Mit einigem Schrecken nimmt der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein zur Kenntnis, dass die bürgerlichen Parteien sich in Richtung einer regierungsübergreifenden ganz großen Koalition der Schäbigkeiten gegenüber Asyl- und Schutzsuchenden zubewegen.
Nicht nur die Union, sondern auch die Parteien der Ampel-Regierung lassen sich offenbar von den befürchteten Wahlerfolgen der rechtslastigen AfD und rassistischer Wählervereinigungen vor sich hertreiben. Regierung und Union bieten sich inzwischen wechselseitig eine flüchtlingspolitische Zusammenarbeit an, bei der sie indes versuchen, sich gegenseitig mit Forderungen nach mehr Abschottung den Rang abzulaufen.
Die Union legt einen Maßnahmenkatalog des Grauens vor, z.B. damit, Asylverfahren komplett in Drittstaaten zu externalisieren, mit der Ausweitung der „sicheren Herkunftsstaaten“, mit der Einstellung von Aufnahmeprogrammen und mit mehr Binnengrenzkontrollen.
„Das ist ein bis dato beispielloser Abschottungs- und Abschreckungskatalog. Menschen- oder Europarecht erhält offenbar beim flüchtlingspolitischen Nachdenken der Parteien keine Beachtung mehr“, kritisiert Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.
Tatsächlich sind die nach Plänen der Parteien bei regelmäßigen Zurückweisungen und Abschiebungen als künftige Kooperationspartner im Fokus stehenden vermeintlich sicheren Drittstaaten - u.a. Marokko, Tunesien, Algerien, Ägypten, Türkei, Irak - eine Ansammlung sich vor allem durch Menschenrechtsverstöße, Verfolgung von Minderheiten und Oppositionelle, Femizide, systematische Folter und tödlich endende Deportationen auszeichnender Autokratien.
Mit der Entscheidung, im Bundesrat für die Aufnahme Georgiens und Moldawiens in die Liste der vermeintlich sicheren Herkunftsländern zu stimmen, beteiligt sich auch die Landesregierung Schleswig-Holstein an der Öffnung dieser menschenrechtlichen Büchse der Pandora.
Die Idee, mit immer mehr Restriktion und Gewalt Flüchtende abzuschrecken, hat – letztlich, weil solchen Menschen nichts Schlimmeres angedroht werden kann, als sie schon erlebt haben – noch nie funktioniert. Hauptherkunftsländer der Asylsuchenden sind 2023 abermals Syrien, Afghanistan, Türkei, Irak, Iran. Schwer zu behaupten, dort gebe es keine Fluchtgründe.
Grund für den Anstieg der Fluchtmigration ist eben nicht das vermeintlich großzügige deutsche Asylrecht, sondern die wachsende Zahl an Kriegen – nicht nur in der Ukraine – Krisen, Katastrophen, Repression, Gewalt und wirtschaftlicher Not in vielen Regionen der Welt. 2016 waren laut UNHCR weltweit 65,5 Millionen Menschen auf der Flucht, 2022 waren es 108,4 Millionen. Davon verbleibt nach wie vor der größte Anteil in den Herkunftsregionen, aber bei steigender Gesamtzahl kommen natürlich auch mehr zu uns.
Auch ist von bürgerlichen Parteien im Kampf um die rechten Wählerstimmen wieder von vollen Booten und angeblichem Asylmissbrauch die Rede. „Die Belastungsgrenze ist erreicht!“ wird jetzt gern Bundespräsident Steinmeier in allerlei billigem Talkshow-Geplänkel zitiert, nachdem schon Altpräsident Gauck einmal mehr mit entsprechenden populistischen Warnungen medienwirksam vorgeprescht ist.
In Folge solcher Behauptungen sind Politik und Medien allerdings für die zunehmend ablehnende Stimmung gegen Geflüchtete mitverantwortlich und bereiten dem Zuwachs gewalttätiger Übergriffe auf Asylunterkünfte und auf als fremd gelesene Menschen den Boden. Im 1.Halbjahr 2023 wurden 80 politisch motivierte Angriffe auf Unterkünfte und 704 Straftaten gegen Asylsuchende außerhalb von Unterkünften polizeilich registriert.
gez. Martin Link, T. 0431-5568 5640, public[at]frsh.de