Hinsichtlich des Erlasses macht der stellvertretende Landesflüchtlingsbeauftragte SH Torsten Döhring nachfolgend einige Anmerkungen, orientiert an den Zwischenüberschriften des Papiers vom Ministerium:
1. Allgemeines zur Abschiebungshaft
Die Wertung in dem Erlass, dass Abschiebungshaft weder Strafcharakter hat, noch es sich bei ihr um eine Beugehaft handelt, ist vom Grundsatz zutreffend, auch wenn durch die Einführung der Mitwirkungshaft, zumindest nach Einschätzung des Zuwanderungsbeauftragten, dieser Grundsatz durchbrochen wird, denn die Mitwirkungshaft hat schon das Ziel, ein konkretes Handeln zu erzwingen.
Nach § 70 Absatz 2 StPO kann zur Erzwingung eines Zeugnisses, sprich einer Aussage, die Haft angeordnet werden, sogenannte Beugehaft.
Nach § 62a Absatz 6 AufenthG in Verbindung mit § 82 Absatz 4 Satz 1 AufenthG kann die Mitwirkungshaft zur Vorsprache bei Botschaften, dessen Staatsangehörigkeit der Betroffene vermutlich besitzt, erzwungen werden.
Da es bei Botschaftsvorführungen nicht nur auf die physische Anwesenheit ankommt, sondern, zumindest in den weitaus meisten Fällen, auch auf aktive Erklärungen oder sogar Unterschriftsleistungen und andere Mitwirkungshandlungen vor Ort, geht es letztendlich auch um ein abzugebendes Zeugnis und ist der Unterschied zur Beugehaft nach StPO nur sehr graduell.
2.2 Schutz von Minderjährigen und Familien mit Minderjährigen
Vom Zuwanderungsbeauftragten wird grundsätzlich Abschiebungshaft abgelehnt. Wenn es denn leider dieses rechtliche Instrumentarium gibt, sollte Abschiebungshaft weder bei Minderjährigen, noch bei Eltern minderjähriger Kinder angewandt werden. Dies gilt umso mehr, als das Trennungsgebot Strafhaft und Abschiebehaft – zurzeit bis zum 30. Juni 2022 – ausgesetzt ist.
Es fragt sich grundsätzlich, ob die Abschiebehafteinrichtung in Glückstadt überhaupt geeignet wäre, dass dort Minderjährige untergebracht werden, auch wenn das, sowohl vom Abschiebungshaftvollzugsgesetz, hier § 4 Absatz 2, und auch von der Verordnung über den Vollzug der Abschiebungshaft in Schleswig-Holstein (Durchführungsverordnung zum Abschiebungshaftvollzugsgesetz Schleswig-Holstein), hier § 2 Absatz 2, vorgesehen ist.
Heißt es in § 4 Absatz 2 AHaftvollzG SH „Die Einrichtung hat das Kindeswohl, angemessen zu berücksichtigen, insbesondere untergebrachten Minderjährigen, Gelegenheit zu Freizeitbeschäftigung einschließlich Altersgerechter- und Spiel- und Erholungsmöglichkeiten zu geben und – je nach Dauer ihres Aufenthaltes, Zugang zu Bildung zu gewähren“.
Es wird in den vorgenannten Normen nicht einmal unterschieden zwischen Jugendlichen und Kindern, ebenso wenig wie in dem Erlass vom 19.08.2020 „Durchführung von Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam“ und ließe mithin auch die Inhaftierung von Kindern zu, was ja auch die Aufzählung in 2.2 (zweiter Spiegelstrich) möglich macht (dort heißt es „... mit minderjährigen Kindern“ und nicht mit Jugendlichen…).
Auch wenn der Zuwanderungsbeauftragte die Inhaftierung von Minderjährigen oder Elternteilen von Minderjährigen, ob alleinerziehend oder nicht, für inakzeptabel hält, ist die in dem Erlass gewählte Formulierung doch zumindest dahingehend hilfreich, dass grundsätzlich von der Abschiebungshaft entsprechender Personengruppen abgesehen werden soll sowie, dass die Haftdauer nicht fünf Tage überschreiten sollte.
3.3 Berücksichtigung gesundheitlicher Gesichtspunkte
Zu Recht wird in dem Erlass darauf hingewiesen, dass bei Haftunfähigkeit Abschiebungshaft nicht durchgeführt werden kann. Unabhängig von der grundsätzlichen Frage der Haftfähigkeit, sollte bei der Anordnung von Abschiebungshaft ein anderer Maßstab gelten als bei der Strafhaft. Schließlich geht es nicht um das Durchsetzen des staatlichen Strafanspruchs, sondern lediglich um Verwaltungszwang. Dies gilt insbesondere auch bei der Inhaftierung von Menschen mit Behinderung.
Es sollte grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Menschen mit einem Grad der Behinderung ab 50 % nicht inhaftiert werden sollten.
4.3 Vorläufiger Behördengewahrsam (§ 62 Abs. 5 AufenthG)
Da davon auszugehen ist, dass ein Festhalten einer ausreisepflichtigen Ausländerin/eines ausreisepflichtigen Ausländers und die vorläufige Gewahrsamnahme eine Freiheitsentziehung im Sinne des Artikels 104 Absatz 2 Satz 1 GG ist und es dabei um einen schweren Eingriff in das Recht der Freiheit der Personen geht, auch wenn diese in Gewahrsamnahme möglicherweise nur für einen kurzen Zeitpunkt erfolgen soll, hält der Zuwanderungsbeauftragte den Richtervorbehalt unbedingt für erforderlich.
Vor einer Freiheitsentziehung, die letztlich nur dem Durchsetzen von Verwaltungszwang dienen soll, bedarf es nach hiesiger Wertung unbedingt einer Entscheidung durch eine Richterin/einen Richter. Wenn eine entsprechende Entscheidung im Vorfeld nicht erreicht werden kann, beispielweise bei spontanen Festnahmen, sollte es keine Gewahrsamnahme geben dürfen.
Ob bei einem unterstellten richterlichen Bereitschaftsdienst, der zu jeder Tageszeit sofort zu einer qualifizierten Entscheidung des Gerichts führen könnte, der Festnahmebefugnis der Ausländerbehörde keine verfassungsrechtlichen Bedenken mehr begegnen würden, ist eine andere Frage, denn auch bei einer Entscheidung zur Nachtzeit durch eine Richterin/einen Richter, würden ja in aller Regel die erforderlichen ausländerrechtlichen Unterlagen nicht vorliegen können, auch wären die Anhörungsrechte der inhaftierten Ausländerin/des inhaftierten Ausländers kaum im erforderlichen Umfang realisierbar.