Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Damen und Herren,
Wir bedanken uns für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum o.g. Entwurf zur Änderung des Landesaufnahmegesetzes.
Der Flüchtlingsrat begrüßt grundsätzlich die Möglichkeit einer Zuweisung an eine Landesbehörde, im Interesse einer Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung insbesondere in den in der Begründung Ziff. A, 3. Absatz genannten Fällen des Fehlens eines festen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts und häufiger Ortswechsel, aber auch für sonstige Fälle unklarer oder nicht zielführender örtlicher Zuständigkeit. Der Gesetzesentwurf scheint sich jedoch vornehmlich auf Abschiebungen und Maßnahmen zu Lasten der Betroffenen zu beziehen, was wir deutlich kritisieren. Zahlreiche Problemfälle könnten vermieden werden, wenn die Bearbeitung der Ämter und Zuwanderungsbehörden auch auf den integrationsorientierten Ebenen vereinfacht würde. Bleibt dies aus, werden Zahlen und Probleme produziert, die nicht in der Verantwortung der Betroffenen liegen. Die restriktive Stimmung im Land darf nicht als Vorwand für eine Zentralisierung von Kompetenzen genutzt werden, die aus gutem Grund und historischen Gegebenheiten bisher vermieden wurde.
Der Flüchtlingsrat sieht positive Anwendungspotentiale demgegenüber vordringlich in Fällen von Zuständigkeitsunklarheiten oder -konflikten - neben den genannten Fällen von Obdachlosigkeit und häufigen Wechseln des Aufenthaltsorts auch in Fällen von Aufenthalts- und Wohnsitzbeschränkungen, der Prüfung und Konsolidierung möglicher Bleiberechte sowie der Verbesserung und Vereinfachung von Integrationsmöglichkeiten.
Wir weisen hierzu auf folgende, beispielhafte Fallgestaltungen hin, die in der Beratungspraxis häufig Probleme aufwerfen, nicht selten als Folge der in vielfacher Hinsicht überaus komplexen und für Betroffene und Unterstützer oft schwer durchschaubaren und nachvollziehbaren Materie des Asyl- und Aufenthaltsrecht einerseits und in den nunmehr schon seit Jahren bestehenden Problemen in der Fallbearbeitung (Erreichbarkeit, Bearbeitungsdauer, etc.) durch die zuständigen Behörden andererseits:
- Wohnsitz- und Aufenthaltsauflagen:
- Es wird bei bestehender Wohnsitz- oder Aufenthaltsbeschränkung ein Arbeits- oder Ausbildungsplatz / eine Wohnmöglichkeit in einem anderen Kreis gefunden, der einen Ortswechsel erforderlich macht.
- Familienangehörige (ggf. auch außerhalb der sog. „Kernfamilie“) oder Bekannte in einem anderen Kreis bieten die Möglichkeit, Betroffene bei sich aufzunehmen, wodurch knappe Unterbringungsmöglichkeiten entlastet, Integration gefördert und beschleunigt und ggf. notwendige Unterstützung und Betreuung gewährleistet werden kann.
- Örtliche Zuständigkeit
- Personen, die z.B. auf der Reise, an Bahnhöfen etc. ohne Aufenthaltspapiere und Meldeanschrift aufgegriffen werden: Oft handelt sich um Personen, die Opfer von Menschenhandel oder unseriöser/krimineller Agenturen geworden sind, die Arbeitsplätze in der EU und ein entsprechendes Visum versprechen – unter Wegnahme des Passes. Sie finden sich ohne Pass in prekären Arbeitsverhältnissen und ohne die versprochene Bezahlung wieder und „ziehen weiter“.
Vielfach sind diese Fälle dringend: In der ersten Fallgruppe z.B. durch das drohende Scheitern der Ausbildungs- oder Arbeitsaufnahme bzw. die drohende anderweitige Vermietung, in der zweiten Fallgruppe z.B. bei Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit älterer, minderjähriger, kranker oder traumatisierter Betroffener, oder z.B. für die Unterstützung Schwangerer oder Alleinerziehender.
Leider scheitern Umverteilungen in Fällen wie diesen oft an der Komplexität der Materie und der Unerreichbarkeit und verzögerten Bearbeitung chronisch überlasteter Behörden:
- Vielen Ratsuchenden sind die Erfordernisse und das genaue Procedere eines Umverteilungsverfahrens nicht bekannt: Bei wem ist ein Antrag zu stellen?
- Bis zur Entscheidung ist die Arbeits-/Ausbildungsstelle vergeben oder die Anmietungsmöglichkeit einer Wohnung nicht mehr gegeben.
- Nicht selten sind, aus Unkenntnis bzw. weil man nicht mehr warten kann, schon vollendete Tatsachen geschaffen, mit der Folge von schwierig zu klärenden Zuständigkeitsfragen, die eine Lösung weiter erschweren und verzögern.
- Gelegentlich bleibt Betroffenen nichts anderes übrig, als bis zur Entscheidung zwei Wohnungen anzumieten, um bis zur Entscheidung nicht gegen Wohnsitzauflagen zu verstoßen. Das wiederum begründet aber z.B. dort, wo ein (ergänzender) Leistungsbezug erforderlich ist, weitere potentielle rechtliche Probleme.
Empfehlungen:
1.
Es wäre wünschenswert, wenn die Zuständigkeit des Landesamtes auch auf Antrag der begründet werden könnte. Als Antragsteller sollten nicht nur die Ausländerbehörden der Kreise und kreisfreien Städte, sondern auch die Betroffenen selbst, ggf. auch andere Behörden wie Leistungsträger, Jugendämter etc. in Betracht kommen.
2.
In den im Änderungsentwurf genannten Fällen, und in den hier genannten Beispielen spiegelt sich die Problematik der örtlichen Zuständigkeit vielfach auch in den Zuständigkeiten anderer Behörden, insbesondere Leistungsbehörden (SGB II, SGB XII, AsylbLG) und Jugendämtern.
Die Beschränkung auf die Zuständigkeit der Ausländerbehörde in der Entwurfsbegründung (Sete 6, 2. Absatz) sehen wir deshalb kritisch. Insbesondere in der Frage der Leistungsträger geht es um die Gewährleistung existentieller Lebensgrundlagen. Im Gegenteil sollte ein Übergang der Zuständigkeit zumindest als Leistungsträger mit einbezogen werden. Als Regelungsort bieten sich die §§ 6, 8 und 9 LAufnG an.
3.
Die im Entwurf in Aussicht genommene Möglichkeit einer gewillkürten Zuständigkeitsänderung ist, bei allen genannten möglichen Vorteilen, im Verwaltungsverfahren eher die Ausnahme und birgt damit die Gefahr, von Betroffenen, aber auch von Berater*innen übersehen zu werden. Das gilt umso mehr, als es sich zum einen um eine Landesregelung in einer ohnehin komplexen und unübersichtlichen Materie handelt, die zudem nur relativ versteckt als Ermächtigung in einem Nebengesetz (AuslAufnVO) zu finden ist, zum anderen in vielen Fällen eine besondere Eilbedürftigkeit bestehen wird.
Es wird angeregt, dafür Sorge zu tragen, dass eine größtmögliche Zugänglichkeit der Zuweisungsentscheidung und deren Aufhebungsentscheidung für Betroffene und anwaltliche Vertreter*innen gegeben ist. Zu denken wäre u.a. an eine Zugangskontrolle durch förmliche Zustellung. Zu gewährleisten wäre nach Möglichkeit auch, dass Betroffene und Unterstützer*innen kurzfristig von beteiligten Behörden eine Information zum Zuständigkeitswechsel erhalten können. Im Rahmen der Entwicklung von Online-Angeboten, die einen Zugang von Betroffenen zu Ihren Daten ermöglichen, sollte - selbstverständlich unter Berücksichtigung der Vorgaben des Datenschutzes – ein Hinweis aufgenommen werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Leonie Melk Axel Meixner
Geschäftsführerin Rechtsberatung
[1] DS 20/2834 (neu)