Eine von der Ministerpräsidentenkonferenz eingesetzte Arbeitsgruppe hat unter hessischem Vorsitz mit der Bezahlkarte ein Diskriminierungsinstrument konzipiert, das insbesondere geflüchteten Menschen aus dem globalen Süden, die auf Leistungen gem. Asylbewerberleistungsgesetzt (AsylbLG) angewiesen sind, das Leben in Deutschland schwer machen soll. Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein lehnt die Bezahlkarte ab und hat sich an die Landesregierung mit der Forderung gewendet, die vorhandenen Spielräume im Sinne der Betroffenen positiv zu nutzen.
Die einheitliche Bezahlkarte statt Bargeld für Geflüchtete im Leistungsbezug des AsylbLG kommt – das ist die aktuelle Botschaft der Bundesländer. 14 der 16 Länder (darunter Schleswig-Holstein) hätten sich auf »Standards« der Bezahlkarte und ein gemeinsames Vergabeverfahren geeinigt, teilte die Hessische Staatskanzlei am 31. Januar mit. Faktisch bekunden die Länder mit dieser Erklärung zur Bezahlkarte den Willen, ein Diskriminierungsinstrument zu installieren, das sich faktisch vor allem gegen Geflüchtete aus dem globalen Süden richtet. Ausgeschert sind zunächst die Bundesländer Bayern und Mecklenburg-Vorpommern.
Während Bayern mit der Karte eine größtmögliche Gängelung und Diskriminierung von Asylsuchenden zu betreiben, hat Mecklenburg-Vorpommern erklärt, sich an den Absprachen der 14 Bundesländer zu orientieren, aber die Karte schneller umsetzen zu wollen: Eine Vorinformation wurde schon veröffentlicht und verheißt allerdings nichts Gutes, denn augenscheinlich soll die Bezahlkarte in MV auf vielfache Weise Diskriminierungen ermöglichen. Wörtlich heißt es in der Ausschreibung:
"Mit der guthabenbasierten Debit-Kreditkarte sollen Bargeldabhebungen und bargeldlose Zahlungen bundesweit möglich sein, wobei eine regionale Begrenzung des Einsatzes der Karten funktional zu ermöglichen ist. Zudem sind im Hinblick auf die Höhe und Anzahl der Bargeldauszahlungen sowie den bargeldlosen Anwendungskreis funktional Beschränkungen zwingend vorzusehen (Ausschluss bzw. Einschränkung von Onlinekäufen, Überweisungen in das Ausland, Money Transfer Services u.a.). Eine Sperrung der Karten durch die Leistungsbehörden des Landes bzw. der Landkreise und kreisfreien Städte ist zu ermöglichen."
Wie genau die einzelnen Bundesländer die Bezahlkarte ausstatten werden, ist noch offen. Das vorgebliche Ziel – die Senkung der Asylzahlen durch Abschreckung – werden die Verantwortlichen jedenfalls nicht erreichen. Diese Idee hat schon in den 1990er Jahren im Zuge der Schaffung des Sachleistungszwangs für Geflüchtete in die Irre geführt. So sozial schlecht behandeln kann man Menschen, die vor Krieg, Verfolgungsgewalt und Überlebensnot fliehen, gar nicht, als dass sie deshalb darauf verzichten würden, hier Schutz zu suchen. Was offenbar dennoch bei der Bevölkerung ankommen soll, ist das kaum verhohlene Signal: Wir tun etwas gegen Geflüchtete. Und damit lassen sich Politiker*innen der demokratischen Parteien vor den Karren derer spannen, die schutzsuchende Menschen generell von Deutschland fernhalten oder aus dem Land vertreiben wollen.
Erklärter Zweck der Bezahlkarte: Abschreckung
Mit der Bezahlkarte sollen die Bargeldverfügung für geflüchtete Menschen eingeschränkt und Überweisungen unmöglich werden. Schon auf ihrer Konferenz am 6. November 2023 hatten die Regierungschef*innen von Bund und Ländern betont, »Anreize für eine Sekundärmigration … nach Deutschland« und generell die Asylantragszahlen »deutlich und nachhaltig« senken zu wollen. In sozialpolitischen Verschärfungen, zu denen die Bezahlkarte gehört, sehen sie dazu offenbar ein legitimes und zielführendes Mittel.
Es ist nicht nur schäbig, die Ärmsten noch schlechter zu stellen, sondern auch grund- und menschenrechtlich fragwürdig: Schon allein dieser Abschreckungsgedanke wirft Fragen auf. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung von 2012 die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für jeden Menschen ausdrücklich festgehalten und erklärt, dass die Menschenwürde nicht "aus migrationspolitischen Gründen relativiert" werden dürfe (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11). Mit dieser Entscheidung hatte das höchste deutsche Gericht damals die Höhe der geringen Asylbewerberleistungen annähernd auf Sozialhilfeniveau angehoben – bis die Bundesregierung die Leistungen einige Jahre später wieder senkte.
Was bedeutet die Karte für die Betroffenen?
Je mehr Beschränkungen auf der künftigen Bezahlkarte sind, desto drastischer greifen die staatlichen Maßnahmen in das Alltagsleben und die persönliche Freiheit der Betroffenen ein. Bei der Verhinderung von Überweisungen scheinen sich die Länder bereits auf die restriktivste Linie festgelegt zu haben.
Die nun beschlossenen angeblichen Standards der Bezahlkarte sind keine Standards, sondern lediglich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Bundesländer einigen konnten. Auf dieser Grundlage können die einzelnen Länder die Karte mit technischen Nutzungseinschränkungen versehen, müssen dies aber nicht.
Klar ist: Je mehr Beschränkungen auf der Bezahlkarte sind, desto drastischer greifen die staatlichen Maßnahmen in das Alltagsleben und die persönliche Freiheit der Betroffenen ein. Bei der Verhinderung von Überweisungen scheinen sich die Länder bereits auf die restriktivste Linie festgelegt zu haben. Die sogenannten Heimatüberweisungen dienen Betroffenen dazu, in der Heimat oder in einem Fluchttransitland verbliebene Angehörige regelmäßig mit ein wenig Geld in der ansonsten geltenden Einkommenlosigkeit zu unterstützen. Sollten im Zuge der Bezahlkarten-Novelle tatsächlich keine Heimatüberweisungen mehr möglich sein, werden sich absehbar weitere Menschen in Folge noch größerer Überlebensnot in die Boote und auf den Weg ihrer ganz eigenen Familienzusammenführung machen müssen.
Fraglich ist darüber hinaus noch, wie es um den Datenschutz der Karte und insbesondere um den Schutz vor Missbrauch der Daten und der Zugriffsmöglichkeiten durch die Behörden aussehen wird.
Drei der größten Probleme sind folgende:
Keine Überweisungen: Die Bezahlkarte ist nicht mit einem Bankkonto verknüpft, eine Überweisungsmöglichkeit soll explizit ausgeschlossen sein. Überweisungen sind heutzutage aber unentbehrlich – etwa für einen Handyvertrag, für den Abschluss einer Haftpflichtversicherung oder manche kleine Einkäufe im Internet. Geflüchtete müssen insbesondere die Raten für ihre dringend benötigten Rechtsbeistände per Überweisung bezahlen können. Nicht alle Anwält*innen verfügen über ein Debitkartenterminal. Und dass die Geflüchteten jeden Monat zur Abbuchung oder zur Barzahlung zu ihrem Rechtsbeistand reisen, ist aufwendig und kostet wiederum Geld. Ohne Überweisungsmöglichkeit werden Geflüchtete aus einem wichtigen Bereich des Lebens ausgegrenzt und ihrer Selbständigkeit beraubt.
Beschränkung von Bargeld: Die Länder haben sich nicht einmal auf einen relevanten Mindestbetrag verständigt, der von den Betroffenen in bar abgehoben werden kann. Wer in Deutschland ohne Bargeld lebt und nur wenige Dinge in bestimmten Läden kaufen kann, verliert an Selbstbestimmung und macht demütigende Erfahrungen, etwa wenn der Euro für die öffentliche Toilette oder der Beitrag für die Klassenkasse fehlt. Beim Straßen-, Sport- und Gemeindefest oder in der Schulcaféteria kann man mit der Bezahlkarte nichts kaufen.
Im Sozialrecht ist anerkannt, dass Menschen selbstständig wirtschaften und selbst entscheiden sollen, welchen Teil ihres Geldes sie wofür ausgeben. Eine Beschränkung des Bargeldbetrags schränkt die Verfügungsgewalt der Menschen über die selbstständige Gestaltung ihres Lebens ein. Letztlich greift ein Bargeldentzug in Verbindung mit einer beschränkten Zahlmöglichkeit der Geldkarte die Menschenwürde der Betroffenen an.
Regionale Beschränkung: Die Bezahlkarte kann so eingestellt werden, dass sie nur innerhalb eines bestimmten Postleitzahlenbereichs funktioniert. Die regionale Einschränkung der Karte stellt offenkundig den Versuch dar, die Freizügigkeit der Betroffenen durch die Hintertür zu beschränken und die lokale Residenzpflicht durch die Hintertür zu reanimieren: Wer Verwandte oder Freund*innen besucht oder einen weiter entfernten Facharzt oder eine Beratungsstelle aufsuchen möchte, kann in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn er*sie unterwegs nicht einmal eine Flasche Wasser kaufen kann.
Eine diskriminierungsfreie Bezahlkarte wäre möglich
Neben diesen Beschränkungen sind weitere vorgesehen: Bestimmte Branchen oder Geschäfte können ausgeschlossen werden, auch der Ausschluss bestimmter Waren kann programmiert werden. Weitere individuelle Beschränkungen oder Sanktionen sind technisch möglich.
Wie die Länder die Karte letztlich umsetzen werden, welche Entscheidungen sie den Kommunen überlassen, ist offen. So können sie auch liberale Regelungen treffen und beispielsweise die Kommunen per Erlass binden, die Auszahlung des gesamten Geldbetrags zu ermöglichen.
Länder müssen Spielraum positiv nutzen
Tatsächlich könnte die Bezahlkarte auch diskriminierungsfrei eingesetzt werden: Als unbeschränktes digitales Zahlungsmittel für eine Übergangszeit zu Beginn, solange die ankommenden Menschen noch kein Konto haben. So macht es derzeit die Stadt Hannover vor – offenbar zur allseitigen Zufriedenheit. Bislang händigen die Behörden in der Anfangszeit Bargeld aus – eine aufwändige Prozedur. Der in den Erstaufnahmeeinrichtungen ausgezahlte Betrag ist dabei sehr niedrig (204 Euro im Monat für eine*n alleinstehende Erwachsene*n, faktisch oft weniger), weil dort ein großer Teil der Leistungen bereits derzeit als Sachleistung – in Form von Unterkunft, Kantinenessen, Altkleidern und anderem gewährt wird. Die Barauszahlung zu Beginn des Aufenthalts könnte durch die Bezahlkarte sinnvoll ersetzt werden und Verwaltungsaufwand sparen.
Dazu müssen Länder und Kommunen Beschränkungen und Missbräuche unterlassen, strikt den Datenschutz beachten und die noch vorhandenen Spielräume positiv und humanitär nutzen. Dabei ist es vor allem wichtig, den betroffenen Personenkreis klein und die Anwendungsdauer kurz zu halten: Sobald die Menschen ein normales Girokonto haben oder erhalten können, sind Bezahlkarten nicht mehr nötig. Die normale Girokarte ist diskriminierungsfrei, verfassungskonform und sogar für die Verwaltungen die einfachste und günstigste Lösung.
Was ist in Schleswig-Holstein geplant?
Das zuständige Sozialministerium erklärt gegenüber dem Flüchtlingsrat SH schon am 8.1.2024: "Diese Mindeststandards lassen Raum zur individuellen Ausgestaltung durch Länder und Kommunen im Rahmen der Einführung der Karte. Unstrittig ist, dass der Grundsatz der Menschenwürde unseres Grundgesetzes auch Richtschnur für die Gewährung von existenssichernden Transferleistungen ist und auch bleibt. Alle Leistungsberechtigen sollen diskriminierungsfrei die Bezahlkarte erhalten und nutzen können. Daher werden Leistungsberechtigte nach Einführung der Karte ihren 'notwendigen persönlichen Bedarf', das sog. Taschengeld, in bar und für sie kostenfrei vom Geldautomaten abheben können", da Überweisungsmöglichkeiten "auch aus Sicht der Leistungsbehörden oft notwendig [sind], weil Leistunsgberechtigte so unbar Mieten, Strom- oder Gaskosten anweisen können". Schließlich verspricht das Sozialministerium eine "diskriminiergsfreie und verfassungskonforme" Bezahlkartenpraxis im Bundesland.
Auf den schleswig-holsteinischen Erlass zur Bezahlkarte dürfen wir gespannt sein.
Hintergrund
Zur Rechtfertigung der Bezahlkarte werden vorgeschobene Argumente vorgebracht. Die zentrale Idee, weniger Geld oder mehr Drangsalierung würden zu weniger Asylsuchenden führen, ist so alt wie falsch – das hat schon die alte soziale Abschreckungspolitik ab den 1990er Jahren gelehrt. Kein Kriegsflüchtling wird die Flucht aufgeben, weil in Deutschland Bezahlkarten statt Bargeld warten. Auch künftig werden Geflüchtete aus manchen europäischen Ländern wie Griechenland oder Italien hierher kommen, weil sie andernorts gar keine Unterstützung bekommen, zum Teil sogar ohne Obdach und Versorgung, hungernd, frierend und nicht selten krank um ihr nacktes Überleben bangen. An dieser Realität werden wir auch künftig nicht vorbei kommen. Das Problem ist nicht, dass Deutschland zu hohe Sozialstandards hat, sondern dass manche Länder mitten in Europa die Menschenrechte nicht einhalten." Weiter heisst es, dass in Schleswig-Holstein keine Einschränkungen bzgl. der Postleitzahlbereiche und auch nicht auf einen beschränkten Waren- bzw. Dienstleistungskatalog erfolgen soll. Ebenso soll geprüft werden, inwieweit Geltüberweisungen mithilfe der Karte weiterhin möglich sein können, da auch
Die Bezahlkarte reiht sich ein in politische Maßnahmen ein, die in einer aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung zweifelhafte Signale an ressentimentgeladene Teile der Bevölkerung senden.
Eine weitere Begründung für die Bezahlkarte lautet: Man wolle den Transfer von Geld unterbinden – wahlweise zu den Heimatfamilien oder zu Schleppern. Dabei wird übersehen: Bereits heute erhalten Geflüchtete, besonders in der Anfangszeit in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder, vor allem Sachleistungen und nur einen sehr geringen Geldbetrag. Die Idee, von den geringen Asylbewerberleistungen könnte noch Geld in die Herkunftsländer geschickt werden, ist völlig realitätsfern.
Die Bezahlkarte reiht sich ein in politische Maßnahmen ein, die in einer aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung zweifelhafte Signale an ressentimentgeladene Teile der Bevölkerung senden. Die Umsetzung wird vielerorts absehbar zu Ärger und Frust im Alltag geflüchteter Menschen führen und ihr Ankommen und die Integration für eine lange Zeit behindern. Das ist keine rationale, konstruktive Asylpolitik.
(von Andrea Kothen, PRO ASYL, Martin Link, FRSH)