Die Rückführungsoffensive der Ampel-Bundesregierung befindet sich im Planungsvolldampf. Begleitet wird diese Politik inzwischen auch aus dem demokratischen Parteienspektrum mit einer zunehmend hetzerischen Propagandaschlacht gegen Zuwanderung im Allgemeinen und das Asylrecht im Besonderen mit - in Kauf genommenen? - gewalttätigen Folgen. Auch in Schleswig-Holstein sind die Wehen dieser Entwicklung schon spürbar: in Form von restriktiven Abschiebungspraktiken - sogar aus Kliniken - und kommunalpolitischen Schnapsideen, Kirchenasyle zu knacken. Leidtragende sind in erster Linie im Asylverfahren gescheiterte und bei Rückkehr in Dublin-Vertrags- oder Herkunftsstaaten gleichermaßen an Freiheit, Leib und Leben gefährdete geduldete Schutzsuchende.
Begleitet wird diese Entwicklung von zunehmender Nichtanerkennung der Asylgründe von Kriegsflüchtlingen. Zum Beispiel im Jemen stürzt die Asylanerkennungsquote des BAMF wider besseres Wissen im Jahr 2022 auf 28%. Bei Schutzsuchenden aus den Gewalthotspots afrikanischer Herkunftsstaaten werden bei 67 % ihre Asylgründe nicht anerkannt. Russischen Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern, die sich immerhin einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg mitten in Europa entziehen, geht es noch schlechter. Von knapp 2.500 beim Asylbundesamt gestellten Asylanträgen wurden bis dato nur 55 anerkannt. Mit völkerrechtswidrigen Pushbacks wird derweil auch an deutschen Grenzen der Zugang zum Asyl unterlaufen.
Gleichzeitig hintertreibt die Bundesregierung durch Überbürokratisierung und systematische Verschleppung der Verfahren ihre eigenen Initiativen für eine zielgerichtete menschenrechtsorientierte Aufnahme von verfolgungsgefährdeten Menschen. Das am 17.10.2022 aufgelegte Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan hat bis dato noch in keinem einzigen Fall zur versprochenen Aufnahme und Einreise nach Deutschland geführt.
Mit ihrer Rückführungsoffensive wollen Bund, Länder und Kommunen offenbar vor allem geduldete ausreisepflichtige Schutzsuchende aus dem globalen Süden ins Fadenkreuz nehmen. Eine Politik, die zunehmend bei Vertreter*innen aus der Wissenschaft infrage gestellt wird. Nicht nur die Migrationsforscher Prof. Panu Poutvaara und Prof. Herbert Brückner appellieren mit Blick auf die großen Erfolge bei ihrer Integration an mehr politisches Engagement bei der arbeitsmarktlichen Integration und Daueraufenthaltssicherung von Geduldeten. Geflüchtetenfachdienste warnen darüber hinaus, dass die Abschiebungsspolitik zunehmnd Fachkräfte abschrecke, die in anderen Industriestaaten mehr Willkommen und weniger Rassismus zu gegenwärtigen haben.
Die im Exil im globalen Norden lebenden Bürger*innen sind für die Volkswirtschaften insbesondere der südlichen Herkunftsländer, ganz gleich ob sie die als Flüchtende, Arbeitsmigrant*innen oder Studierende verlassen haben, mit ihren regelmäßigen Rücküberweisungen an im Lande verbliebene Angehörige eine sichere Bank. Daran werden auch die eher peinlichen Versuche einiger Bundesländer, darunter Schleswig-Holstein, künftig Geflüchteten das Bargeld abzugraben, kaum etwas ändern. Gleichzeitig ist vor allem in afrikanischen Ländern der Auswanderungsdruck u.a. wegen fortbestehender Gewalt, neokolonialem Landgrabbing insbesondere internationaler Konzerne, Klimafolgen und fehlender Arbeitsmarktressourcen gleichbleibend hoch. Alles Faktoren, die die Bereitschaft der Herkunftsstaaten bei der Rücknahme ihrer Staatsangehörigen, denen es im Norden nicht gelungen ist, einen legalen und dauerhaften Aufenthalt zu erlangen, zu kooperieren, in Grenzen hält.
Dass, die gewünschten Rücknahmeabkommen in trockene Tücher zu bekommen, für Bund und Länder also ein sehr dickes Brett werden wird, schwant langsam auch dem Bundesrückführungsbeauftragten Joachim Stamp (FDP), der im DLF vor hohen Erwartungen warnt. Angesichts der Lage, dass weder jetzt noch in Zukunft für gut 50.000 vollziehbar Ausreisepflichtige, noch für alle ca. 300.000 Geduldeten überhaupt jemals ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen für Abschiebungen im Bundes- und den Länderhaushalten verfügbar sein werden, glaubt auch Stamp, dass Abschiebungen vor allem Symbolwirkung in Richtung der Herkunftsländer hätten. Eine Symbolwirkung, die mit der von Schleswig-Holstein federführend betriebenen Abschiebungshaftanstalt in Glückstadt mit 18 Mio Euro jährlich zu Buche schlägt. Dass es ausgerechnet die restriktiven Regime im Iraq und in Tunesien sind, die als erste zu Rücknahmeabkommen genötigt werden, lässt einmal mehr erahnen, wie wenig der Bundesregierung eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik am Herzen liegt, soweit es nicht um China geht.
Im Bundesinnenministerium (BMI) bleibt man indes störrisch und zuversichtlich, durch eine systematische Entrechtung von Schutzsuchenden ihre Abschiebbarkeit auf die Spitze treiben zu können. Nachfolgend dokumentieren wir eine Zusammenfassung des Diskussionsentwurfs des BMI für ein Gesetz „zur Verbesserung der Rückführung“, die der Berliner Flüchtlingsrat jüngst vorgelegt hat. Der Text ist dem Newsletter des Berliner Flüchtlingsrats von August 2023 entnommen und dort abrufbar: www.fluechtlingsrat-berlin.de/fr_newsletter_august2023
gez. Martin Link, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
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„Diskussionsentwurf“ des BMI für ein Gesetz „zur Verbesserung der Rückführung“
Als Ergebnis des „Flüchtlingsgipfels“ Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) vom 10.5.2023 legte das Bundesinnenministerium (BMI) am 1.8.2023 einen „Diskussionsentwurf“ mit umfangreichen Verschärfungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts vor. Enthalten sind umfangreiche Ausweitungen der Abschiebungshaft und der spezifischen Sanktions- und Strafvorschriften für Nichtdeutsche. Der Entwurf beruht auf Vorschlägen der im Grundgesetz als Verfassungsorgan gar nicht vorgesehenen MPK. Er ist weder mit dem Bundeskabinett noch mit den Fraktionen der Ampelkoalition abgestimmt und deshalb nur als „Diskussionsentwurf bezeichnet.
- Bei Abschiebungen aus Sammelunterkünften soll die Polizei künftig auch ohne richterlichen Durchsuchungsbeschuss sämtliche Wohn- und sonstigen Räume der Unterkunft (nicht nur das Zimmer der abzuschiebenden Person) „betreten“ dürfen, wobei dieses „Betreten“ laut Begründung des Entwurfs auch die Befugnis zum Aufbrechen der Türen beinhalten soll (§ 58 AufenthG).
- Der Verstoß gegen ein Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 AufenthG) soll ein eigenständiger Haftgrund werden, auch wenn keine Fluchtgefahr vorliegt. Abschiebungshaft soll auch zulässig werden, wenn erst innerhalb der nächsten 6 (bisher 3) Monate eine Abschiebung möglich erscheint (§ 62 AufenthG). Das Ausreisegewahrsam soll von 10 auf 28 Tage verlängert werden (§ 62b AufenthG).
- Asylsuchende, bei denen zum Zeitpunkt der Asylantragstellung die Voraussetzungen für Abschiebungshaft vorliegen, sollen trotz Asylantrags inhaftiert werden können. Nach dieser Regelung könnten künftig prinzipiell alle neu ankommende Asylsuchenden inhaftiert werden (§ 14 AsylG). Der Katalog als „offensichtlich unbegründet“ abzulehnender Asylanträge wird ausgeweitet (§ 30 AsylG).
Regelungen zur Übernahme von Kosten der Sozialleistungen etc. für Geflüchtete durch den Bund – die Kernforderung der Länder beim Flüchtlingsgipfel der MPK – sucht man im BMI-Entwurf vergeblich. Enthalten sind nur geringfügige Erleichterungen des Verwaltungsaufwands für Ausländerbehörden.
So sollen Aufenthaltsgestattungen für bis zu 12 Monate verlängert werden können, Aufenthaltserlaubnisse für subsidiär Geschützte sollen für jeweils 3 Jahre auszustellen sein.
Neuer Ausweisungsgrund soll nach der geplanten Änderung die Unterstützung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB werden, reichen soll der begründete Verdacht, also ein Ermittlungsverfahren ohne Gerichtsurteil. Das in der Öffentlichkeit als Mittel zur Ausweisung von „Clanfamilien“ kritisch diskutierte Vorhaben steht im Widerspruch zum rechtsstaatlichen Grundsatz der Unschuldsvermutung. Nach § 129 kommt es in der Praxis zu vielen Ermittlungsverfahren, aber nur selten zu Verurteilungen. Betroffen sind häufig politische Gruppierungen, aktuell etwa die „letzte Generation“ und das „Zentrum für politische Schönheit“.
Strafbar ist dabei auch, wer eine solche Vereinigung lediglich „unterstützt“, ohne selbst eine Straftat zu begehen. Der Tatbestand der „Unterstützung“ bleibt diffus und wird von Ermittlern gerne weit gefasst. § 129 ist bei Strafverfolgungsbehörden beliebt, weil Ermittler erheblich erweiterte Befugnisse haben, wenn dieser Verdacht im Raum steht. § 129 StGB wird deshalb auch „Schnüffelparagraf“ genannt.
Kritiker bezeichnen § 129 auch als Gesinnungsparagraf, mit dem einfache Kontaktpersonen verurteilt und gesamte politische Einstellungen kriminalisiert werden könnten. Ein Ermittlungsverfahren nach § 129 könnte künftig ohne Beweis und Strafurteil zur Ausweisung langfristig hier lebender Menschen führen.
Im Diskussionsentwurf des BMI fehlen die weiteren Vorhaben des seit langem geplanten Migrationspakets II. Ursprünglich hatte die Ampel-Regierung bereits für Herbst 2022 ein „Migrationspaket II“ u.a. mit Erleichterungen des Familiennachzugs zu Geflüchteten und zu hier lebenden deutschen Ehepartnern, der Aufhebung des Arbeitsverbots für Asylbewerber*innen und Geduldete, sowie Erleichterungen der Abschiebung (sog „Rückführungsoffensive“) geplant. Übrig geblieben ist scheinbar nur die Rückführungsoffensive.
- Zum Familiennachzug (Geschwisternachzug, Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten u.a.) vgl. Positionspapier JUMEN e.V./Terre des Hommes, Okt. 2022.
- Zur „Rückführungsoffensive“ vgl. Stellungnahme Deutscher Anwaltsverein DAV zur Verbesserung des Schutzes von schwerkranken Ausländerinnen und Ausländern bei der Berücksichtigung von Krankheit als Abschiebungsverbot und als Duldungsgrund (§ 60a Abs. 2c und d sowie § 60 Abs. 7 AufenthG), Juni 2023.
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Ergänzend macht der Flüchtlingsrat Niedersachsen auf die geplante Abschaffung von Abschiebungsankündigungen nach längerer Duldungszeit aufmerksam, auf die Thomas Hohlfeld, Referent für Migration/Integration, Fraktion DIE LINKE im Bundestag in seinem Vermerk besonders hinweist. Bislang muss eine Abschiebung bei Personen, die mehr als ein Jahr lang geduldet wurden, grundsätzlich (bei Widerruf der Duldung, es gibt Ausnahmen) vorher noch einmal angekündigt werden. Dadurch sollen die schon länger in Deutschland lebenden Menschen sich beraten lassen können, gegebenenfalls eine Wohnung auflösen oder einen Job kündigen, den Schulbesuch der Kinder abmelden, sich verabschieden und/oder eine freiwillige Ausreise organisieren können, um die Abschiebung zu vermeiden. Jetzt wolle die sozialdemokratische Bundesinnenministerin dafür sorgen, dass die Betroffenen zukünftig überhaupt keine Abschiebungsankündigung mehr bekommen, weil dies zu einer „Belastung der Ausländerbehörden“ führe, wie es zur Begründung heißt.
Die Organisation Berlin Hilft hat am 16.8.2023 einen Podcast mit RA Manfred Lehnert Informationen zu dem im Diskussionsentwurf vom BMI am BVerwG vorbei geplanten Verschärfungen zum Auslesen von Handydaten durch das BAMF und am 14.8.2023 mit RA Peter Fahlbusch einen Podcast zu den vom BMI geplanten Verschärfungen bei der Abschiebungshaft veröffentlicht.