Gemeinsame Presseerklärung
Hannover/Kiel, den 21.05.2013
Zur Innenministerkonferenz in Hannover:
PRO ASYL, die Flüchtlingsräte Niedersachsen & Schleswig-Holstein, Jugendliche ohne Grenzen und das Roma-Center Göttingen fordern
· Einreiseerleichterungen für syrische Flüchtlinge
· Bleiberecht für Geduldete
· gesellschaftliche Teilhabe für Schutzsuchende vom ersten Tag an
Die Innenminister von Bund und Ländern haben sich darauf verständigt, 5.000 Flüchtlinge aus Syrien einreisen zu lassen. Angesichts der 1,5 Millionen registrierten syrischen Flüchtlinge ist dies ein wichtiger, aber unzureichender Schritt. Die NGOs appellieren an Bundesregierung und Länder, syrischen Flüchtlingen mit Verwandten in Deutschland die Einreise unbürokratisch zu ermöglichen. Viele der in Deutschland lebenden rund 40.000 syrischen Staatsangehörigen bangen um das Leben von Familienmitgliedern und versuchen verzweifelt, ein Visum für sie zu bekommen. Diese Hilfsbereitschaft und Mitmenschlichkeit darf nicht länger durch bürokratische Engherzigkeit verhindert werden.
Die Zahl der Geduldeten in Deutschland ist mit mehr als 85.000 konstant hoch. Rund 36.000 von ihnen leben seit über sechs Jahren im Bundesgebiet. Dazu kommen noch über 33.000 als ausreisepflichtig Registrierte ohne Duldung. Ein Viertel der Geduldeten sind Minderjährige. Wir erwarten von den Innenministern, dass sie sich öffentlich für eine unbürokratische gesetzliche Bleiberechtsregelung aussprechen und damit ein Signal dafür setzen, dass die Praxis der Erteilung von Kettenduldungen endlich beendet wird. Dies gilt insbesondere auch für Roma-Flüchtlinge aus den Balkanstaaten. Viele von ihnen leben schon jahrzehntelang in Deutschland – und sollen nun in Länder abgeschoben werden, in denen ihnen ein menschenwürdiges Leben und ein Schulbesuch ihrer Kinder oft nicht möglich ist.
Der niedersächsische Innenminister und derzeitige Vorsitzende der am 23. und 24. Mai in Hannover stattfindenden Frühjahrskonferenz der Innenminister, Boris Pistorius, hat öffentlich einen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik gefordert und für Niedersachsen in Aussicht gestellt. Sein Kieler Kollege Andreas Breitner ist ebenfalls mit ähnlichen Forderungen an die Öffentlichkeit gegangen. Wir freuen uns über diese Signale, erwarten aber auch in dieser Richtung weitere Handlungen: Flüchtlinge sollten – wie z.B. in Schweden – vom ersten Tag an einen uneingeschränkten Zugang zu Sprachkursen und Qualifikationsangeboten erhalten. Auf Länderebene sollte die Lagerunterbringung beendet und eine frühzeitige Einbeziehung von Flüchtlingen in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ermöglicht werden.
Parallel zur Innenministerkonferenz findet ein Protestprogramm der „Jugendlichen ohne Grenzen“ statt. Für Mittwoch, den 22. Mai, ruft das Netzwerk zu einer Demonstration unter dem Motto „Bleiberecht für alle“ auf. Bei einer abendlichen Gala am morgigen Mittwoch zeichnen die Jugendlichen ohne Grenzen Initiativen, die selbstorganisiert für die Rechte von Flüchtlingen und Papierlosen in Deutschland kämpfen, mit ihrem Initiativpreis aus und wählen den „Abschiebeminister des Jahres“.
gez.
· Martin Link, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
· Günter Burkhardt, PRO ASYL
· Nurjana Arslanova, Jugendliche ohne Grenzen
· Elvira Ajwasi und Nizaqete Bislimi, Roma Center Göttingen
· Kai Weber, Flüchtlingsrat Niedersachsen
Kontakte:
· Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein: Tel. 040-735 000
Email: <link moz-txt-link-abbreviated>office@frsh.de Homepage: <link http: www.frsh.de moz-txt-link-abbreviated>www.frsh.de
· Flüchtlingsrat Niedersachsen: Tel. 05121 – 15605 oder 0178 – 1732569
Email: <link>nds@nds-fluerat.org Homepage: <link http: www.nds-fluerat.org>www.nds-fluerat.org
· PRO ASYL: Tel. 069 – 23 06 95 Email: <link>presse@proasyl.de Homepage: <link http: www.proasyl.de>www.proasyl.de
· JOG, Nurjana Arslanova: 0176 – 34 641 027
Email: <link>presse@jogspace.net Homepage: <link http: planet.jogspace.net>
· Roma Center: Email: <link>mail@roma-center.de Homepage: <link http: www.alle-bleiben.info>
Hintergrund
Visaerleichterungen für syrische Flüchtlinge
In den letzten Monaten haben jeweils mehrere Tausend Menschen pro Tag Zuflucht in den Nachbarländern Syriens gesucht. Die Vereinten Nationen geben die Zahl der Syrien-Flüchtlinge jetzt mit 1,5 Millionen an. Allein seit Jahresanfang sind eine Million Menschen neu erfasst worden. Die tatsächliche Zahl der Flüchtlinge liegt aber sicherlich viel höher. Rund ein Viertel der syrischen Bevölkerung ist auf der Flucht. Jordanien hat bisher rund eine halbe Million syrische Flüchtlinge aufgenommen, das sind etwa 10 % der eigenen Bevölkerung. Es liegt vor dem Hintergrund dieser Zahlen und der extrem schwierigen Situation für viele Flüchtlinge in den Lagern der Erstaufnahmestaaten auf der Hand, dass weitere Anstrengungen vonnöten sein werden. Die NGOs erinnern daran, dass während des Kosovo-Krieges 20.000 Menschen per Luftbrücke nach Deutschland ausgeflogen wurden. Weitere Aufnahmeplätze müssen zur Verfügung gestellt werden.
In Deutschland leben rund 40 000 syrische Staatsangehörige, die Verwandte aus Syrien zu sich holen wollen. Die von Außenpolitikern aller im Bundestag vertretenen Parteien erhobene Forderung nach großzügigen Aufnahmeregelungen für syrische Schutzsuchende wird für diesen Personenkreis ad absurdum geführt. Sehr viele von Ihnen erhalten kein Visum, weil ihr Wille zur Rückkehr bezweifelt wird. Betroffen sind sowohl Flüchtlinge, die noch vor Europas Grenzen ausharren müssen, wie auch syrische Staatsangehörige, die die EU erreicht haben und gemäß der Dublin II-Verordnung nicht zu ihren Angehörigen nach Deutschland kommen dürfen, weil ein anderer Staat zuständig ist. Hier werden Ressourcen, wie sie sich aus verwandtschaftlichen Bindungen zu oft längst integrierten Verwandten in Deutschland ergeben, nicht genutzt. In Ergänzung eines Aufnahmeprogrammes fordern die NGOs ein unbürokratisches und transparentes Verfahren, wie Familienangehörige legal einreisen können – außerhalb eines eng begrenzten Kontingents.
Bleiberecht für langjährig Geduldete
Die Zahl der Geduldeten in Deutschland ist mit mehr als 85.000 konstant hoch. Rund 36.000 von ihnen leben seit über sechs Jahren im Bundesgebiet. Dazu kommen noch über 33.000 als ausreisepflichtig Registrierte ohne Duldung. Im Vergleich zu den Vorjahren gibt es bei diesen Zahlen kaum Bewegung: Die Zahl der Geduldeten ist zwar geringfügig gesunken, die Zahl der Ausreisepflichtigen ohne Duldung hingegen im gleichen Rahmen gestiegen. Eine stichtagsungebundene Bleiberechtsregelung ohne restriktive Ausschlussgründe wie bei den Regelungen der letzten Jahre ist also weiter dringend erforderlich, was vor allem die Zahl der Minderjährigen unter den Geduldeten deutlich macht: Mit insgesamt 22.000 aller Geduldeten machen die Minderjährigen ein Viertel aus. Zählt man die 18- bis 20-Jährigen hinzu, leben fast 28.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit einer Duldung in Deutschland. Zum Vergleich: Von der Altfallregelung für gut integrierte Kinder und Jugendliche – seit Juli 2011 in Kraft – haben bislang weniger als 2.000 Jugendliche profitiert. Dies zeigt, dass nach wie vor dringender politischer Handlungsbedarf besteht. Erfreulicherweise gibt es seitens verschiedener Bundesländer Initiativen für eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für Geduldete. Die bisherigen Regelungen scheiterten in der Vergangenheit an ihrer restriktiven Ausgestaltung und der Stichtagsbezogenheit. Zu jung, zu alt oder zu arm für ein Bleiberecht – dieser Effekt früherer Regelungen muss außer Kraft gesetzt werden. Eine wirkungsvolle neue Bleiberechtsregelung muss stichtagsunabhängig sein und darf keine unerfüllbaren Bedingungen an die betroffenen Menschen stellen.
Integration von Flüchtlingen vom ersten Tag an:
Die NGOs fordern uneingeschränkte Partizipationsmöglichkeiten für alle Flüchtlinge ohne Ansehen ihres Status. Durch den verweigerten Zugang zu den sog. „Integrationskursen“ wird der Spracherwerb erheblich erschwert, eine gesellschaftliche Teilhabe verhindert und die Integration in Bildung und Arbeit blockiert. Problematisch ist insbesondere auch die gesellschaftliche Isolation von Kindern und Jugendlichen, die unter mangelnden Bildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten besonders leiden. Oftmals verhindert die Art und Form der Unterbringung von Familien in abgelegenen Gemeinschaftunterkünften einen Kontakt zu MitschülerInnen oder die Teilnahme an Sportvereinen. Problematisch ist etwa auch die Praxis mancher Behörden, durch die Erteilung von Wohnsitzauflagen jungen Flüchtlingen eine Ausbildung zu verunmöglichen oder durch ausländerbehördliche Auflage ein Studium zu verbieten. Diese Ungleichbehandlung leistet Rassismus Vorschub. Im Interesse an einer nachhaltigen Partizipation und Teilhabe von Flüchtlingen fordern wir Deutschkurse, die Gleichberechtigung von Asylsuchenden und Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt, die Auflösung von abseits gelegenen Sammelunterkünften, die Abschaffung des Sachleistungsprinzips und weitere Maßnahmen, die geeignet sind, ausgrenzenden und rassistischen Stimmungen entgegenzuwirken.