Nach Verlauten strebt das Land die Verfügbarkeit von ca. 3.150 Plätzen in Erstaufnahmeeinrichtungen für das kommende Jahr an. Die Diskussion um die geplanten EAEn an den neuen Standorten in Lübeck, Eggebek bzw. Flensburg und Kiel verläuft unterschiedlich und insbesondere in Lübeck kontrovers.
Die Mitgliederversammlung des Flüchtlingsrats fordert die Nachbarschaften der geplanten EAEn auf, sich nicht von rassistisch Voreingenommenen irrationale Bedrohungen einreden zu lassen, die angeblich von den Flüchtlingen ausgehen. Stattdessen sollte die nachbarschaftliche Nähe zu denen, die für sich und ihre Familien Asyl und Überleben suchen, als Chance verstanden und als soziale und interkulturelle win-win-Situation genutzt werden – so, wie es schon an vielen Orten des Bundeslandes erfolgreich stattfindet.
Mit Blick auf die für solche Prozesse zuträglichen Voraussetzungen appelliert die Mitgliederversammlung des Flüchtlingsrats gleichzeitig an die Landesregierung, mehr als bisher die Bedarfe der zur Aufnahme in den EAEn vorgesehenen Flüchtlinge und nicht vor allem die der Verwaltungen in den Blick zu nehmen:
- Die Kapazitäten der an den derzeit drei Hochschulstandorten geplanten EAEn sollte die Platzzahl von jeweils 250 nicht überschreiten. Die bisher wie verlautet angestrebten Gesamtzahlen könnten genauso über die Schaffung von zwei Einrichtungen je Stadt erreicht werden.
- Während das Landesamt für Ausländerangelegenheiten und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) argumentieren, es sei für die Asylverfahrensabläufe und andere Verwaltungsbedarfe regelmäßig erforderlich, dass alle Flüchtlinge mit den Behörden ‚ständig unter einem Dach leben‘, weist der Flüchtlingsrat dieses Junktim zurück. Die psychosozialen Reibungsverluste die bei der Unterbringung von zu vielen, zumal erheblich belasteten Personen in einer Immobilie entstehen, wiegen schwerer als der Aufwand der Flüchtlinge, zu Vorsprachen bei der jeweiligen Behörden in der anderen EAE-Adresse anreisen zu müssen.
- Der Betreuungs-Kosten-Aufwand der EAE-Unterbringung könnte wesentlich minimiert werden, wenn die BewohnerInnen nicht überadministriert würden – z.B. sich regelmäßig selbst versorgen und bekochen könnten. Gleichzeitig wären mit der Notwendigkeit der alltäglichen selbstorganisierten Logistik erste Schritte in Richtung einer nachhaltigen Integration gewährleistet.
- Die in den EAEn Neumünster und Boostedt vorhandene und in den neuen EAEn geplante Dichte von sozialpädagogischer Betreuung und Beratung erscheint nicht bedarfsgerecht. Ein sozialpädagogischer Betreuungsschlüssel von allenfalls 1/100 sollte regelmäßiger Standard in den schleswig-holsteinischen EAEn sein.
- An jedem Standort sollte eine staatlich finanzierte Asylverfahrensberatung in freier Trägerschaft vorhanden sein. Ein solches Angebot trägt dazu bei, dass Betroffene sich gut informiert und in Kenntnis des Systems souverän in ihr Asylverfahren einbringen können. Denn Asylsuchende finden sich im Erstaufnahmeprozess unvermittelt einem für sie weitgehend unverständlichen Labyrinth der Paragraphen gegenüber. Gleichzeitig verlangt die Asylbürokratie ihnen erhebliche Kompetenzen bezüglich Ablauf und Gestaltung des Verfahrens ab. Auf Nichtwissen und oder Falschinformation basierendes Fehlverhalten, zum Beispiel in der Anhörung, hat allerdings allzu oft das Scheitern des Asylantrags zur Folge.
- Die Städte werden vom Flüchtlingsrat aufgefordert, ihren Widerstand gegen die künftig geplante Praxis aufzugeben, dass die EAE-Plätze am Ort regelmäßig nicht auf ihre dezentrale Aufnahmequote angerechnet werden sollen. Gerade die Qualität des dezentralen Aufnahmeortes entscheidet über Integrationschancen. Flüchtlinge sollen daher vor allem in Gemeinden untergebracht werden, die über integrationsfördernde Ressourcen verfügen (z.B. Sprachkursangebote, medizinische Versorgung, Schulen, Migrationsfachdienste, Arbeitsmarktförderung). Dass die Zahlen der EAE-Plätze am jeweiligen Ort jetzt dafür herhalten sollen, ausgerechnet dort, wo diese Ressourcen vorhanden sind, weniger Flüchtlingen Chancen auf integrationsintensive Aufnahme einzuräumen, erscheint eher eine Idee aus Schilda denn Ergebnis verantwortungsbewusster Flüchtlingspolitik zu sein.
- Aussagen des Bundes und auch des schleswig-holsteinischen Flüchtlingspakts lassen erwarten, dass künftig Flüchtlinge mit einer negativen Asylprognose gar nicht in die regelmäßige dezentrale Verteilung kommen sollen, sondern in den EAEn verbleiben. Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein lehnt dieses Aschenputtel-Prinzip, wonach Asylsuchende offenbar auf Grundlage einer Mischung aus ethnisch begründeten und nicht minder fragwürdigen Nützlichkeitskriterien selektiert werden, entschieden ab. Menschenwürde ist unteilbar! Jeder Flüchtling hat das Recht auf ein faires Asylverfahren und administrative Gleichbehandlung auch während der anschließenden Aufenthaltssituation. Es ist nicht nur im Interesse der Betroffenen, sondern ebenso der Aufnahmegesellschaft, dass auch Flüchtlinge mit noch nicht geklärter Aufenthaltsperspektive partizipieren können an Angeboten zum Spracherwerb oder anderen auf die ggf. auch nur vorläufige Integration abstellenden Förderungen.
Pressekontakt: Martin Link