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14. März 2005


Erlass des Innenministeriums SH

Verfahren zur Feststellung inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse oder zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen;

hier: Mitwirkung von Ärztinnen und Ärzten bei Rückführungsmaßnahmen



Vor dem Hintergrund der bekannten Problematik im Zusammenhang mit der Feststellung von inlandsbezogenen Vollstreckungs bzw. zielstaatsbezogener Abschiebungshindernissen hat eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Ländervertretern und Vertretern der Bundesärztekammer unter Vorsitz von Nordrhein Westfalen (als Vorsitzland der AG Rückführung) zu Fragen der, ärztlichen, Mitwirkung bei Rückführungsmaßnahmen den als Anlage 1 beigefügten modifizierten Informations und Kriterienkatalog erarbeitet. Damit ist dem Wunsch der Innenministerkonferenz gefolgt worden, eine Verfahrensabsprache zu finden, die sowohl den rechtlichen Vorgaben, als auch den Grundsätzen der ärztlichen Ethik, Rechnung tragen soll. Die Innenministerkonferenz hat den Katalog in ihrer Sitzung am 19.11.2004 zur Kenntnis genommen; der Katalog ist am 26.11.2004 vom Vorstand der Bundesärztekammer gebilligt worden.

Zur Feststellung evtl. zielstaatsbezogener Abschiebungs bzw. inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse auf Grund gesundheitlicher Beeinträchtigungen bitte ich daher, ab sofort an Stelle des mit Erlass vom 15.05.2003 (IV 602-212-29.111.1-55) übersandten Katalogs den als Anlage beigefügten modifizierten Informations und Kriterienkatalog anzuwenden. Ergänzend weise ich auf folgendes hin:

  • Bevor der Arzt (des Öffentlichen Gesundheitsdienstes) um ein Votum zur (Flug )Reisetauglichkeit gebeten wird, darf für die Ausländerbehörde weder ein inlandsbezogenes Vollstreckungs noch ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis offensichtlich erkennbar sein. Das sollte dem Arzt nachvollziehbar vorgetragen werden. Ggf. sind dem Arzt alle aus einem vorangegangenen Asylverfahren oder auf sonstige Weise bekannt gewordenen gesundheitlichen Informationen vorzulegen.
  • Soweit der Arzt im Rahmen der Exploration Veranlassung sieht, neben der Prüfung der (Flug )Reisetauglichkeit eine Einschätzung zu aus Krankheiten resultierenden, vor oder während der Abschiebung drohenden Gesundheitsgefahren abzugeben, die in vorangegangenen Verfahren noch nicht geprüft wurde, hat die zuständige Behörde die weiteren Feststellungen tatsächlich und rechtlich zu würdigen.
  • Beachtlichen Vorträgen von gesundheitlichen Beeinträchtigungen muss in jedem Stadium einer Abschiebung nachgegangen werden. Das gilt auch für Vorträge der konkreten Gefahr einer Retraumatisierung im Sinne einer erheblichen Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustandes, auch wenn diese erst beim Vollzug der Abschiebung selbst auftritt.
  • Die Entscheidung über das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses im Asylverfahren trifft ausschließlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die Entscheidung über das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses außerhalb des Asylverfahrens sowie über das Vorliegen eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses trifft die Ausländerbehörde. Auf die Regelung in § 72 Abs. 2 AufenthG weise ich hin (s. Erlass vom 21.01.2005 IV 602-212-29.111.3-72).


Über die Erfahrungen mit dem Informations und Kriterienkatalog soll der Innenministerkonferenz im Herbst d.J. berichtet werden. Vor diesem Hintergrund bitte ich, mir über Ihre Erfahrungen mit dem Katalog zu berichten und dabei insbesondere auf folgende Fragen einzugehen:
  1. Wie hat sich in der Vergangenheit in lhrem Bereich die Zusammenarbeit mit der Ärzteschaft bei Rückführungsmaßnahmen gestaltet?
  2. Hat sich die Bereitschaft der Ärzteschaft zur Mitwirkung, insbesondere auch zur Attestierung der (Flug )Reisetauglichkeit erhöht?
  3. Bei welchen Krankheitsbildern bestehen ggf. noch Probleme?
  4. Werden ggf. vermehrt Vorträge zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen erst kurz vor der Abschiebung vorgebracht? Wie geht die Ausländerbehörde damit um?
  5. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem BAMF mit Blick auf § 72 Abs. 2 AufenthG?
Ihren Bericht bitte ich, mir bis zum 30.09.2005 zuzuleiten.

Zur Frage der ausländerrechtlichen Behandlung traumatisierter Personen gebe ich darüber hinaus folgende Hinweise:

1. Zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis: Hat die Überprüfung zu dem Ergebnis geführt, dass ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis (§ 60 Abs. 7 AufenthG) vorliegt, ist die Abschiebung nach §60a Abs. 2 AufenthG auszusetzen (Duldung), sofern keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kann insbesondere nach §25 Abs. 5 AufenthG in Betracht kommen, sofern nicht in absehbarer Zeit mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses zu rechnen und der Ausländer unverschuldet an seiner Ausreise gehindert ist. Darüber hinaus könnte auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §25 Abs. 4 AufenthG in Frage kommen. Entgegen der Darlegung in Ziff. 25.4.1.1 der Anwendungshinweise des BMI halte ich die Anwendung des § 25 Abs. 4 AufenthG auch auf vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer durch den Gesetzeswortlaut sowie der Begründung für gedeckt. Eine Aufenthaltserlaubnis nach §25 Abs. 4 AufenthG könnte beispielsweise dann in Betracht kommen, wenn durch den Abschluss einer medizinischen Behandlung das bestehende Ausreisehindernis beseitigt werden kann. Bestehende Entscheidungs- und Ermessensspielräume sollten zugunsten einer Aufenthaltserlaubnis genutzt werden. Auf die Regelung des §25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG weise ich hin; danach soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Voraussetzung ist aber auch hier, dass nicht in absehbarer Zeit mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses zu rechnen ist. Bei der Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass die Feststellung eines krankheitsbedingten zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses noch kein Daueraufenthaltsrecht begründet. Auf die Regelung in §26 Abs. 2 AufenthG, weise ich ausdrücklich hin; danach darf die Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert werden, wenn das Ausreisehindernis entfallen ist. Zum einen kann eine medizinische Behandlung dazu führen, dass eine Rückkehr in den Herkunftsstaat zu einem späteren Zeitpunkt vertretbar ist. Zum anderen können sich auch die Umstände im Herkunftsstaat verändern, so dass eine adäquate medizinische Behandlung auch dort möglich wird. In diesen Fällen ist, (i.d.R. durch das Bundesamt) über den Widerruf einer Feststellung nach §60 Abs. 7 AufenthG zu entscheiden. Zu prüfen ist auch, ob das zielstaatsbezogene Abschiebungshindernis dadurch beseitigt werden kann, dass die notwendige medizinische Behandlung ggf. über die deutsche Botschaft im Herkunftsland zumindest für einen überschaubaren Zeitraum sichergestellt wird.

2. Inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis: Liegt ein Ausreisehindernis nach Nr. 1 nicht vor, ist anhand der vorgelegten ärztlichen Atteste und ggf. ergänzender Stellungnahmen zu beurteilen, ob ein krankheitsbedingtes Hindernis der Durchführung der Abschiebung als solcher entgegensteht (Flug / Reiseuntauglichkeit). Ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis liegt auch dann vor, wenn nicht nur durch die Abschiebungsmaßnahme selbst, sondern auch in unmittelbarem Zusammenhang mit der Maßnahme, d.h. in einem engen Zeitraum vor, während und nach der Abschiebung, hochrangige Rechtsgüter erheblich gefährdet sind. Generell kann ein weiterer Aufenthalt nur vorübergehender Natur sein (bis zur Herstellung der Reisefähigkeit). Auch ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis kann kein Daueraufenthaltsrecht begründen. Es ist zu prüfen, ob das Vollstreckungshindernis auch durch (ärztliche) Begleitung oder andere Maßnahmen zur sicheren Durchführung der Aufenthaltsbeendigung beseitigt werden kann. Die Abschiebungen betroffener Personen sind bis zur Herstellung der Reisefähigkeit auszusetzen (§60 a Abs. 2 AufenthG). Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist unter den Voraussetzungen des §25 Abs. 4 oder 5 AufenthG grundsätzlich möglich (s.o.); von der Möglichkeit sollte allerdings nur dann Gebrauch gemacht werden,
  • wenn es aus medizinischer Sicht zur Genesung und somit zur Herstellung der Reisefähigkeit unabweisbar ist, der betroffenen Person einen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus zu gewähren, oder
  • es absehbar ist, dass das Vollstreckungshindernis nicht innerhalb der in §25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG genannten Frist beseitigt werden kann.
Die amtsärztliche Stellungnahme sollte daher auch zu dieser Frage Aussagen enthalten.



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