_fau.pdf external link in new>aktuellen Studie nach der Zugang zu Fördermaßnahmen durch die Corona-Pandemie erheblich erschwert.typo3/
typo3/„Vor allem Jugendliche benötigen bei der Vermittlung in Arbeit und Ausbildung Unterstützung durch spezielle arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, wie der Berufsorientierung. Dies betrifft auch immer mehr junge Geflüchtete, die eine Ausbildung anstreben, und deren Einstieg sich ohne Fördermaßnahmen als weitaus schwieriger gestaltet“, beklagt Annika Fuchs vom Netzwerk zur Arbeitsmarktförderung für Geflüchtete – Mehr Land in Sicht!.
Doch für geflüchtete Menschen bestehen außer den Auswirkungen der Pandemie noch weitere Hindernisse für die Integration in den Arbeitsmarkt. Häufig sind es bürokratische Hürden, die die Vermittlungen scheitern lassen. So ist beispielsweise eine Voraussetzung für eine Ausbildung im Bereich der Pflege ein Realschulabschluss. „Wir erleben oft, dass ausländische Schulabschlüsse hier in Deutschland nicht anerkannt bzw. nur als Hauptschulabschluss anerkannt werden. Für bestimmte Berufe, besonders in der Pflege, wird oft die Berufserfahrung, die die Menschen aus ihrem Herkunftsland mitbringen, nicht berücksichtigt. Dabei wird in Deutschland oft nach Berufserfahrung gefragt. So liegen die mitgebrachten Qualifikationen oft brach und können nicht eingesetzt werden. Gerade mit Hinblick auf den nicht erst seit der Pandemie offensichtlichen Fachkräftemangel im Pflegebereich wirkt diese restriktive Politik geradzu widersprüchlich“, konstatiert Farzaneh Vagdy-Voß vom IQ Netzwerk in Schleswig-Holstein.
Über 200 000 geduldete Menschen leben in Deutschland
Wie wichtig aufenthaltsrechtliche Perspektiven für geduldete Menschen sind, verdeutlicht die hohe Zahl geduldeter Menschen in Deutschland. Mitte 2020 lebten laut Ausländerzentralregister rund 221.000 Menschen mit Duldung in der Bundesrepublik, 134.000 davon seit über drei Jahren (siehe <link https: dip21.bundestag.de dip21 btd external link in new>BT-Ds 19/22457)typo3/. Der Gesetzgeber reagierte 2019 mit dem Migrationspaket: So wurde beispielsweise mit der Ausbildungsduldung die Möglichkeit geschaffen, nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre zu erlangen. „Gleichzeitig werden aber für die neu geschaffene Beschäftigungsduldung u.a. erhebliche Vorbeschäftigungszeiten als Voraussetzung verlangt und mit der sogenannten ‚Duldung light‘ neue Arbeitsverbote geschaffen. Dies konterkariert das erklärte Ziel, den Kettenduldungen ein Ende zu machen und mit den beruflichen auch Bleibeperspektiven zu ermöglichen“, bemängelt Astrid Willer vom Netzwerk zur arbeitsmarktlichen Integration Geflüchteter Alle an Bord!
Forderungen
Anlässlich des Tags der Arbeit erheben die in Schleswig-Holstein engagierten und vom Paritätischen Wohlfahrtsverband und dem Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein koordinierten migrationsspezifischen Netzwerke zur Arbeitsmarktförderung Mehr Land in Sicht!, Alle an Bord! und das IQ Netzwerk SH – folgende Forderungen:
- Auch die Rechte von ausländischen Fachkräften gilt es zu schützen: Gerade in einer Pandemie muss jede*r Arbeitnehmer*in gesetzlich krankenversichert sein! Die Ausweitung der versicherungsfreien Arbeitstage muss wieder gestrichen werden.
- Die Vermittlung in Arbeit und Ausbildung muss so reibungslos wie möglich stattfinden. Deshalb müssen bürokratische Hürden bei der Anerkennung von Bildungsabschlüssen und Berufserfahrungen gesenkt und der Zugang zum Arbeitsmarkt der betroffenen Personen schnellstmöglich erleichtert werden!
- Anstatt sechs Monate muss der Gesetzgeber im Rahmen der Ausbildungsduldung gerade angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie eine längere Frist einräumen, um bei Abbruch der Ausbildung einen neuen Ausbildungsplatz zu finden bzw. um bei erfolgreichem Abschluss der Ausbildung einen Arbeitsplatz zu suchen. Zwischenzeitlich muss eine flexible Handhabung der gesetzlichen Fristen ermöglicht werden.
- Die integrationsschädliche ‚Duldung light‘ für Geduldete muss abgeschafft werden.
Pressekontakt:
Annika Fuchs, Netzwerkkoordination Mehr Land in Sicht!, Telefon: 0431 2393924, E-Mail: mehrlis@frsh.de www.MehrLandinSicht-SH.de