Was er persönlich zur Verfasstheit Deutschlands denke, erklärte Bundesinnenminister De Maizière am Dienstag, habe er am Wochenende mit zehn Thesen zu einer „Leitkultur für Deutschland“ niedergelegt.
"Dieser Beitrag ist kaum geeignet, der Befindlichkeit im Einwanderungsland Deutschland angemessenen Ausdruck zu verleihen", kritisiert Martin Link. Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. "Er erfüllt aber alle Kennzeichen einer populistischen Wahlkampfretorik und dient offensichtlich vor allem dem Interesse des Stimmenfangs am rechten Rand", mahnt Link.
Die Thesen des Bundesinnenministers sind altbekannt und es hagelt seit der Veröffentlichung am Sonntag herbe Kritik, selbst aus den eigenen Parteireihen. Besonders erschreckend ist, dass für Herrn de Maizière offenbar nicht das Grundgesetz und die Grundfreiheiten, wie Achtung der Menschenwürde oder Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit, leitend für das Gemeinwesen sind. Bürgerschaftlich identitätsstiftend erscheinen ihm eher vermeintlich gemeinsame Altagsrituale, wie das Handeschütteln, Bekleidungsvorlieben und Volksfeste.
„Wir sind nicht Burka“ formuliert de Maizière – nein, Burkaträgerinnen sind „wir“ autochtonen Deutschen und auch die allermeisten der von "uns" in diesem Deutschland mit und ohne deutschen Pass lebenden, hierher zugewanderten Menschen tatsächlich nicht. „Wir“ sind demokratische und kulturelle Vielfalt und lassen uns nicht von den überkommenen Klischees eines anmaßenden Innenpolitikers vereinnahmen! Was für die einen die 1. Mai Demonstration, ist den anderen die Fronleichnamsprozession. Wen also meint dieses vom selbsternannten Verfasstheitsminister behauptete deutsche „Wir“?
Dass ausgerechnet die Burka ins Feld geführt wird, die tatsächlich nur vereinzelt im Straßenbild erscheint, demaskiert, gegen wen sich der Vorstoß eigentlich richtet. Kirchtürme prägen laut de Maizière die Landschaft eines laizisitschen Deutschlands. Minarette und Moscheen stören diesen monokulturellen Tunnelblick offenbar. Hier wird verantwortungslos denjenigen das Wort geredet, die gern eine „Islamisierung“ Deutschlands herbeireden, doch regelmäßig mit der Bewahrung demokratischer Verfasstheit so gar nichts im Sinn haben.
Die Thesen von Bundesinnenminister de Maizière tragen nicht zur Gestaltung eines Zusammenlebens in einer modernen Einwanderungsgesellschaft und zur Identifikation mit Staat und Gesellschaft bei. Sie vertiefen im Gegenteil Ressentiments und Ängste.
Was stattdessen für ein friedliches Zusammenleben opportun bleibt, ist die Übernahme von Verantwortung für die Auswirkungen deutscher Politik in der Welt, eine offene und kontoverse Diskussion darüber, wie die Gesellschaft in der Zukunft aussehen soll, orientiert an der Achtung der Menschenwürde und den Grundrechten.
Dazu gehören nicht populistische Symbolpolitik mit restriktiven Sondergesetzen gegen Flüchtlinge und ebenso wenig gebetsmühlenhaftes Insistieren auf vermeintlich gemeinsame Lebensstile.
Vielfalt ist unumkehrbare Realität auch in der bundesdeutschen Gesellschaft. Dieses Gemeinwesen zu fördern, bedarfs es eines konstruktiven auf Chancengerechtigkeit für alle orientierten Umgangs mit Vielfalt, anstatt Ausgrenzungen qua behaupteter Alltagsstandards das Wort zu reden.
Für den dringend gebotenen Abbau struktureller Diskrimininierung sind stattdessen erforderlich eine verbesserte Sprachförderung, ein Arbeitsmarktzugang für alle ohne gesetzliche und andere strukturelle Hürden ebenso wie politische Beteiligungsmöglichkeiten.
Das schafft Identität und ein „Wir“-Gefühl in einer heterogenen Gesellschaft.
Pressekontakt: Dr. Jasmin Azazmah, Flüchtlingsrat SH, T. 0431 55 68 53 60,<link mail window for sending> public@frsh.de.