Mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft als Wirtschaftsraum galten allenfalls der freie Austausch von Waren, Gütern und Dienstleistungen als Grundlagen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit. Erst sehr viel später gerieten auch die Menschen in den Blick. Heute erlaubt die Freizügigkeit EU-Bürgerinnen und -Bürgern sich überall in der EU niederzulassen, unternehmerisch oder auf dem Arbeitsmarkt erwerbstätig zu werden. Insbesondere Deutschland profitiert davon in hohem Maße.
Aus guten Gründen räumt die EU-Freizügigkeit auch vermeintlich armen EU-Bürgerinnen und -Bürgern die Möglichkeit ein, ihr Glück in einem anderen Land zu suchen. Die Freizügigkeit trägt zu gesellschaftlicher Vielfalt und zu mehr Wohlstand bei. Letzteres gilt zwar noch nicht für Alle. Jedoch lebt der größte Teil der Zuwanderer in Deutschland nicht in prekären Verhältnissen, sondern zahlt Steuern und Sozialversicherungsbeiträge.
Innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten bestehen bzgl. der sozialen Lage der Bevölkerung nach wie vor große Unterschiede. Aktuelle Migrationsbewegungen innerhalb der EU überraschen daher kaum. Nationalstaatliches Denken wird die EU-Binnenmigration weder verhindern noch seriöse Alternativen bereitstellen. Dennoch reiben sich interessengeleitete Politiker und ihre Medien – gern in Vorwahlzeiten – an der Freizügigkeit. Insbesondere Minderheiten, die dem Diskriminierungsalltag und der prekären Wirklichkeit ihrer Heimat in die Freizügigkeit Europas zu entfliehen suchen, geraten regelmäßig ins Fadenkreuz polemischer Debatten.
Die Binsenweisheit, dass nicht alle Zuwanderer von Beginn an aus eigener Kraft die an sie gestellten Anforderungen erfüllen können, dient dabei als Rechtfertigung für eingeforderte soziale Ungleichbehandlung und Zuwanderungsbeschränkungen. Zum Beispiel sollen nichtdeutsche Unionsbürgerinnen und Unionsbürger bei Bezug von Sozialleistungen ausgewiesen werden.
Die Beiträge der Tagung „EU-Zuwanderung – Aus der Armut in die Armut?“ formulierten indes ganz andere Bedarfe:
So lieferten Expertinnen und Experten eine kritische Zwischenbilanz mit Blick auf die Arbeitswelt, auf die Gesellschaft und bestehenden Rassismus und auf das Sozialsystem. Aber es wurden auch exemplarische Strategien aus Kommunen vorgestellt, die zeigen, wie Probleme gelöst werden können. Die Draufsicht auf die spezifische Lage in Schleswig-Holstein lieferte der Beitrag des Kieler Innenministeriums. Diskutiert wurde, wie den Menschen frühzeitig mit bedarfsgerechten Maßnahmen zur Integration begegnet werden könne. In drei Arbeitsgruppen wurden Lösungen zu den Themen Bildung, Arbeit und Wohnen zusammentragen.
Zum Ende der Tagung formulierten die Veranstalter ihre politischen Forderungen:
- Effektive Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung,
- zielgruppengerechte Aufklärung in Behörden und Ämtern,
- Zugang zu Integrationskursen und anderen Bildungsangeboten,
- Unterstützungsangebote zur Durchsetzung bei Ansprüchen auf Transferleistungen,
- Maßnahmen gegen Mietwucher und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse,
- Förderung von Selbstorganisation,
- Durchsetzung der Akzeptanz der Europäischen Gesundheitskarte (EHIC),
- diskriminierungsfreier Zugang zu Gesundheitsversorgung,
- anonymer Krankenschein in akuten Notfällen.
Veranstalter der Tagung waren:
- Ø der schleswig-holsteinische Landesverband Deutscher Sinti und Roma e.V.
- die Landes-Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände Schleswig-Holstein e.V.
- der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
- das Projekt Dolmetscher-Treffen der Gesellschaft für politische Bildung e.V.
- der Beauftragte für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen des Landes Schleswig-Holstein
- und der AWO-Kreisverband Kiel
Kontakt:
- Flüchtlingsrat SH Martin Link, Tel. 0431/735000, www.frsh.de
- Referent des Flüchtlings- und Zuwanderungsbeauftragter Torsten Döhring, Tel. 0431/988-1252
- AWO-Kreisverband, Günay Turan, Tel. 0431/77570-57
- LAG FW, Norbert Schmitz, Tel. 0431/5902-20