Trotz der bekanntermaßen ohnehin gefährlichen Lage und der aktuell durch den internationalen Truppenabzug zunehmend eskalierenden Gewalt in Afghanistan hat die Bundesregierung am gestrigen Dienstag, 6. Juli 2021, die 40. Sammelabschiebung vom Flughafen Hannover-Langenhagen nach Afghanistan durchgeführt. Auch die Hansestadt Lübeck war daran beteiligt. Nur durch anwaltliches Engagement und verwaltungsgerichtliche Entscheidung konnte in letzter Minute die Abschiebung eines in Lübeck lebenden Afghanen durch einen Eilantrag verhindert werden.
Obwohl Afghanistan durch die derzeitige Corona-Situation besonders betroffen ist und die desaströse Lage für Abgeschobene in einer von der Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann erst kürzlich veröffentlichten <link https: www.frsh.de fileadmin pdf aktuelles afg_monitoring-studie_final.pdf external-link-new-window external link in new>Studie umfassend dokumentiert wurde, werden weiterhin Abschiebungen in das aktuell unsicherste Land der Welt durchgeführt. Die Leichtfertigkeit der Bundes- und beteiligten Landesregierungen gegenüber der Kriegsrealität in Afghanistan ist dabei erschreckend.
Vor einer Woche kehrten die letzten derzeit in Afghanistan stationierten deutschen Soldat*innen zurück. Seit Abzug der internationalen Truppen spitzt sich die Sicherheitslage vor Ort weiter zu. Die NATO-Truppen haben das Land verlassen, seitdem nehmen die Taliban immer mehr Gebiete ein. Laut <link https: www.zeit.de politik ausland afghanistan-soldaten-flucht-tadschikistan-taliban external-link-new-window external link in new>Berichten der ZEIT sind bereits über 1.000 afghanische Soldat*innen über die Landesgrenze in das Nachbarland Tadschikistan geflohen.Es herrscht politische Ungewissheit und Angst, Terroranschläge gegen Universitäten, Schulen und soziale Einrichtungen sind an der Tagesordnung.
„In eine offensichtlich eskalierende, von Aufstandsgewalt und Überlebensrisiken gekennzeichnete Lage darf niemand abgeschoben werden. Die westlichen Truppen werden evakuiert und in Sicherheit gebracht. Dass aber Geflüchtete in das Krisengebiet abgeschoben werden sollen, ist ein Skandal", protestiert Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Dass die schleswig-holsteinische Innenministerin Sütterlin-Waack im Juni mit ihrem Vorstoß für ein Abschiebungsmoratorium – was wenig genug ist – bei ihren Kollegen aus Bund und Ländern gescheitert ist, macht die erschreckende Empathielosigkeit der Innenminister gegenüber der angesichts drohender Abschiebung begründeten Todesangst der Betroffenen deutlich.
Der Flüchtlingsrat begrüßt indes, dass Schleswig-Holstein 50 der nach dem Abzug der Bundeswehr wegen ihrer "Kollaboration mit den Ungläubigen" an Leib und Leben bedrohten Ortskräfte aufnimmt. Aber dass die Bundesregierung, wie der <link https: ondemand-mp3.dradio.de file dradio verantwortung_fuer_afghanische_mitarbeiter_interview_dlf_20210604_0650_bd650bf9.mp3 external-link-new-window external link in new>Deutschlandfunk am 4. Juni einmal mehr berichtete, nicht Sorge für alle durch Rachegewalt gefährdeten Ortskräfte übernehmen will, sei nicht hinnehmbar.
Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl scheint der Politik jedoch nicht nur rationales Augenmaß, sondern den Politiker*innen auch jegliche Menschlichkeit abhandengekommen zu sein. So forderte die Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey am Wochenende nicht nur die konsequentere Abschiebung nach Afghanistan, sondern auch nach Syrien. Matthias Middelberg, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, ergänzte, dass es schließlich auch Rückführungen in Länder geben müsse, „in denen es vielleicht manchmal schwierig erscheint“.
gez. Eva Biereder, T. 0431 55685646, <link mail window for sending>projekt@frsh.de