Nach den für demokratische Parteien alarmierenden Ergebnissen der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen darf sich die Bundesregierung auch nicht durch die Opposition zu Maßnahmen drängen lassen, die gegen Verfassung, Europarecht oder Völkerrecht verstoßen. Rechtswidrige Verschärfungen untergraben den Rechtsstaat, machen sich mit Rechtsextremisten gemein und lösen keine gesellschaftlichen Probleme.
Anlässlich des heutigen Treffens zwischen Bund, Ländern und der CDU/CSU fordern PRO ASYL und Flüchtlingsrat SH, dass die Beteiligten ihrer Verantwortung als Akteur*innen demokratischer Partei nachkommen und eine rassistisch konnotierte Polarisierung der Debatte nicht weiter vorantreiben dürfen. Angestrebte Ziele müssen Maßnahmen sein, die unsere Demokratie und den Zusammenhalt in der Einwanderungsgesellschaft stärken und der Radikalisierung hin zum Islamismus oder Rechtsextremismus vorbeugen.
"Im verzweifelten Versuch, den restriktiven Kurs der Ampel-Regierung zu übertreffen, verliert die CDU unter Merz und Spahn jedes Maß. Forderungen nach Zurückweisungen an den deutschen Grenzen und der Bezug zu einer angeblichen Notlage sind nicht nur europarechtswidrig, sondern auch europapolitischer Sprengstoff", kommentiert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL. "Eine Orbanisierung der CDU, die EU-Recht ignoriert, wäre ein Geschenk für jene, die die EU in einen Verbund nationalistischer ‘Vaterländer’ verwandeln wollen. Das Asylrecht ist hierfür ein Einfallstor", führt Judith weiter aus.
Bereits letzte Woche legte die Bundesregierung ein restriktives Maßnahmenpaket vor, das unter anderem absehbar verfassungswidrige Leistungskürzungen für sogenannte Dublin-Fälle vorsieht. Doch das geht CDU/CSU und dem Landkreistag nicht weit genug nach rechts.
„Was heute Thema zwischen Bund, Ländern und Opposition wird, ist eine systematische AfD-isierung der Migrations- und Flüchtlingspolitik durch die demokratischen Parteien“, warnt Martin Link vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Die Büchse der Pandora einer grundrechts- und flüchtlingsfeindlichen Politik enthält u.a. die Eskalation der EU-Abschiebung, Abschiebungen in Folterstaaten wie Afghanistan und Syrien, die Ausweitung von Ausweisungsgründen, mehr Möglichkeiten der Schutzstatusentziehung, restriktive Leistungskürzungen, regelmäßige Zurückweisungen an der Grenze, Asylobergrenzen bzw. die Infragestellung des Asylgrundrechts insgesamt.
Kontakt:
PRO ASYL, presse[at]proasyl.de, T. 069 24231430
Flüchtlingsrat SH, public[at]frsh.de, T. 0431-5568 564
Hintergrund:
Kurze rechtliche Einordnung zu einigen Vorschlägen
- Leistungskürzungen: Eine Streichung der Sozialleistungen "auf Null" für Menschen in Dublinverfahren ist absehbar verfassungswidrig. Dies würde auch Menschen betreffen, die ohne eigenes Verschulden, zum Beispiel wegen Krankheit, im Duldungsstatus festhängen. Den Menschen im Dublin-Verfahren ist eine eigenständige freiwillige Ausreise regelmäßig nicht möglich. Sie können also nicht selbstständig in den für sie zuständigen EU-Staat gehen und somit ihre Situation selbst beheben. Auch die Streichung des soziokulturellen Existenzminimums, wie sie für bestimmte Konstellationen bereits im Gesetz steht, ist schon jetzt sowohl in verfassungsrechtlicher Hinsicht als auch mit Blick auf das – aktuelle wie künftige – EU-Recht extrem fragwürdig. Auch Geduldete haben oft gute oder humanitär zwingende Gründe für einen Verbleib in Deutschland. Eine pauschale Kürzung der Leistungen für diese Menschen lässt sich rechtsstaatlich nicht begründen.
- Zurückweisungen an Binnengrenzen: Deutschland darf Schutzsuchende nicht einfach in jenes Land zurückschicken, aus dem sie einzureisen versuchen, denn Zurückweisungen an den Binnengrenzen sind unionsrechtswidrig. Deutschland ist nach der Dublin-Verordnung dazu verpflichtet, den für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaat zu klären – das kann aber nicht durch die Bundespolizei an der Grenze passieren, sondern hierfür besitzt allein das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Kompetenz und die notwendigen Informationen (siehe ausführlicher hier).
- Notlage: Das Ausrufen einer Notlage, um direkte Zurückweisungen an den Binnengrenzen durchzuführen, wäre europarechtswidrig. Es ist stark umstritten, ob es nach dem EU-Recht überhaupt die Möglichkeit gibt, eine Notlage auszurufen und deswegen Asylregeln nicht anzuwenden. Denn das Asylrecht sieht bereits Sonderregelungen vor, wenn zum Beispiel sehr viele Menschen gleichzeitig einen Asylantrag stellen. Der EuGH hat zum Beispiel bezüglich der ungarischen Transitzonen entschieden, dass es hierfür keine Notlage gab, die dies gerechtfertigt hätte.