Die nun doch in eine weitere Runde gehenden Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas bleiben fragil und drohen u.a. an der Frage der Dauer einer Waffenruhe im Gaza-Krieg und der Freilassung der bis dato 133 verbliebenen Geiseln zu scheitern. Israel besteht auf einen Einmarsch in Rafah, bombardiert erste Viertel und kündigt gleichzeitig eine Zwangsevakuierungen an. Mit dieser Entwicklung droht ein ultimatives Inferno in diesem Konflikt.
Die Bundesregierung warnt vor einer „Katastrophe mit Ansage“, der EU Außenbeauftragte Josep Borell erwartet mit „mehr Krieg und Hungersnot das Schlimmste“ und fordert von der EU, ein solches Szenario zu verhindern. Die französische Regierung erklärt, dass „Zwangsumsiedlungen einer Zivilbevölkerung ein Kriegsverbrechen“ seien. Das Kinderhilfswerk UNICEF ist mit Blick auf die von 1,2 Mio. Geflüchteten 600.000 Kinder alarmiert: es gäbe für sie kein Entkommen, Evakuierungskorridore seien vermint, mit scharfen Sprengkörpern übersät und hunderttausende Kinder in Rafah seien verletzt, krank, mangelernährt, traumatisiert oder leben mit einer Behinderung. Jordaniens Außenminister Al Safadi zufolge drohe der internationalen Gemeinschaft ein „unauslöschlicher Schandfleck“, sollte es zu einem Militärschlag in Rafah kommen.
Angesichts einer so drohenden Gewalteskalation und erwartbar einhergehenden humanitären Katastrophe fordert der Flüchtlingsrat die schleswig-holsteinische Landesregierung auf
- zur Aufnahme von verletzten und medizinisch behandlungsbedürftigen zivilen Gewaltopfern aus dem Gaza-Streifen.
- zu einer Bundesratsinitiative für ein Aufnahmeprogramm für vulnerable zivile Kriegsflüchtlinge aus dem Gaza-Streifen.
- beim Asyl-Bundesamt ein Einlenken und eine Aufhebung des geltenden Asyl-Entscheidungsstopps zu erwirken.
Die Bundesregierung fordert der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein auf,
- von den Gaza-Kriegsparteien einen sofortigen und endgültigen Waffenstillstand einzufordern und diesen nötigenfalls im Zusammengehen mit den europäischen Partnern mit zielführenden diplomatischen Initiativen zu erzwingen.
Hintergrund:
Die jüngsten israelischen Raketenangriffe auf die Stadt Raffah im Süden des Gaza-Streifens und Raketen der Hamas auf den Grenzübergang Kerem Shalom und andere israelische Ziele drohen laut UNO in Rafah in einem Massaker und einer humanitären Katastrophe bisher unbekannten Ausmaßes zu eskalieren. Aus den bisher umkämpften Gebieten der palästinensischen Enklave sind in den vergangenen Monaten über 1 Mio. Menschen in die kleine schon zuvor überbevölkerte Stadt Rafah geflohen. Schon längst ist auch dort die soziale und medizinische Infrastruktur weitgehend zerstört. EU, UNO und internationale Hilfsorganisationen beklagen, dass in diesem Krieg schon seit Monaten Hunger als Kriegswaffe eingesetzt wird.
"Im Süden des Gaza-Streifens droht eine unter den gegebenen Umständen flächendeckender Zerstörung nicht mehr händelbare Binnenfluchtkatastrophe", mahnt Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Die von der israelischen Armee der Bevölkerung Rafahs als Zuflucht gewiesene Zeltstadt am Strand hat nicht einmal für ein Zehntel der schon jetzt Ausgebombten Platz - zumal dort weder eine bedarfsgerechte soziale, medizinische noch sanitäre Infrastruktur für so viele Vertriebene vorgehalten wird.
Zwischenbilanz
Sollte die Reanimierung der internationalen Aufmerksamkeit für die seit Dekaden ungelöste Palästinafrage Ziel der Hamas-Angriffe vom 7. Oktober gewesen sein, erweist sich das inzwischen als Pyrrhussieg. Infolge des Massakers der Hamas und ihrer Verbündeten an fast 1.200 israelischen Zivilist*innen sowie über 200 Geiselnahmen sind laut UN-Angaben bis zum 1. Mai 2024 im Zuge israelischer Luftschläge und Bodenoffensiven mindestens 34.568 Palästinenser in Gaza getötet und 77.765 verletzt worden - mehrheitlich Frauen und Kinder. Unter den Ruinen werden laut UNO noch über 10.000 weitere Opfer vermutet, deren Verwesung die Ausbreitung von Krankheiten beschleunigt. Seit dem 7. Oktober 2023 wurden laut israelischer Quellen 262 Soldaten getötet und 1.602 im Gaza-Streifen seit Beginn der Bodenoperationen verletzt.
Allein die Zerstörungen im Gaza-Streifen sind laut Euro-Med-Human-Rights-Monitor und OXFAM schon jetzt immens: bis März wurden 241.000 Wohneinheiten stark beschädigt und 99.000 vollends zerstört. Darüber hinaus liegen bis dato 406 Schulen, 5 Universitäten, 1.900 Produktionsstätten, 28 Krankenhäuser, 65 Kliniken, 613 Moscheen, 3 Kirchen und 199 Kulturstätten in Trümmern. Weltbank und Vereinten Nationen berechnen im April den Schaden auf etwa 19 Milliarden US-Dollar. Seit Beginn des Gaza-Krieges eskaliert die Gewalt auch in der Westbank und es herrscht eine Atmosphäre der Angst.
Schon im November hatten die Flüchtlingsräte Schleswig-Holsteins und Niedersachsens sich gegenüber Bund und Ländern – bis dato erfolglos – für die Aufnahme von verletzten zivilen Opfern des Gaza-Krieges eingesetzt. Schon im März forderten die Flüchtlingsräte Schleswig-Holsteins, Niedersachsens, Hamburgs und Sachsens die sofortige Aufhebung des Entscheidungsstopps bei Asylgesuchen von Personen aus dem Gaza-Streifen.
gez. Martin Link, T. 0431-735 000, public[at]frsh.de