Wir bedanken uns ausdrücklich für die Möglichkeit einer Stellungnahme zum Antrag des SSW „Menschenrecht auf Gesundheit für alle umsetzen – Menschen ohne Papiere gesundheitlich versorgen!“ (Drucksache 20/1482)[1], und dem Bericht der Landesregierung „Zentrale medizinische Clearingstellen in Schleswig-Holstein schaffen“ (Drucksache 20/2549)[2].
Ausgangslage
In Deutschland gilt seit dem 01.01.2009 eine Pflicht zur Krankenversicherung. Trotzdem gibt es zahlreiche Menschen in Deutschland, die aus verschiedensten Gründen keinen Versicherungsschutz haben. Die gesundheitliche Versorgung dieser Menschen in Schleswig-Holstein kann durch die heute existenten ehrenamtlichen Anlaufstellen nicht gedeckt werden; aus diesem Grund begrüßen wir die geplante Einrichtung von Clearingstellen. Aufgrund der inhaltlichen Ausrichtung des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein konzentrieren wir uns hier auf die spezifischen Bedarfe zugewanderte Menschen, insbesondere ohne Papiere und legalen Aufenthaltsstatus, die keinen Versicherungsschutz und somit auch keinen Zugang zur offiziellen Gesundheitsversorgung haben.
Menschen ohne legalen Aufenthaltstitel stehen vor einer Vielzahl an Problemen (Schulbesuch, Kontoeröffnung, Beschäftigung, etc.) und haben häufig wenig Chancen ihren Status als Illegalisierte zu beenden. Eine besondere Herausforderung stellt außerdem der Zugang zu medizinischer Versorgung dar. Betroffene nehmen oftmals erhebliche gesundheitliche Risiken in Kauf aus Angst durch eine Behandlung entdeckt und abgeschoben zu werden. In Konsequenz wird ärztliche Hilfe, wenn überhaupt, oftmals erst gesucht, wenn die Beschwerden ein unerträgliches Ausmaß angenommen haben, oft mit der Folge, dass eine Heilung nur noch erschwert, z.B. mit erheblich größerem Aufwand, unter Inkaufnahme bleibender Schäden oder schlimmstenfalls gar nicht mehr möglich ist.
Wenn diese Gruppe sich doch in Behandlung gibt, ist oftmals unklar wer dafür aufkommt und ob, bzw. welches Leistungssystem die Kosten hierfür übernimmt. Das stellt ein besonderes Problem dar, weil aus den vorgenannten Gründen Behandlungen oft keinen Aufschub mehr dulden.
Die Einrichtung von Clearingstellen könnte, da sie diese beiden Probleme lösen würde, eine signifikante Verbesserung der Gesundheitsversorgung für diese Zielgruppe zu Folge haben.
Praktische Umsetzung
Aktuell wird das Menschenrecht auf Gesundheit (Vgl. Art. 25 (1) der UN- Menschenrechtskonvention für Menschen ohne Papiere und Versicherungsschutz) nicht durch staatliche Leistungen und Strukturen abgedeckt, sondern durch ehrenamtliche Organisationen wie die des Medibüros Kiel und anderen Initiativen in Schleswig-Holstein. Aus diesem Grund regt der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein an, dass bei dem Aufbau einer Clearingstelle auf die Expertise und das Know-How dieser Initiativen und NGO´s zurückgegriffen wird. Weiterhin begrüßen wir als Flüchtlingsrat die Etablierung einer Clearing-Stelle nach dem Hamburger Modell ausdrücklich (Vgl. Seite 120 Koalitionsvertrag). Jedoch gibt es einige konzeptionelle Fallstricke, die zwingend zu umgehen sind. Diese sind u.a. die Frage der Zuständigkeit für die Gesundheitsversorgung, der Aufgabenumfang der Clearingstellen, die Finanzierung, die Ansiedlung der Clearingstellen. Aus Sicht des Flüchtlingsrat müssen folgende Punkte beachtet werden:
Zuständigkeit für die Umsetzung des Menschenrechts auf Gesundheit
Eine zentrale Frage, die bei der Lektüre des einschlägigen Berichts der Landesregierung (Drucksacke 20/2549)[2] aufkommt, ist die nach der Verantwortung für das Sicherstellen der Gesundheitsversorgung für alle Menschen in Schleswig-Holstein. Den Bericht der Landesregierung könnte man so verstehen, dass die Landesregierung die Zuständigkeit für die Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Papiere primär bei den ehrenamtlichen Initiativen sieht, denn sie schreibt auf Seite 15: „Die hauptamtlichen Strukturen des ÖGD könnten dabei die bestehenden ehrenamtlichen Institutionen unterstützen.“ Gegen diese Umkehrung der Zuständigkeiten durch die amtierende Landesregierung wenden wir uns als Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein ausdrücklich. Dass NGO´s wie das Medibüro, oder die Praxis ohne Grenzen in Flensburg die staatliche Versorgungslücke für Menschen ohne Papier in den letzten Jahren ehrenamtlich geschlossen haben (oder dies zumindest versucht haben), sollte nicht dazu führen, dass sich der Staat aus der Verantwortung zieht. Ehrenamtliche Strukturen sollten höchstens als Ergänzung für eine staatliche Grundversorgung fungieren.
Gerade bei papierlosen Menschen stellt die Ermittlung der örtlich zuständigen Behörde oder Stelle in vielfacher Beziehung oft ein großes Problem dar, da eine Meldeanschrift in der Regel nicht besteht. Im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung können sich diese Probleme sowohl in Bezug auf die die zuständige Clearing-Stelle (je nach Organisation), als auch ggf. dem ggf. zuständigen Kostenträger ergeben. Es wird unbedingt gewährleistet werden müssen, dass für die Ermittlung der zuständigen Stellen keine Zeitverzögerungen entstehen.
Aufgaben der Clearingstellen & Unabhängigkeit
Im Bericht der Landesregierung wird als Ziel der Clearingstellen folgendes aufgeführt:
„Ziel dieser Clearingstellen ist es, zu klären, ob ein Anspruch der Hilfesuchenden nach den Regelversorgungssystemen besteht oder welche weiteren rechtlichen Möglichkeiten für die Kostenübernahme bestehen.“ (Seite 6) Neben dieser Hauptaufgabe sollten die Clearingstellen auch die Themen Aufenthaltsstatus, und mögliche Überführung in legale Aufenthaltstitel behandeln.
Allerdings ist unbedingt zu beachten, dass die Inanspruchnahme von Beratungsangeboten hierzu und der Transfer in legale Aufenthaltstitel freiwillig bleiben muss. Entfällt diese Freiwilligkeit verkommt die Clearingstelle zur Meldestelle gegenüber den Behörden und wird schnell ihre Glaubwürdigkeit unter den Betroffenen verlieren. Das würde nicht nur der Erfolg der Clearingstelle gefährden, sondern auch die von ehrenamtlichen Initiativen geschaffenen Zugänge einschränken, sollten diese mit der Clearingstelle in Verbindung stehen.
Weiterhin sollte die Unabhängigkeit der Clearingstellen von politischen Akteuren und wechselnden Prioritäten der jeweiligen Landesregierung sichergestellt werden.
Auch der Datenschutz der Menschen, die als Klient*innen die Clearingstelle aufsuchen, sollte mit größtmöglicher Sorgfalt umgesetzt werden. Unter keinen Umständen dürfen die Daten dieser Menschen an behördliche Stellen, ohne die ausdrückliche Zustimmung der Betroffenen weitergegeben werden. Aus diesem Grund muss für die Mitarbeitenden der Clearingstelle das Auskunftsverweigerungsrecht gelten, wenn die Weitergabe von Informationen zum Nachteil der Betroffenen führt. Um die sensiblen Daten der Betroffenen zu schützen, ist außerdem das Zeugnisverweigerungsrecht für Berufsgeheimnisträger für Mitarbeitende in Erwägung zu ziehen.
Es wird außerdem zu gewährleisten sein, dass eine Informationsweitergabe auch nicht durch ggf. zu beteiligende Kostenträger erfolgt und alle ggf. auch indirekt Beteiligten dementsprechend von Informationspflichten nach § 87 AufenthG ausgenommen werden. Andernfalls läuft die Vertraulichkeit der Tätigkeit der Clearingstellen ins Leere.
Tragfähige Finanzierung
Um maßgeblich eine Verbesserung der Situation für Betroffene zu erreichen, ist eine langfristige Finanzierung zentral. Abgesehen von der allgemeinen Finanzierung der Clearingstellen, sollte auch ein Behandlungsfonds eingerichtet werden, falls die Kosten nicht durch Regelversorgungssysteme gedeckt werden können.
Anonymer Behandlungsschein (ABS)
Dies führt zu einer der zentralen Säule der Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere: dem anonymen Behandlungsschein. Denn Clearingstellen sind unzweifelhaft wichtig, doch auch nach dem Ende eines Clearingverfahrens bleiben die Betroffenen medizinisch für die weitere Behandlung nicht ausreichend versorgt. Aus diesem Grund sind anonyme Behandlungsscheine (oder Gesundheitskarten) zentral, damit Betroffen uneingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung bekommen. Die entsprechende Forderung des SSW gemeinsam mit Bund und Kommunen Regelungen zur flächendeckenden Ausgabe von ABS aufzustellen, unterstützen wir, fordern aber gleichzeitig den Fokus auf eine unbürokratische schnelle Lösung zu legen, um eine schnelle Ausgabe von Anonymen Behandlungsscheinen zu gewährleisten. Auch hier kann der Frage der örtlichen Zuständigkeit von Ausgabestellen Bedeutung zukommen. Eine möglichst zentrale Zuständigkeit mit einem Netz von Außenstellen mit offener Zuständigkeit zum Beispiel wäre geeignet, zeitliche Verzögerungen und Verwaltungsaufwand zu vermeiden.
Ansiedlung der Clearingstellen
Eine weitere zentrale Frage bei der Einrichtung von Clearingstellen, stellt deren lokale Ansiedlung, entweder als eigene Institution oder angebunden an schon existierende Stellen, z.B. Migrationsberatungsstellen oder den öffentlichen Gesundheitsdienst dar.
Der Bericht der Landesregierung stellt fest, dass nichts gegen die Anbindung von Clearingstellen an eine Behörde spreche (Vgl. S. 11). Auch der Antrag des SSW zielt darauf ab. Basierend auf unserer Erfahrung in der Beratung von Schutzsuchenden widersprechend wir dieser Einschätzung. Für Personen ohne Papiere, sind behördliche Stellen, wozu auch offizielle Stellen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) zählen können, aus Angst vor möglichen Konsequenzen ihres prekären oder nicht vorhandenen Aufenthaltsstatus (z.B. Abschiebungen) keine geeignete Anlaufstation. Menschen ohne Papiere zeichnet oft schon aufgrund Ihrer Erfahrungen im Herkunftsland oder Unterwegs ein großes Misstrauen gegenüber Behörden aus. Für Viele ist eine Verschwiegenheit einer staatlichen Behörde gegenüber anderen staatlichen Behörden undenkbar. Falls dies doch in Betracht gezogen wird, sollte unbedingt eine deutliche Trennung und räumliche Abgrenzung gegeben sein, um Betroffenen nicht durch die Behördennähe abzuschrecken. Der Vorschlag, die Clearingstelle an die ÖGD anzugliedern, ist zudem nur unter der Voraussetzung umsetzbar, dass die Abschaffung der Übermittlungspflicht nach § 87 gelingt. Besteht die Übermittlungspflicht weiterhin, ist der Vorschlag hinfällig, da das zentrale Problem der Betroffenen - das Risiko behördenbekannt zu werden - damit weiter bestünde. Insbesondere die Angst vor der Weitergabe ihrer persönlichen Daten, dürfte ein weiteres ausschlaggebendes Argument gegen die Anbindung von Clearingstellen an den ÖGD sein.
Wie im Koalitionsvertrag (Seite 120) gefordert, sollte man sich stattdessen tatsächlich ein Beispiel an der Hamburger Clearingstelle nehmen und diese im Bereich von NGO´s ansiedeln, ggf. in bekannten Migrationsberatungsstellen oder anderen, von den Betroffenen häufig frequentierten, Stellen. Diese sind den Communities schon bekannt, unterliegen keiner Meldepflicht, und genießen durch ihre langjährige Tätigkeit bereits das Vertrauen von illegalisierten Menschen, da sie oftmals für diese schon seit langer Zeit Angebote vorhalten. Alternativ könnte die Professionalisierung bestehender ehrenamtlicher Strukturen in Betracht gezogen werden, sollte dies im Interesse der entsprechenden Initiativen sein.
Möglicher Missbrauch der Clearingstellen
Im Fazit des Berichts der Landesregierung wird ein möglicher Missbrauch von Clearingstellen durch sowohl Straftäter*innen, als auch durch Menschen, die sich der Durchsetzung einer bestehenden Ausreisepflicht bzw. einer Abschiebung bewusst entziehen, angesprochen. Gegen dieses Framing der Klient*innen von Clearingstellen wenden wir uns als Flüchtlingsrat dezidiert. Denn wie im Antrag des SSW (Drucksache 20/1482) formuliert, ist das Recht auf Gesundheit, und damit auch auf Gesundheitsversorgung ein Menschenrecht, das damit universell für jeden Menschen gelten sollte und muss. Weiterhin zeugt es von der Unmenschlichkeit des aktuellen Diskurses, wenn befürchtet wird, dass eine gewährleistete Gesundheitsversorgung den „Druck auf ausreisepflichtigen Menschen“ sich den Behörden zu stellen, verringert. Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein fordert, dass mit der Etablierung einer Clearingstelle in Schleswig-Holstein endlich die Streichung von Gesundheitsleistungen nicht mehr als Druckmittel genutzt wird, um Menschen abzuschieben! Hinter dem Menschenrecht auf Gesundheitsversorgung müssen Interessen an der Durchsetzung von Ausreisepflichten zurückstehen.
Fazit
Die Etablierung einer Clearingstelle durch das Land SH ist sehr zu begrüßen. Es bedarf jedoch einer sensiblen Umsetzung, klaren rechtlichen Sicherheitsgarantien, rigorosen Datenschutzregeln, und großem Verantwortungsbewusstsein für die Vulnerabilität der Betroffenen. Wird diese vernachlässigt, ist die Idee der Clearingstelle zum Scheitern verurteilt und wird weder den Zugang zu medizinischer Versorgung noch den Zugang zu legalen Aufenthaltsperspektiven schaffen.
Weiterhin sind Clearingstellen zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber auch andere Bausteine für die Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Papieren, wie die Ausgabe von Anonymen Behandlungsscheinen dürfen nicht aus den Augen verloren werden, da sie schnelle unbürokratische Hilfe und direkten Zugang zum Gesundheitssystem für Betroffene versprechen.
Der Bericht der Landesregierung verweist auf eventuelle Entwicklungen auf Bundesebene, die jedoch durch die vorgezogene Wahl zunächst hinfällig sind. Es sollte daher nicht auf bundesweites Handeln gewartet werden, sondern schnellstmöglich eine Lösung für Schleswig-Holstein gefunden werden. Die Initiative des SSW auf Bundesratsebene ist zu begrüßen, da sie Verbesserungen über Schleswig-Holstein hinaus verspricht. Die landesweite Umsetzung sollte jedoch nicht davon aufgehalten werden, denn Gesundheitsversorgung ist und bleibt ein Menschenrecht und muss damit allen Menschen zur Verfügung stehen!
Mit freundlichen Grüßen
Leonie Melk
Geschäftsführerin
[1] Drucksache 20/1482
[2] Drucksache 20/2549