Mit einem - gegenüber ihrem ersten inzwischen abgeschwächten - Antrag an den Kieler Landtag (Drs. 20/1866) forderte die FDP Ende Februar 2024, die von Bund und Ländern beschlossene Bezahlkarte für asylsuchende und geduldete Geflüchtete im Bundesland möglichst barmittellos umzusetzen.
"Die Behauptung, dies würde das Schleuserwesen austrocknen und Menschen von Einreise und Asylgesuch in Deutschland abschrecken, ist wissenschaftlich hinlänglich widerlegt", mahnt Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Stattdessen dürften diejenigen, die bislang ihr Überleben in den Herkunfts- oder in Fluchttransitstaaten auf prekärer Grundlage von Überweisungen ihrer hierzulande aufgenommenen Angehörigen sichern konnten, nunmehr selbst in die Boote gezwungen sein, befürchtet der Flüchtlingsrat.
Der SSW konterte den liberalen Vorstoß mit einem Alternativantrag (Drs. 20/1904) und forderte, dass bei der Einführung der Bezahlkarte in Schleswig-Holstein soziale Standards u.a. qua Möglichkeit der Bargeldabhebung an Geldautomaten eingehalten werden. Ob der SSW mit seinen Forderungen bei der Landesregierung offene Türen einrennt, bleibt noch abzuwarten.
Immerhin hatte schon im Januar das zuständige Kieler Sozialministerium gegenüber dem Flüchtlingsrat beteuert, dass alle "Leistungsberechtigten diskriminierungsfrei die Bezahlkarte erhalten und nutzen können" und "ihren 'notwendigen persönlichen Bedarf', das sog. Taschengeld, in bar und für sie kostenfrei von Geldautomaten abheben können" sollen. Regionale Nutzungseinschränkungen der Karte oder eine beschränkte Einkaufsproduktpalette sollen demnach in Schleswig-Holstein nicht umgesetzt werden. Der am 22.2.2024 mehrheitlich im Landtag beschlossene Änderungsantrag der Regierungsfraktionen (Drs. 20/1914) bestätigt offenbar diese Absicht, klärt die erwarteten Details der Umsetzung allerdings nicht. Eine eMail aus dem Sozialministerium vom 11.3.2024 teilte mehr Umsetzungsdetailes mit, hängt nach Informationen der GGUA vom 20.3.2024 aber auch an der bundesweiten Ausschreibung der zwischen den teilnehmenden Bundesländern geeinigten Standards.
Auch der Flüchtlingsrat bedauert, dass die Landesregierung sich widerstandslos der hier einmal mehr von Bund und Ländern betriebenen Verschärfung der ohnehin grundrechtswidrigen Leistungspraxis des Asylbewerberleistungsgesetzes angeschlossen hat und erwartet vom schleswig-holsteinischen Landtag, von der Landesregierung eine möglichst diskriminierungsfreie Umsetzung der Bezahlkarte einzufordern.
Hintergrund
Gemeinsam hatten SPD, FDP und Grüne 2021 vereinbart, das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) "im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts" zu überarbeiten. Tatsächlich hatte das höchste deutsche Gericht die Leistungen des AsylbLG schon im Juli 2012 als grundrechtswidrige Unterversorgung gegeißelt. Doch nicht einmal den letzten Beschluss des höchsten deutschen Gerichts vom Oktober 2022 hat die Bundesregierung bis heute umgesetzt. "Die Bundesregierung ignoriert seit fast eineinhalb Jahren eine Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz.
Ebenfalls die Bundesrechtsanwaltskammer lehnt die Bezahlkarte am 19.3.2024 als Instrument struktureller Diskriminierung ab: "Ob und inwieweit dieser Eingriff in das Existenzminimum einer Prüfung statthalten kann, richtet sich an der konkreten Ausgestaltung der Bezahlkarte. Ist der Eingriff zu restriktiv, führt er zu grundrechtseinschränkenden und verfassungswidrigen Defiziten in der Leistungsgewährung. Damit wird die Bezahlkarte ein Ausgrenzungsinstrument, durch das der Verwaltungsaufwand für den Rechtsstaat nicht geringer werden wird."
Statt einer verfassungstreuen Überarbeitung des AsylbLG hat die Bundesregierung im Zuge des Rückführungsverbesserungsgesetzes erst kürzlich sogar eine drastische Verschärfung eingeführt: Die Dauer des Bezugs von Grundleistungen nach dem AsylbLG wurde von 18 auf 36 Monate verlängert. Künftig enthält die Regierung Geflüchteten damit doppelt so lang wie bisher annähernd menschenwürdige Sozialleistungen vor. Damit wurde auch die potenzielle Anwendung der Bezahlkarte bereits jetzt auf drei Jahre verlängert. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom Dezember 2023 bestätigt mit zahlreichen Belegen, dass schon eine Wartezeit von 18 Monaten verfassungsrechtlich bedenklich ist.
Die Entscheidung der Länder, Asylantragsteller*innen zukünftig den verfügbaren Betrag als Guthaben auf einer Bezahlkarte auszugeben, soll ihre Bargeldverfügung drastisch reduzieren, Überweisungen sollen nicht möglich sein. Die Menschen sollen möglichst nur noch an ihrem Wohnort einkaufen dürfen. Allerdings kann aber man ohne Bargeld nicht günstig auf dem Flohmarkt oder second-hand-Läden einkaufen, den Kindern kein Geld für die Klassenkasse mitgeben, beim Gemeindefest nicht einmal einen Kaffee erstehen. Ohne Überweisungsmöglichkeit kann man keinen Handyvertrag und keine Sportvereinsmitgliedschaft abschließen und die monatlichen Raten für ein 49€ Ticket oder an den Rechtsanwalt nicht überweisen. Die Bezahlkarte prekarisiert den Alltag der Betroffenen weiter und diskriminiert die Betroffenen öffentlich.
Das ist auch die erklärte Absicht, denn Bund und Länder haben die Bezahlkarte mit dem abenteuerlichen Argument vertreten, dass die Bezahlkarte zu einem Rückgang der Asylsuchenden in Deutschland beitragen soll. Dafür gibt es aber keinerlei Anhaltspunkte. Im Gegenteil zeigen verschiedene Studien, unter anderem eine des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, dass die Höhe der Sozialleistungen in einem Land auf der Flucht wenig relevant ist. Die Menschen treibt primär die Frage um, wo sie Sicherheit finden können – und darüber hinaus, ob Familienangehörige vor Ort und Sprachkenntnisse vorhanden sind oder ob es Arbeitsmarktchancen gibt.
gez. Martin Link, T. 0431-5568 5640, public[at]frsh.de