Bis jetzt fehlt – mit Ausnahme von wenigen, die fliehen konnten – jede Spur von ihnen. Damals ging ein Aufschrei durch die Öffentlichkeit. Niemand wusste, ob sie noch leben. Spekulationen blühten – ob sie als Sex-Sklavinnen verkauft oder zwangsverheiratet wurden. Die prominent gesetzte Kampagne <link https: www.youtube.com external-link-new-window externen link in neuem>Bring our Girls back schaffte kurzzeitige Medienaufmerksamkeit. Heute hat die Medienwelt sie vergessen. Auch für Verteidigungsministerin von der Leyen taugen die Entführungsopfer allenfalls noch als Rechtfertigung für ihr öffentliches Nachdenken über deutsche Militärinterventionen in Nigeria (<link http: www.deutschlandfunk.de external-link-new-window externen link in neuem>DLF, 8.3.2015).
Angenommen die Mädchen und jungen Frauen aus Chibok schafften es zu fliehen – mit welchen Mitteln auch immer – und würden den Weg in einen safe haven suchen. Sie würden sogenannte Schleuser finden, die sie zu unterstützen bereit wären. Vielleicht würden sie dazu ein weiteres Stück ihres gemarterten Selbst verkaufen müssen – Flucht kostet. Doch angenommen, sie machten sich auf den Weg. Auch auf die Gefahr hin, unterwegs von „Wölfen“ gefressen zu werden. Über alle zu hohen Mauern und durch alle Untiefen der Meere. Nach Schätzungen internationaler Organisationen ertranken in den vergangenen 15 Jahren alleine im Mittelmeer mindestens 20.000 Menschen, 3.400 davon im Jahr 2014, darunter auch zahlreiche Frauen und Kinder. Die Dunkelziffer dürfte bedeutend höher sein.
Für Frauen ist die Flucht am gefährlichsten. Das gilt selbst, wenn sie in Europa angekommen sind. Allzu oft verweigern EU-Mitgliedsstaaten Asyl und Obdach – und allein reisende Frauen und Mädchen bleiben auch dort den „Wölfen“ ausgeliefert. Weltweit machen Frauen rund 60-80% aller Flüchtlinge aus. Aber Schätzungen zum Anteil der Frauen unter den Flüchtlingen die es nach Deutschland schaffen, liegen allenfalls bei 20-30%.
Falls sie es aber bis hierher schaffen, was passiert hier mit ihnen? Werden sie als unbegleitete Minderjährige hier bleiben dürfen? Was passiert nach Erreichen der Volljährigkeit? Die Abschiebung? In welches angeblich sichere Land? Nehmen wir an, dass auch die Mütter sie begleiten. Was passiert ihnen? Werden sie allein abgeschoben? Oder könnten diese Mädchen auf ein dauerhaftes Bleiberecht wegen der bei Abschiebung drohenden erneuten Missbrauchsgewalt hoffen?
Welchen besonderen Schutz lässt Europa Frauen angedeihen, die nur aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt, gedemütigt, geprügelt und zur Verkauf ihres Körpers gezwungen werden?
Wenig. Wenn es um Abschiebungen, Lagerunterbringung oder fehlende besondere Beratungs- und Unterstützungsleistungen geht, zeigt sich die Flüchtlingspolitik europaweit “geschlechterblind“.
Dies darf nicht so bleiben. Es darf nicht sein, dass sich nur ein paar Tage im Jahr die ganze Welt angeblich für die Rechte der Frauen eintritt und gleich wieder vergisst, was mit Frauen geschieht. Die ständige Regelmäßigkeit von Genitalverstümmelungen, Vergewaltigungen bis hin zur Zwangsprostitution und -verheiratung ist Mahnung genug.
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein und seine Partnerinnen fordern die regelmäßige Asylanerkennung für Frauen auf der Flucht. Nicht spitzfindige Infragestellungen der Fluchtgründe, sondern Solidarität und großzügige Aufnahme für verfolgte Frauen ist angezeigt. Der Flüchtlingsrat unterstützt das Engagement von Fraueninitiativen, z.B. die 2002 von Elisabeth Ngari gegründeten <link http: women-in-exile.net external-link-new-window externen link in neuem>Women in Exile, und die sich für die Rechte der Flüchtlingsfrauen in Deutschland einsetzen.
Wir müssen überall für unsere Rechte kämpfen und immer dafür sorgen, dass unsere Töchter eine sichere und selbstbestimmte Zukunft haben und sich nicht als Ware verkaufen müssen!
Für starke Frauen!
gez. Farzaneh Vagdy-Voß