Der Flüchtlingsrat weist darauf hin, dass Deutschland seine im September 2015 auf EU-Ebene gegebenen Übernahmezusagen für Flüchtlinge aus Italien und Griechenland bisher nicht eingehalten hat. Obwohl in beiden Ländern hunderttausende Flüchtlinge ohne Aussicht auf menschenwürdige Behandlung und faire Asylverfahren - in zahlreiche Fällen in haftähnlichen Lagern interniert - festsitzen, hat die Bundesrepublik von den zugesagten 27.500 Flüchtlingen bisher gerade mal 192 aus Griechenland und 20 aus Italien tatsächlich übernommen.
Der Gruppe Asylsuchender, der vom zuständigen Bundesamt lediglich humanitärer, sogenannter subsidiärer Schutz zugestanden wird, hat der Gesetzgeber die Möglichkeit des Familiennachzugs verschlossen. Auch der grundgesetzlich garantierte Anspruch auf Familiennachzug zu anerkannten nicht nur syrischen Flüchtlingen wird derzeit über bürokratische Hürden der deutschen Auslandsvertretungen faktisch außer Kraft gesetzt.
Landesweit sind Beratungsstellen damit konfrontiert, dass verzweifelte Asylsuchende - und selbst anerkannte Flüchtlinge - aus Sorge um ihre dort ausharrenden Familienangehörigen in ihr kriegsgeschütteltes Herkunftsland zurückgehen wollen. Gleichzeitig gehen dort zunehmend ganze Familien in die Boote und suchen der Gewalt auf höchstgefährlichen Fluchtwegen zu entkommen. „Im ersten Halbjahr 2016 ist auch in Schleswig-Holstein eine deutliche Zunahme von Frauen und Kindern bei der Registrierung neu ankommender Asylsuchender festzustellen“, erklärt Martin Link, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein.
Es ist kaum vermittelbar, wenn das Land derzeit in nicht genutzte Unterkünften investiert, aber jegliche Initiativen für eine weitere Aufnahme von Geflüchteten in Notsituationen unterlässt. "Die Vorsorge, Unterbringungskapazitäten für Geflüchtete vorzuhalten, ist das eine. Aber es entspricht kaum dem Geist des schleswig-holsteinischen Flüchtlingspaktes, keinerlei Bemühen für die Aufnahme bedrohter Gruppen und Angehöriger hier lebender Flüchtlinge zu unternehmen", mahnt Link.
Stattdessen plant die Landesregierung offenbar auf dem Boostedter Kasernengelände eine größere <link file:4017 download file>Landesunterkunft für Ausreisepflichtige einzurichten. Dorthin sollen im Zuge eines sogenannten "Rückkehrmanagements" mittelfristig Flüchtlinge, denen weder Asyl noch Bleiberecht zugestanden worden ist, aus ihren Wohnsitzen in Städten und Gemeinden umziehen, ggf. Schulbesuch oder Beschäftigungsverhältnisse und damit eingeschlagene Integrationswege abbrechen. In dem so geplanten "Ausreisezentrum" soll die Bereitschaft zur vermeintlich freiwilligen Ausreise gefördert werden bzw. die zwangsweise Abschiebung von Erwachsenen und Familien ins Herkunfts- oder Dublin-Transitland vollzogen werden.
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein protestiert entschieden gegen eine Politik, die im Umgang mit schutzsuchenden Menschen auf Kasernierung, Isolierung und Entsolidarisierung setzt. Eine gelungene Flucht ist kein Verbrechen und darf nicht quasi als solches geahndet werden!
Die Aufnahmekapazität des Bundeslandes Schleswig-Holstein ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Im Jahr 2015 sind pro 1.000 Einwohner in Schleswig-Holstein gerade mal 12 Geflüchtete aufgenommen worden. Vor diesem und vor dem Hintergrund erheblicher Zuwanderungsbedarfe der Gesellschaft und Volkswirtschaft ist die Priorisierung von Aufenthaltsbeendigungen vor mehr Flüchtlingsaufnahme weder opportun noch humanitär gerechtfertigt.
gez. Martin Link