Bei genauer Lektüre des Ausschuss-Beschlusses müssen alle, die auf eine Lösung für das Problem der Kettenduldungen hoffen, jedoch enttäuscht und sogar alarmiert sein.
Der Innenausschuss des Bundesrates hat am 2.12.2010 Empfehlungen zur Umsetzung einer im November im Rahmen der Innenministerkonferenz beschlossenen Bleiberechtsregelung für "gut integrierte" geduldete Jugendliche verabschiedet. Bei genauer Lektüre des Ausschuss-Beschlusses müssen alle, die auf eine Lösung für das Problem der Kettenduldungen hoffen, jedoch enttäuscht und sogar alarmiert sein.
Die neue stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für Jugendliche, die Anfang 2011 als § 25a mit einem ganzen Paket anderer Änderungen ins Aufenthaltsgesetz eingefügt werden soll, ist auch in der Fassung des Innenausschusses für Einige eine echte Verbesserung. Begünstigt werden sollen jedoch lediglich “gut integrierte” 15- bis 20-jähirge Jugendliche, die mindestens 6 Jahre in Deutschland leben und ebenso lange hier zur Schule gegangen sind oder einen deutschen Schulabschluss vorweisen können. Ihre Eltern und minderjährigen Geschwister dürfen bleiben bis zu ihrer Volljährigkeit. Dann muss der Lebensunterhalt für die ganze Familie überwiegend aus eigener Kraft gesichert sein. Straffälligkeit, aber auch der Vorwurf von Identitätstäuschung oder Verzögerung der Abschiebung sollen nach dem Beschluss des Innenausschusses als Ausschlussgründe gelten.
In Schleswig-Holstein lebten zu Anfang dieses Jahres knapp 1.900 Geduldete. Darunter nur 124 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren und 316 junge Erwachsene (18-26 Jahre).
Alle anderen sollen außen vor bleiben: Ausdrücklich wird in der Begründung des Beschlusses die Meinung vertreten, diese Regelung mache weitere Bleiberechts- oder Altfallregelungen überflüssig. Die Mehrheit der Betroffenen soll demnach weiterhin auch nach langjährigem Aufenthalt perspektivlos und ausgegrenzt von rechtlicher und sozialer Teilhabe in der Duldung verharren. Auch diejenigen, die im Rahmen der Ende 2011 auslaufenden stichtagsgebundenen Altfallregelung eine Aufenthaltserlaubnis "auf Probe” erhalten haben, wären so wieder von Abschiebung bedroht, wenn es ihnen nicht gelingt, ihren Lebensunterhalt bis dahin zu sichern.
Der Beschluss macht deutlich: Lediglich das jüngste, anpassungs- und leistungsfähigste "Humankapital" soll abgeschöpft werden, um dem demographischen Wandel in Deutschland zu begegnen. “Von den Jugendlichen, die es schaffen, ihre Schullaufbahn trotz der Bedingungen im Status der Duldung mit Lagerleben, beengten Wohnverhältnissen und Angst vor Abschiebung einigermaßen unbeschadet zu durchlaufen, hängt in Zukunft das Schicksal ihrer gesamten Familie ab - und sie müssen dennoch allein in Deutschland zurückbleiben, wenn die anderen Familienmitglieder nicht genug Geld verdienen”, so Johanna Boettcher vom Netzwerk “Land in Sicht! - Arbeit für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein”.
Eine Bleiberechtsregelung für Jugendliche ist ein begrüßenswerter erster Schritt, sie darf aber keinesfalls ein Ersatz für eine umfassende stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete sein. Die Absage des Ausschusses an weitere entsprechende Beschlüsse entlarvt die Verantwortlichen selbst als die “Integrationsverweigerer”, die sie allerorts vorzufinden meinen.
Noch ist das Gesetzgebungsverfahren nicht abgeschlossen. Der Flüchtlingsrat appelliert an alle Beteiligten nicht mit einer Minimallösung die Option für eine dringend erforderliche und gesellschaftlich sinnvolle weitergehende Regelung aufs Spiel zu setzen.
gez. Astrid Willer, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V., Kiel
Hintergrund: <link file:281 download herunterladen der datei>Bleiberecht_2-12-2010.PDF