Auf Nachfrage hat das niedersächsische Innenministerium einen Bericht der taz vom 2.1.2024 bestätigt: Der Abschiebungsstopp für den Iran endete mit Ablauf des 31.12.2023.
Aus dem schleswig-holsteinischen Sozialministerium verlautet, dass NRW bei der Innenministerkonferenz im Dezember 2023 einen Beschlussentwurf zur Weitergeltung von Abschiebestopps für Menschen aus dem Iran zurückgezogen habe. Zudem habe das Bundesinnenministerium signalisiert, dass man eventuellen Verlängerungsbitten einzelner Länder unter dem Aspekt der Wahrung der Bundeseinheitlichkeit äußerst zurückhaltend begegnen werde.
Zur Begründung der Nichtverlängerung des Abschiebungsstopps heißt es aus dem nds. Innenministerium, der Abschiebungsstopp sei als Instrument der Intervention auf die unvorhergesehene Krise im Iran erlassen worden. Damit habe man iranischen Staatsangehörigen vorübergehenden Schutz geboten und ihren Aufenthalt weiterhin geduldet, ohne dass diese zunächst ein Asylverfahren durchlaufen mussten. Nunmehr müssten Iranerinnen und Iraner bei geltend gemachter Schutzbedürftigkeit im Rahmen eines Asylverfahrens beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihre individuell-konkret befürchtete Situation nach Rückkehr vortragen.
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein kritisiert diese Entscheidung: Vor dem Hintergrund fehlender Rechtsstaatlichkeit und willkürlicher Verhaftungen selbst von Personen, die freiwillig in den Iran zurückkehren, und der aktuell unter dem Eindruck des opferreichen Attentats in Kerman im Iran festzustellenden innenpolitischen Folgen ist der Beschluss der Innenministerkonferenz fahrlässig und unverantwortlich.
Sozialministerin Aminata Touré erklärte am 13.10.22 anlässlich des Erlasses eines schleswig-holsteinischen Abschiebungsstopps: "Die aktuelle Menschenrechtslage im Iran ist dramatisch. Täglich gehen iranische Sicherheitskräfte mit größter Härte gegen Demonstrantinnen und Demonstranten vor. Vor diesem Hintergrund ist es unverantwortlich, Personen in den Iran zurückzuführen.“ Der Flüchtlingsrat konstatiert, dass an dieser Gefährdungslage sich bis dato allerdings nichts zum Bessern geändert hat.
Sozialministerin Touré erklärte anlässlich ihrer o.g. Entscheidung auch mit Verweis auf den Konsens mit dem schleswig-holsteinischen Landtag: "Mit dem Erlass folgen wir auch dem Beschluss des schleswig-holsteinischen Landtages. Wir stehen solidarisch an der Seite der Menschen im Iran, die sich für alle Formen von Freiheit und insbesondere für die Rechte von Frauen einsetzen."
"Wir appellieren an die Parteien im schleswig-holsteinischen Landtag, sich jetzt auch nicht mit Sorge um Umfrageergebnisse rechter Parteien keinen schlanken Fuß zu machen und zu ihrer menschenrechtspolitischen Haltung gegenüber den Verfolgten im Iran und nach dort Ausreisepflichtigen zu stehen!" erklärt Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.
Diese politische Solidarität mit den im Iran unter dem Slogan "Frau.Leben.Freiheit" demonstrierenden und im Zuge innenpolitischer Verschärfungen unter dem Eindruck des Gaza-Krieges und vor den anstehenden Wahlen im Iran verfolgten Menschen ist im Bundesinnenministerium und in der IMK offenbar nicht mehr opportun. Sie ist aber weiterhin erforderlich, denn die politische Repression dauert an. Besonders gefährdet sind Menschen, die hier in Deutschland in den letzte Monaten und Jahren auf Solidaritätsdemos mit den Protesten im Iran waren, wie z. B. die Kölnerin Narges Mohammadi, die bei einem Besuch im Iran verhaftet und zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde.
- Der Flüchtlingsrat appeliert an die Abgeordneten des Landtages, sich ohne wenn und aber für einen schleswig-holsteinischen Iran-Abschiebungsstopp gegenüber der Landesregierung stark zu machen.
- Der Flüchtlingsrat appelliert an Sozialministerin Aminata Touré, ihrer nach wie vor aktuellen Einschätzung der Gefährdungs- und Menschenrechtslage im Iran treu zu bleiben und in diesem Sinne alle ihr mit Blick auf ausreisepflichtige Iraner*innen fachaufsichtlich zustehenden Möglichkeiten zu nutzen.
Hintergrund:
Der jetzt ausgelaufene Abschiebestopp wurde zunächst von einigen Ländern wie Nordrhein-Westfalen, Bremen und Niedersachsen in Eigenregie verhängt. Im Dezember 2022 einigte sich die IMK auf einen bundesweiten Abschiebungsstopp, den sie im Sommer 2023 mit Verweis auf die immer noch gravierende Menschenrechtslage bis Jahresende verlängerte. Vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge werden mehr als die Hälfte der Asylanträge iranischer Staatsangehöriger abgelehnt, selbst die bereinigte Schutzquote liegt nur bei 45,6%.
Geändert hat sich seither nicht die politische Lage im Iran, aber sehr wohl das politische Klima in Deutschland: Der vom Bundeskanzler ausgerufenen "Abschiebungsoffensive" folgen politische Beschlüsse zur Beseitigung von "Abschiebungshindernissen".
gez. Martin Link, Flüchtlingsrat SH, T. 0431-55685640, public[at]frsh.de