Viele Geflüchtete erhalten zum Leben lediglich Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – und damit weniger als das neue Bürgergeld, das laut Gesetz das menschenwürdige Existenzminimum sicherstellen soll. Aber die Menschenwürde kennt nicht zweierlei Maß.
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein und zahlreiche weitere Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Anwält*innenverbände fordern gleiche Standards für alle:
- Das Asylbewerberleistungsgesetz muss abgeschafft werden.
- Die Betroffenen müssen in das reguläre Sozialleistungssystem eingegliedert werden.
Seit dem 1. Januar 2023 erhalten materiell bedürftige Menschen in Deutschland das so genannte „Bürgergeld“. Das Bürgergeld tritt an die Stelle der bisherigen „Hartz IV“-Leistungen. Geflüchtete wurden dabei allerdings nicht mitgedacht: Denn wie schon bei Hartz IV bleiben asylsuchende und geduldete Menschen auch vom Bürgergeld ausgeschlossen. Statt des regulären Sozialrechts gilt für sie das auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts diskriminierende Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
„Unser Appell an die neue Kieler Landesregierung, mit einer Gesetzesinitiative zur Integration der Geflüchteten in das Bürgergeld beim Bund vorstellig zu werden, blieb bis dato unbeantwortet“, bedauert Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.
Das Asylbewerberleistungsgesetz besteht seit 1993. Es ist ein Sonderrecht für geflüchtete Menschen. Das Leistungsniveau des Asylbewerberleistungsgesetz unterschreitet das sozialrechtliche Existenzminimum erheblich. Die Regelsätze sind viel niedriger. Oft werden Geldleistungen durch Sachleistungen, ersetzt, die die Menschen diskriminieren und entmündigen. Weil Sachleistungen den individuellen Bedarf nie wirklich decken können, stellen sie in der Konsequenz eine weitere drastische Leistungskürzung dar. Die Einschränkung der Gesundheitsversorgung führt zu verschleppter, verspäteter und unzureichender Behandlung. Sanktionen führen häufig zu weiteren Kürzungen, die mitunter über viele Jahre aufrechterhalten werden. Durch die fehlende Einbindung in das reguläre Sozialsystem werden die Betroffenen zudem von den Maßnahmen der Arbeitsförderung weitgehend ausgeschlossen.
Erklärtermaßen hoffte man auf eine abschreckende Wirkung: Niedrige Geldbeträge und die Sachleistungsversorgung sollten Geflüchtete zur Ausreise bewegen. Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Anwält*innenverbände sind sich seit Einführung des Gesetzes darin einig, dass das Asylbewerberleistungsgesetz wieder abgeschafft werden muss.
2012 hat das Bundesverfassungsgericht in einer wegweisenden Entscheidung dafür gesorgt, dass die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zumindest vorübergehend annähernd dem Hartz IV-Niveau entsprachen. Zugleich erteilte das höchste deutsche Gericht dem Ansinnen, Sozialleistungen zur Abschreckung Asylsuchender einzusetzen, eine deutliche Absage: „Die in Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ (Beschluss vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10). Trotzdem kürzte die große Koalition die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in den Jahren 2014 bis 2019 in mehreren Schritten erneut und weitete den Anwendungszeitraum von 15 auf 18 Monate aus. 2022 hat das Verfassungsgericht die 2019 eingeführten zusätzlichen Leistungskürzungen für Alleinstehende in Sammelunterkünften als verfassungswidrig gekippt (Beschluss vom 19.10.2022 - 1 BvL 3/21). Ein weiteres Verfahren ist anhängig (1 BvL 5/21). Auch zu den Sanktionen, die das Asylbewerberleistungsgesetz vorsieht, hat sich das Bundesverfassungsgericht geäußert. Aus dem Urteil zu den „Hartz IV”-Sanktionen vom 5.11.2019 geht klar hervor, dass die Sanktionen des Asylbewerberleistungsgesetzes mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind.
Das Asylbewerberleistungsgesetz verstößt damit gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, das Grundrecht auf Gleichheit, das Sozialstaatsgebot (Art. 1, 3, 20 GG), das Grundrecht auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), die UN-Kinderrechtskonvention und den UN-Sozialpakt. Die Bundesregierung will das Asylbewerberleistungsgesetz laut Koalitionsvertrag von 2021 „im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ überarbeiten, doch das reicht nicht aus. Letztlich bleibt es damit beim doppelten Standard.
Forderungen:
Es kann nicht zweierlei Maß für die Menschenwürde geben. Wir fordern das gleiche Recht auf Sozialleistungen für alle in Deutschland lebende Menschen, ohne diskriminierende Unterschiede. Das Asylbewerberleistungsgesetz muss abgeschafft werden. Die Betroffenen müssen in das reguläre Sozialleistungssystem einbezogen werden. Dies erfordert insbesondere folgende Änderungen:
1. Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetz und Einbeziehung Geflüchteter ins Bürgergeld bzw. die Sozialhilfe (SGB II/XII). Auf migrationspolitisch motivierte Kürzungen und Sanktionen ist gemäß dem Urteil des BVerfG aus 2012 ausnahmslos zu verzichten.
2. Einbeziehung aller Geflüchteten in die Sprach-, Qualifizierungs- und Arbeitsförderungsinstrumente des SGB II.
3. Einbeziehung geflüchteter Menschen in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung (SGB V/XI). Dabei muss sichergestellt sein, dass auch Menschen ohne Papiere jederzeit ohne Angst vor Abschiebung Zugang zum Gesundheitssystem haben. Insbesondere muss ein Anspruch auf Sprachmittlung bei Inanspruchnahme von Leistungen im Gesundheitswesen verankert werden.
4. Von Krankheit, Traumatisierung, Behinderung, Pflegebedürftigkeit Betroffene sowie schwangere, alleinerziehende und ältere Menschen und geflüchtete Kinder müssen – entsprechend ihrem Recht aus der EU-Aufnahmerichtlinie – einen Anspruch auf alle aufgrund ihrer besonderen Situation erforderlichen zusätzlichen Leistungen erhalten (insbesondere nach SGB IX, SGB VIII u.a.).
5. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes sind als Geldleistungen auszugestalten.
Kontakt:
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V., T. 0431-55685640, public[at]frsh.de
Material:
- Der vollständige Text des Appells und die aktuelle Unterzeichnerliste und ein Formular zum Mitzeichnen sind hier zu finden: www.proasyl.de/asylbewerberleistungsgesetz
- Stellungnahme und Analyse zu Asylbewerberleistungsgesetz, Hartz IV und Bürgergeldgesetz