Vater in Abschiebungshaft · gewalttraumatisierte Mutter mit drei Kindern in die Türkei abgeschoben |
Zu nachtschlafender Zeit haben Ausländerbehörde und Polizei in der Nacht des 25.5.2005 in Norderstedt unangekündigt die Abschiebung einer schwerst gewalttraumatisierten kurdischen Frau und einiger ihrer Kinder durchgesetzt. Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein protestiert scharf gegen die Abschiebung, die seitens der Behörden - trotz Kenntnis ärztlicher Gutachten über die schwere Erkrankung der Frau - durchgezogen worden ist. Mit der rüden nächtlichen und im Falle dieser Familie völlig unbegründeten Praxis wurde die im Ergebnis vorliegende Trennung der Familie behördlich provoziert. Um 4.00 Uhr nachts wurde Familie Özdemir in ihrer Unterkunft im Norderstedter Buchenweg von einem Vertreter der Ausländerbehörde in Begleitung mehrerer Polizeibeamter zum Zwecke einer unangekündigten Abschiebung geweckt. Der inzwischen vor Ort erschienenen Mitarbeiterin der Migrationsberatung der Diakonie, Frau G. Nuguid, verweigerte die Polizei die Möglichkeit mit ihrem ihr gut bekannten Klienten, dem offenbar unter Schock stehenden Herrn Özdemir, zu sprechen. Stattdessen wurde das SEK gerufen, um Herrn Özdemir aus der Unterkunft abzuführen und in Rendsburg in Abschiebungshaft zu nehmen. Die anderen Bewohner der Unterkunft waren total geschockt, viele Frauen haben geweint. Es herrscht seitdem erhebliche Unruhe unter den verbliebenen BewohnerInnen der Flüchtlingsunterkunft. Die Anwältin der Familie zeigte sich überrascht über diese Vorgehensweise, da noch ein Klageverfahren anhängig ist und ein Eilantrag vom Gericht nur deshalb abgelehnt worden sei, weil nach Aussage der Ausländerbehörde eine Abschiebung nicht beabsichtigt sei. Ein sofort eingelegter neuer Eilantrag blieb erfolglos. Die Abschiebung von Frau Özdemir und ihren drei kleinen Kindern erfolgte inzwischen über den Flughafen Düsseldorf. Frau Nuguid gelang es dort noch einen Mitarbeiter des Flughafensozialdienstes zu erreichen und ihn zu veranlassen, der Frau noch ein Handgeld zu übergeben, damit sie zwar in Hausschuhen, aber nicht völlig mittellos auf dem Istanbuler Flughafen ankäme. Der Sohn Hadin Özdemir ist flüchtig und zur Fahndung ausgeschrieben. Der Schüler ist durch gute Leistungen aufgefallen und steht vor dem Schulabschluss im kommenden Jahr. Der Flüchtlingsrat fordert die Behörden auf, anstatt das Kind wegen seiner Angst zu kriminalisieren, ihm stattdessen noch den Schulabschluss zu ermöglichen. gez. Martin Link, T. 0431-735 000 Anlage: Informationspapier zur Situation der Familie Özdemir, Norderstedt
Mutter: Besime Özdemir, geb. 01. 02. 1965 Frau Özdemir reiste 1999 gemeinsam mit ihren beiden Söhnen nach Deutschaland ein, einige Monate später folgten ihr der Ehemann und die Tochter. Die Familie kommt aus dem Osten der Türkei, wo sie von der Viehzucht lebte. Vom türkischen Militär wurden alle Bewohner eines kurdischen Dorfes als potentielle Unterstützer der PKK-Kämpfer angesehen. Aus diesem Grund wurde auch Familie Özdemir durch die türkischen Sicherheitskräfte unter Druck gesetzt, bedroht, geschlagen und misshandelt und flüchteten nach Deutschland, wo sie Asyl beantragten. Ablehnung des Asylantrages: Februar 2003 Feststellung posttraumatischer Belastungsstörungen bei Frau Özdemir. In der Folgezeit mehrere Krankenhausaufenthalte wegen Panikattacken, Krampf- und Ohnmachtsanfällen, auf deren Auftreten Frau Özdemir keinen Einfluss hat, die aber insbesondere in Stresssituationen auftreten. Mehrmals wurden diese Anfälle durch das intensive Bemühen der Ausländerbehörde, Frau Özdemir zur Konsulatsvorführung zwecks Passbeschaffung zu bewegen, ausgelöst, so dass sie - bereits auf dem Weg zum Landesamt in Neumünster - zusammenbrach und für mehrere Tage ins Krankenhaus eingewiesen werden musste. Im März letzten Jahres wurde Frau Özdemir bescheinigt, dass “aus amtsärztlich-psychiatrischer Sicht nicht mehr von Flugreisetauglichkeit ausgegangen werden kann. Ambulante Psychotherapie. Psychopharmakotherapie und möglicherweise gelegentliche stationäre Aufenthalte, um ein Flugreisetauglichkeit ggf. wieder herzustellen, wird einen Zeitraum von 2-3 Jahren benötigen.” Ungeachtet dessen wurde Frau Özdemir weiterhin zur Vorbereitung der Abschiebung aufgefordert, beim türkischen Konsulat vorzusprechen. Um ihre Mitwirkungspflicht zu erfüllen, ist die Familie trotz ihrer Angst vor dem türkischen Behörden im April diesen Jahres der Aufforderung nachgekommen und ließ sich dem türkischen Generalkonsulat vorführen - mit ärztlicher Begleitung und Behandlung, da es Frau Özdemir auch dieses Mal sehr schlecht ging. In der Zwischenzeit wurde ein ärztliches Gutachten erstellt (liegt dem Flüchtlingsrat vor), aus dem eindeutig hervorgeht, das Frau Özdemir dringend eine Therapie benötigt. Die Kostenübernahme wurde vom Sozialamt Norderstedt bewilligt. Die Kinder der Familie gingen bis auf die jüngste Tochter zur Schule, sind dort erfolgreich und gut integriert. Der älteste Sohn würde im nächsten Jahr seinen Hauptschulabschluss machen. Abschiebung am 25. 5. 2005 Aktuelle Situation am 26. 5. 2005 Frau Özdemir selbst ist nach Eintreffen der Polizei zusammengebrochen. Sie hat Beruhigungstabletten bekommen und wurde aus dem Haus ins Auto getragen. Zusammen mit ihren drei jüngsten Kindern ist sie sofort nach Düsseldorf zum Flughafen gebracht worden. Sie war nicht in der Lage, irgendwelche Sachen einzupacken und mitzunehmen. Die Kinder hatten nur Hausschuhe an. Mit ihnen wurden etwa 15 Familien und viele Alleinstehende abgeschoben. Das Flugzeug war voll. Eine Frau wurde liegend transportiert. Sie hätte an diesem Tag eigentlich operiert werden sollen. In Istanbul sind sie um 17.00 Uhr gelandet und würden dann dort verhört. Erst um 2.00 Uhr nachts wurden sie freigelassen. Eine Cousine, die von unserer Einrichtung über die Abschiebung informiert wurde, hat so lange gewartet und sie zu sich nach Hause genommen. Dort kann sie erst mal ein paar Tage bleiben, bis sie sich von den Ereignissen etwas erholt hat. Norderstedt, 26.5.2005 |