Flüchtlinge dürfen sich während ihres Asylverfahrens sowie mit einer aufenthaltsrechtlichen Duldung in Deutschland nicht frei bewegen. Entsprechend durften sie im Regelfall die Grenzen des Kreises bzw. der kreisfreien Stadt, wo sie in Schleswig-Holstein wohnverpflichtet waren, nicht ohne Zustimmung der Ausländerbehörde verlassen. Ein Verstoß gegen diese sogenannte Residenzpflicht wurde als Ordnungswidrigkeit, wiederholter Verstoß als Straftat geahndet. Im Frühjahr 2011 lockerte Schleswig-Holstein die Residenzpflicht: Asylsuchende sollten – bei Fortbestand der Wohnverpflichtung – sich im gesamten Bundesland bewegen dürfen.
Dies gilt ebenso für geduldete Flüchtlinge – nur dass hier "in besonders gelagerten Fällen" der Aufenthalt eben doch auf den Kreis beschränkt werden kann. Laut Erlass vom 27.5.2011 gilt dies, wenn die Ausländerbehörde den Vorwurf nicht erfolgter Mitwirkung bei der Umsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen erhebt.
"Will sagen," erklärt Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, "die über ihr Entkommen nach Deutschland glücklichen Flüchtlinge werden dafür bestraft, dass sie eine Rückkehr in die in ihrem Herkunftsland herrschenden Überlebensnöte, Diskriminierungen und Verfolgungen nicht riskieren mögen."
Die Antwort der Kieler Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (Drucksache 18/1314 v. 26.11.2013) zeigt, dass es in zwei Kreisen offenbar nur so von "besonders gelagerten Fällen" wimmelt, während den meisten Kommunen faktisch kaum bis keine Sanktionierungen notwendig erscheinen.
Unangefochtener Spitzenreiter ist der Kreis Segeberg, in dem nach den verlautbarten Zahlen über 70 Prozent der geduldeten Flüchtlinge weiterhin der Residenzpflicht im Kreisgebiet unterliegen. Der Kreis Stormarn sanktioniert immerhin noch 30 Prozent der dort lebenden Geduldeten in gleicher Weise. Während in den Kreisen Schleswig-Flensburg und Plön ca. 12 Prozent der Flüchtlinge das freie Überschreiten der Kreisgrenzen verwehrt wird, betrifft dies in den übrigen Kreisen zwischen 0 und 6 Prozent. Die kreisfreie Stadt Kiel sowie der Kreis Dithmarschen meldeten zurück, entsprechende Angaben seien nicht ermittelbar. Insgesamt unterliegen in Schleswig-Holstein weiterhin 250 Flüchtlinge der Residenzpflicht durch die amtliche sanktionierte Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf das Kreisgebiet, davon weit über die Hälfte (156) allein im Kreis Segeberg.
Unklar bleibt nach Auskunft der Landesregierung, inwieweit dem Anliegen von Asylsuchenden und Geduldeten statt gegeben wird, in ein anderes Bundesland (z.B. Hamburg) zu reisen. Die Mehrheit der Kreise führt nicht Buch über entsprechende Anträge, Erteilungen und Ablehnungen.
Die Antwort der Landesregierung offenbart darüber hinaus: geduldete Flüchtlinge, die sich – möglicherweise auf Arbeitssuche, zum Einkaufen oder auch nur der Liebe wegen – dennoch den ihnen zugewiesenen Aufenthaltsbereich verlassen, werden sanktioniert. In mindestens 200 Fällen wurden Bußgelder verhängt - die Dunkelziffer scheint höher, denn aus sechs Kreisen liegen keine Angaben vor. Zudem nahmen die Staatsanwaltschaften Flensburg, Itzehoe, Kiel und Lübeck seit Juni 2011 – also nach Lockerung der Residenzpflicht durch die Landesregierung – Ermittlungsverfahren wegen wiederholten Verstoßes gegen die Residenzpflicht auf. Davon wurden allerdings 108 Verfahren ohne Anklage eingestellt. Verurteilt wurden wegen dieses Delikts lediglich 7 Personen, so dass sich der Eindruck eines Arbeitsbeschaffungsprogramms für Staatsanwaltschaften aufdrängt.
Eine generelle Abschaffung der Residenzpflicht in Schleswig-Holstein – nach dem Vorbild Thüringens und Mecklenburg-Vorpommerns – plant die Landesregierung nach eigenem Bekunden nicht, da "entsprechende Ermessensentscheidungen in besonderen Einzelfällen weiterhin möglich sein sollen". Gegebenenfalls solle aber der ermessensleitende Erlass angepasst werden.
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein fordert indes von der künftigen Bundesregierung die ersatzlose Abschaffung der sogenannten Residenzpflicht. Das Recht auf Bewegungsfreiheit ist ein Menschenrecht, dessen Inanspruchnahme nicht vom Aufenthaltstitel abhängig gemacht werden kann.
Gleichzeitig fordert der Flüchtlingsrat die Landesregierung auf, im Sinne einer von liberaler Behördenpraxis gekennzeichneten „flüchtlingsfreundlichen Integrationspolitik“ den regelmäßigen Verzicht auf sogenannte „Ermessensentscheidungen in besonderen Einzelfällen“ durchzusetzen – damit das Maß an Freiheit für Flüchtlinge nicht davon abhängt, in welchen Kreis der Zufall jemanden spült.
gez. Martin Link
Downloads:
Die Antwort der Landesregierung vom 26.11.2013 auf eine Kleine Anfrage der FDP finden Sie unter <link http: www.landtag.ltsh.de infothek wahl18 drucks drucksache-18-1314.pdf>
www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/drucks/1300/drucksache-18-1314.pdf
.Der Erlass des Innenministeriums Schleswig-Holstein vom 27.5.2011: <link aktuell aktuelles aktuelle-meldung article raeumliche-beschraenkung>
www.frsh.de/aktuell/aktuelles/aktuelle-meldung/article/raeumliche-beschraenkung/