Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen nach Deutschland flüchten, wird vielerorts, so auch in Baden-Württemberg, weder menschenwürdige Wohn- und Lebensbedingungen noch eine umfassende Unterstützungsstruktur geboten: Menschen schlafen auf Fluren, in Turnhallen oder sind von Obdachlosigkeit bedroht. Rechtliche Beratung fehlt; die medizinische Versorgung, Lebensmittel und Hygieneartikel sind unzureichend vorhanden. Statt aber konkrete und nachhaltige Lösungen zu präsentieren, scheint die Landesregierung in Baden-Württemberg auf Abgrenzung durch eine Verschärfung der Asylgesetze zu setzen. Denn Ministerpräsident Winfried Kretschmann äußerte sich unlängst „verhandlungsbereit“, kommende Woche im Bundesrat dem Gesetz für „sichere Herkunftsländer“ zuzustimmen.
„Nicht die Zahl der Flüchtlinge ist das Problem“, entgegnet Angelika von Loeper vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, sondern das bürokratische Aufnahmesystem in Deutschland.“
Anlässlich der bundesweiten Tagung der Landesflüchtlingsräte am 11./12.09. in Karlsruhe übten die Teilnehmenden der Konferenz Kritik an der aktuellen öffentlichen Diskussion und fordern konkrete Maßnahmen, um Flüchtlingen bessere Wohn- und Lebensperspektiven zu eröffnen.
Konkret heißt das:
Die Flüchtlingsaufnahme muss entbürokratisiert, der Zugang zu Wohnungen ermöglicht und Sammellager vermieden werden. Wir fordern menschenrechtliche Mindeststandards bei Asylaufnahme und Unterbringung zu sichern. Beispiele im Bereich Wohnen und Gesundheitsversorgung aus anderen Bundesländern, wie Bremen oder Berlin, belegen, dass dies möglich ist.
Anstatt die Verschärfung von Asylgesetzen voranzutreiben, fordern wir die Verantwortlichen auf, nun endlich alle Anstrengungen zu unternehmen, um eine menschenwürdige Aufnahme von Flüchtlingen zu gewährleisten.
Kontakt: Angelika von Loeper (mobil: 0172/6185384)
Flüchtlingsrat Baden-Württemberg e. V.
Hauptstätter Straße 57
70178 Stuttgart
Tel: 0711 / 55 32 83-4
Fax: 0711 / 55 32 83-5
E-Mail: <link>info@fluechtlingsrat-bw.de
Forderungen der Landesflüchtlingsräte:
Flüchtlingsaufnahme muss entbürokratisiert werden
1. Nicht die Zahl der Flüchtlinge ist das Problem, sondern das bürokratische Aufnahmesystem in Deutschland. Asylsuchende stellen in Deutschland nur eine Minderheit unter den Zuwanderern dar, ihr Anteil liegt aktuell nur bei 10 - 20%. Zum öffentlichen Problem wird die Flüchtlingsaufnahme in Deutschland vor allem deshalb, weil alle Asylsuchenden zunächst in landeseigenen Erstaufnahmeeinrichtungen registriert werden müssen und sich nicht selbst eine Wohnung suchen dürfen. Selbst wenn bei Freunden oder Angehörigen freier Wohnraum zur Verfügung steht, dürfen Flüchtlinge dort oft nicht einziehen. Dieses System ist entmündigend und produziert einen zusätzlichen Unterbringungsbedarf.
2. Bund und Länder sind jetzt gefordert, kurzfristig zusätzliche Unterbringungskapazitäten zu beschaffen. Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene stehen genügend leere Immobilien zur Verfügung, um eine Obdachlosigkeit von Flüchtlingen oder gar Zeltstädte zu vermeiden. Die Flüchtlingsräte warnen vor einer Inszenierung eines "Unterbringungsnotstands", der politisch dazu instrumentalisiert werden soll, die Flüchtlingsaufnahme in Frage zu stellen.
3. Um dafür zu sorgen, dass die Aufnahme von Flüchtlingen künftig unproblematisch und schnell erfolgen kann, schlagen wir folgende Änderungen vor:
Zugang zu Wohnungen ermöglichen - Sammellager vermeiden
Die Flüchtlingsräte fordern den Bund und die Länder auf, für asylsuchende, geduldete und bleibeberechtigte Flüchtlinge den Zugang zu regulären Mietwohnungen zu ermöglichen bzw. zu verbessern.
Die zwangsweise Einweisung in Gemeinschaftsunterkünfte wird mit sozial- und ausländerrechtlichen Regelungen begründet: mit dem Sachleistungsprinzip des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG), mit Auflagen nach dem Asylverfahrensgesetz (AsylVfG), dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) oder Maßgaben der Landesaufnahmegesetze.
Selbstverständlich sind obdachlose Flüchtlinge sofort unterzubringen, hierzu sind Unterkünfte in ausreichender Kapazität und angemessener Qualität bereit zu halten.
Aus Gründen der Abschreckung werden seit den 1980er Jahren auch solche Asylsuchende in Sammellager eingewiesen und verteilt, die bei Verwandten oder Freunden wohnen könnten und wollen. Ihnen wird ausländer- und sozialrechtlich auch die Anmietung und der Bezug einer eigenen Wohnung untersagt. Der Zugang zu regulärem Wohnraum dient dabei der Menschenwürde und entlastet die Sammellager.
Wir fordern die Abschaffung des asyl- und sozialrechtlichen Lagerzwangs, der zwingenden Einweisung in Erstaufnahmestellen und Gemeinschaftsunterkünften nach §§ 47 und 53 AsylVfG und den Landesaufnahmegesetzen, und die Abschaffung des Sachleistungsprinzips des § 3 AsylbLG.
Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge müssen Mietverträge abschließen dürfen und bei Bedürftigkeit die Kosten (Miete, Kaution usw.) vom Sozialamt nach den Maßgaben für Hartz IV Berechtigte erhalten. Dies ist z.B. in Berlin und Bremen nach drei Monaten ab Asylantrag der Fall, ein wesentlicher Teil der Asylsuchenden lebt dort in normalen Mietwohnungen.
Sozialträger sollten rechtsverbindliche Zusicherungen (Mietübernahmescheine) für die Wohnungssuche ausstellen, die die zulässige Miethöhe und die Kaution garantieren. Die Mietobergrenzen sind an die aktuellen Wohnungsmarktrealitäten anzupassen.
Bereitstellung von Kontingenten kommunalen, bundes- oder landeseigenen bzw. gemeinnützigen Wohnraums für die am Wohnungsmarkt besonders benachteiligte Gruppe der Flüchtlinge.
Beratung und Hilfe bei der Wohnungssuche durch Fachberatungsstellen zur Unterstützung der Wohnungssuche, wie z.B. die <link http: www.ejf.de einrichtungen migrations-und-fluechtlingsarbeit fluechtlingsberatung.html external-link-new-window externen link in neuem>Beratungsstelle „Wohnungen für Flüchtlinge – Beratung und Vermittlung“ des Ev. Jugend- und Fürsorgewerkes Berlin.
Rückkehr zu einer sozialen Wohnungspolitik für Mieter (wirksame Begrenzung des Mietanstiegs, Verhinderung von Zweckentfremdung und Umwandlung, Förderung des sozialen Wohnungsneubaus). Der Zugang zu Sozialwohnungen für Asylsuchende und Geduldete im WoBindG muss wieder eingeführt werden; Belegungsrechte im WoBindG müssen gesichert werden.
Menschenrechtliche Mindeststandards bei Asylaufnahme und Unterbringung sichern
Für die räumliche und personelle Ausstattung von Aufnahme- und Sammellagern sind rechtsverbindliche Mindeststandards zu schaffen; ihre Einhaltung ist regelmäßig zu überprüfen.
Hierzu gehören ausreichend qualifiziertes Personal, Gemeinschaftsräume, Kinderbetreuung, Kinderspielplatz, Selbstverpflegung (Sozialhilfe in Bargeld) und Küchen, Internetterminals und WLAN, gute Verkehrsanbindung, kleine Einheiten (max. 80 Personen), Einbindung in Wohngebiete, sowie ausschließlich abgeschlossene Wohneinheiten für die Bewohner.
Die Unterbringung in Zelten, Containern, Lagerhallen, Schiffen u.ä. und Unterkünfte in Gewerbegebieten sind abzulehnen.
<link https: www.ejf.de einrichtungen migrations-und-fluechtlingsarbeit fluechtlingsberatung.html>