Der Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Manfred Schmidt, fordert unverblümt zum Verfassungsbruch auf. Schmidt tritt dafür ein, Asylsuchenden aus den sicheren Herkunftsländern - zuletzt hat der Bundestag in Kollaboration mit dem Bundesrat Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu solchen erklärt - das Taschengeld aus dem Asylbewerberleistungsgesetzt vorzuenthalten. Dass das Bundesverfassungsgericht erst im Sommer 2012 die Unteilbarkeit der Menschenwürde auch mit Blick auf die Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes eingefordert hatte, ficht Schmidt und Seinesgleichen offenbar nicht an.
Horst Seehofer, Ministerpräsident in Bayern, sekundiert solcherlei menschenfeindliche Denkschulen schon länger mit Forderungen nach Essenszwangspaketen und regelmäßigen Arbeitsverboten für Balkanflüchtlinge. Diese und aktuelle – nach Verlauten mit dem Bundesinnenministerium (BMI) abgestimmte – Forderungen Seehofers, Balkan-Flüchtlinge regelmäßig in abgeschotteten Lagern zu internieren, "ist zynisch und grenzt an Volksverhetzung" kommentiert der Bayerische Flüchtlingsrat.
Doch haben BMI/BAMF und CSU mit ihrer Kampagne die Bundesregierung offenbar vollends sturmreif geschossen. Heute erklärt die Bundesflüchtlingsbeauftragte im Bundeskanzleramt, Staatsministerin Aydan Özoğuz (SPD), Verständnis für die Haltung Bayerns. "Das Vorhaben, Asylsuchende bereits nach Herkunftsländern sortiert auf die Erstaufnahmestellen zu verteilen, sei durchaus eine Idee", zitiert das rbb-Inforadio die Staatsministerin.
Dass sich in den Plänen aus Bund und Ländern nur wenig erfolgreich zünftige antiziganistische Grundhaltungen verbergen, wird bei genauerer Betrachtung der tatsächlichen Zahlen des BAMF offenbar. Der Sammelbegriff 'Flüchtlinge vom Balkan' kaschiert, dass es sich mehrheitlich um Roma handelt. Dies zeigen die Zahlen des Bundesamtes für Migration: Im März dieses Jahres beantragten 690 Menschen aus Bosnien-Herzegowina in Deutschland Asyl, 407 von ihnen waren Roma. Von Serben kamen 2.833 Anträge, darunter 2.525 Roma. Von den 1.186 Mazedoniern, die im März Asyl beantragten, waren 644 Roma.
Roma sind in ihren vermeintlich sicheren Herkunftsländern faktisch vom Besuch öffentlicher Schulen ausgeschlossen. Ihr Anteil an den 2/3 der arbeitslosen Jugendlichen z.B. in Serbien liegt bei 95%, eine Krankenversicherung mithin eine Gesundheitsversorgung für Roma existiert faktisch nicht, ihre weder mit Strom noch Wasser versorgten "Siedlungen" werden eins ums andere Mal mit Bulldozern platt gemacht, ohne dass alternativer Wohnraum bereit gestellt wird. Willkürliche ordnungsbehördliche Gewalt gegen Roma gehört in all diesen "Unsicherheitsländern" zum verbreiteten Standard staatlicher Minderheitenpolitik. Selbst von Not- und humanitären Hilfsaktionen im Katastrophenfall – zuletzt bei den schweren Überschwemmungen im Westbalkan – werden Roma ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund erscheinen mit Waffen ausgetragene Gewalttätigkeiten – wie jüngst in Mazedonien – als konsequente Eskalation der bisherigen Diskriminierungsstrategie gegen Roma.
Nadia Pantel erinnert in der SZ vom 21. Juli: "Auch wenn Roma formal die serbische, bosnische oder mazedonische Staatsbürgerschaft haben, werden sie im Alltag oft wie Staatenlose behandelt. In den 700 Jahren, die die Sinti und Roma in Europa leben, wurden sie immer wieder Opfer von Ausgrenzung und Verfolgung. Die deutschen Nationalsozialisten erklärten Sinti und Roma 1935 zu 'Volks- und Reichsfeinden'. 24 000 Sinti und Roma wurden allein in Deutschland registriert und deportiert. Mehr als eine halbe Million Sinti und Roma wurden insgesamt in den Arbeits- und Vernichtungslagern der Nazis umgebracht."
"Die systematische Diskriminierung von Roma und anderen ethnischen Minderheiten führt regelmäßig zu Überlebensnöten, die allen Unkenrufen zum Trotz sehr wohl asylwürdig sind", erklärt Martin Link, Geschäftsführer vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, und fordert das sofortige Ende politischer Hetzkampagnen gegen Flüchtlinge aus dem Balkan. "Eine Politik, die dem sozialen Aushungern und der Konzentration von Balkanflüchtlingen in Spezialausreiselagern das Wort redet, hat ihre furchtbaren Parallelen in einer deutschen Geschichte, die wir doch als überwunden glaubten", mahnt Link.
Der Flüchtlingsrat erwartet indes, dass die Landesregierung Schleswig-Holstein und die im Landtag vertretenen Parteien sich von einer von ethnischer und sozialer Selektion gekennzeichneten Asylpolitik distanzieren und ihren Vollzug verweigern werden. „Gleichzeitig hoffen wir, dass die Kieler Landesregierung sich nicht vor den Karren Derjenigen spannen lässt, die derzeit die Erklärung der Staaten Kosovo, Albanien und Montenegro zu angeblich ‚sicheren Herkunftsstaaten‘ einfordern“, erklärt Martin Link.
gez. Martin Link, ml@frsh.de