Wir sind tief besorgt.
Am Sonntag, den 23. Juli, erklärte der Bundesvorsitzende der CDU Friedrich Merz zur besten Sendezeit im ZDF die laut Bundesparteitagsbeschluss bestehende Unvereinbarkeit der Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD für obsolet. Die Begründung, warum aus freien Wahlen hervorgegangene Mandate faschistischer Kräfte in der Kommunalpolitik vom Bundesparteitagsbeschluss nicht erfasst seien, bleib Herr Merz schuldig.
Wie groß die Gefahr ist, dass auch hierzulande die Brandmauer gegen die politische Zusammenarbeit mit einer faschistischen, von rassistischer, frauenfeindlicher und queerfeindlicher Hetze und Fake-News-Verbreitung lebenden Partei fällt, kann man im Kreis Segeberg nachvollziehen. Dort kollaboriert die CDU schon länger offen mit der AfD bei der Wahl zur Besetzung von Ausschussvorsitzen. Wir stimmen allerdings Bundestagsvizepräsidentin Magwa (CDU) uneingeschränkt zu, wenn sie urteilt, ob Ortschaftsrat oder Bundestag - rechtsradikal bleibe rechtsradikal.
Über das von ihm so leutseelig zur AfD Parlierte hinaus, haben die Äußerungen von Friedrich Merz zur Geflüchtetenpolitik unsere besondere Besorgnis mobilisiert. So erklärte der CDU-Bundesvorsitzende u.a. die Forderung seines Parteikollegen Torsten Frei nach den bekanntermaßen mit extremer Gewalt gegen Frauen, Kinder und Männer einhergehenden völker- und menschenrechtswidrigen Pushbacks für gerechtfertigt und für eine "sehr sehr gute und konstruktive Idee", ohne allerdings die angeblich "genügenden Sachverständigen, Völkerrechtler, Europarechtler", die "einen solchen Vorschlag für zulässig" erklären, beim Namen zu nennen. Dass Friedrich Merz wohl die aus der AfD schon länger gewohnte hetzerische flüchtlingsfeindliche Propaganda zu übernehmen bereit ist, offenbart sich u.E. auch in der Fake-News "hundertausendfachen Missbrauchs" des Asylgesuchs. Eine solche Behauptung entbehrt jeglicher seriöser Bezugsgröße, z.B. der regelmäßige veröffentlichten Statistiken des hier zuständigen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge oder fachwissenschaftlicher Studien.
Die Anerkennungsquote von Asylanträgen ist auf einem historischen Höchststand. Es ist menschen- und grundrechtswidrig, die Schutzansprüche von Frauen bzw. Kindern gegen die von Männern auszuspielen. Nach dem EU- und Völkerreicht ist es nicht zulässig, das individuelle Recht auf Asyl durch Aufnahmekontingente zu ersetzen. Auch ist die Einreise von Geflüchteten nicht illegal, wenn sie im Anschluss Asyl beantragen.
Sehr geehrter Herr Landesvorsitzender Günther,
- setzen Sie gegenüber den vom CDU-Bundesparteivorsitzenden und anderen Vertreter*innen der Bundespartei ausgehenden Parolen eine klare Kante gegen Rechts und bekennen Sie sich auch parteiintern und öffentlich weiterhin zu den Zielen einer von Willkommen für Verfolgte und Kriegsflüchtlinge und ihre nachhaltige Integration von Anfang an gekennzeichneten Politik in Schleswig-Holstein.
- Nehmen Sie Einfluss auf die Kreis- und Ortsverbände Ihrer Partei, damit das Fallen der gegen eine Kollaboration mit der AfD gerichteten Brandmauer sich nicht zum Flächenbrand einer von der politischen Mitte mitgetragener faschistischen und menschenfeindlich verstehenden Politiken in den Kommunen entwickelt.
gez. Vorstand des Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein e.V.
Hintergrund
1. Laut Merz soll das individuelle Asylrecht abgeschaffte und Pushbacks sollten erlaubt werden
Diese Forderungen sind populistisch. Keine Bundesregierung kann das individuelle Asylrecht enpassant abschaffen. Die Rechte von Schutzsuchenden auf ein individuelles Asylverfahren und die Pflicht Deutschlands zur individuellen Prüfung ihrer Asylanträge ergibt sich völkerrechtlich aus der Genfer Flüchtlingskonvention und europarechtlich aus der sog. Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU). Selbst wenn die Bundesrepublik aus der Flüchtlingskonvention austreten würde, wäre sie weiterhin an ihre Verpflichtung aus der Verfahrensrichtlinie gebunden. Selbiges gilt für die Forderung nach Pushbacks. Vor allem: Selbst wenn das individuelle Asylrecht abgeschafft werden würde, würden Menschen immer noch in Deutschland ankommen. Dazu, was dann passieren soll, äußert sich Merz nicht.
2. Merz behauptet ohne Belege, das Asylrecht werde in Deutschland hunderttausendfach missbraucht
Diese Aussage ist sachlich falsch und vermessen. Merz diskreditiert mit dieser Aussage insbesondere die Fluchtgründe männlicher Geflüchteter und degradiert sie dadurch zu Geflüchteten zweiter Klasse. Im Jahr 2022 erhielten fast Dreiviertel der Schutzsuchenden, über deren Schutzbegehren inhaltlich entschieden wurde, vom BAMF einen Schutzstatus (sog. „bereinigte Schutzquote“). Hinzu kommt, dass mehr als ein Drittel (37 %) der ablehnenden Bescheide des BAMF durch die Gerichte oder vom BAMF korrigiert werden: Etwa 40.000 Asylsuchende, die vom BAMF zunächst abgelehnt worden waren, erhielten im Jahr 2022 dann doch noch einen Schutzstatus zugesprochen. Die drei Hauptherkunftsländer waren dabei Syrien, Afghanistan und die Türkei.
3. Merz behauptet, "diejenigen, die unsere Hilfe wirklich bräuchten", blieben zurück
Diese Aussage ist bigott. Ginge es Merz tatsächlich um die gezielte Hilfe für besonders schutzbedürftige Personen wie Kinder, Frauen oder älteren Menschen, so sollten er und seine Partei sich zumindest für sichere Fluchtwege – bspw. durch die Möglichkeit Asyl in deutschen Botschaften zu beantragen oder über Aufnahmeprogramme einzureisen – oder Verbesserungen im Asylverfahren für diese Personengruppen einsetzen. Mit beidem ist die Union bislang nicht in Erscheinung getreten. Zudem zeigt nicht zuletzt das Unglück von Pylos (Griechenland), dass auch Frauen und Kinder mangels Alternativen gezwungen werden, in seeuntüchtige Boote zu steigen, um ihr Leben in Sicherheit zu bringen.
4. Merz' Forderung nach mehr Grenzkontrollen
Diese Forderung ist ebenfalls populistisch. Zum einen sind regelmäßige Grenzkontrollen im Schengenraum rechtswidrig. Zum anderen sind Grenzkontrollen kein geeignetes Mittel, um die Einreise von Schutzsuchenden zu verhindern, da - wie Merz im ZDF-Interview selbst feststellt - Pushbacks innerhalb der EU gegen die sog. Dublin-Verordnung verstoßen. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass insbesondere Geflüchtete, aber auch andere Menschen ohne deutschen Pass, ins Licht der Kriminalität gerückt werden sollen. Zumal es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass massenhaft Menschen unregistriert, d.h. ohne jeden Kontakt zu jeglichen Behörden in Deutschland leben. Hinzu kommt, dass Geflüchtete überhaupt keine Möglichkeit haben, mit einem Visum einzureisen und ihre Einreise nicht strafbar ist, sofern sie im Anschluss Asyl beantragen.