Weltweit sind ca. 120 Mio Menschen auf der Flucht. Damit ist jeder 69ste Erdenbürger*in geflüchtet und insgesamt 1,5 Prozent der Weltbevölkerung befinden sich ihren Heimatländern oder international auf der Flucht. Sie fliehen u.a. vor Krieg, Gewalt, Folter, Naturkatastrophen und diktatorischen Regimen. Niemand verlässt seine Heimat und Familie grundlos. Die meisten Geflüchteten sind Binnenvertriebene oder halten sich in Nachbarstaaten auf.1
Deutschland gehört weltweit zu den wohlhabendsten und wirtschaftlich stärksten Staaten. Geflüchtete machen mit 2,6 Mio. weniger als 3% der Gesamtbevölkerung hierzulande aus. „Es ist doch ein Armutszeugnis, dass Deutschland sich damit überfordert zeigt, diese verhältnismäßig geringe Zahl adäquat aufzunehmen und zu versorgen,“ meint Sina Stach vom Berliner Flüchtlingsrat.
„Die aktuelle politische Debatte setzt sich gar nicht mehr mit den Fluchtgründen und Überlebensnöten insbesondere der Betroffenen aus dem globalen Süden auseinander. Stattdessen schielt die bürgerliche politische Klasse auf die rechten Konkurrent*innen und redet ihnen mit Behauptungen von vermeintlich irregulärer Migration und Missbrauch des Asyls sowie angeblicher Überforderung der Kommunen das Wort“, ergänzt Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.
Die öffentliche Debatte fokussiert immer wieder auf Abschreckungsinstrumente wie die Einführung der Bezahlkarte, EU-Binnengrenzkontrollen, der Kollaboration mit autokratischen Regimen, der exkontinentalen Auslagerung von Asylverfahren, u.v.m. Diese Maßnahmen sind nicht allein grund- und völkerrechtlich fragwürdig, sondern auch absehbar wirkungslos, da Menschen in Verfolgungs- und Überlebensnot sich nicht abschrecken lassen. Darüber hinaus kosten solche destruktiven Maßnahmen summa summarum dreistellige Milliardenbeträge, die - nicht zuletzt mit Blick auf arbeitsmarktliche und demographische Bedarfe - besser in Integrations- und Unterstützungsmaßnahmen investiert werden sollten.
Auch die Erfahrung der schleswig-holsteinischen Integrationsnetzwerke zeigen, dass die Potenziale und Motivationen geflüchteter Menschen auf dem Arbeitsmarkt hoch sind2. Trotz enormer bürokratischer Hürden und struktureller Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt ist die Erwerbstätigenquote geflüchteter Männer acht Jahre nach ihrer Ankunft jetzt schon höher als unter deutschen Männern.3 Es wird immer wieder vom Arbeitskräftemangel gesprochen und dieses Potenzial zugleich ignoriert. Doch anstatt die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Beschäftigungsintegration von Geflüchteten zu optimieren, verpelempern Bund und Länder die vorhandenen Ressourcen in Ankündigungsnarrativen von immer neuen „Abschiebeoffensiven“.
„Darüber hinaus wird die Öffentlichkeit gezielt in die Irre geführt, wenn die Politik ihr in populistischer Manier Unhaltbares verspricht, wie z.B. künftig 'im großen Stil abzuschieben' (BK Scholz). Auch für im Asylverfahren nicht Erfolgreiche bestehen regelmäßig erhebliche Rückkehrrisiken, die unter Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien und des Völkerrechts eine Abschiebung ausschließen“, erklärt Martin Link.
Der Internationale Tag des Flüchtlings mahnt, dass die Staaten angesichts weltweiter Kriege und Krisen und 120 Millionen Menschen auf der Flucht ihrer Verantwortung gerecht werden sollten und sich auf die Unterstützung anstatt auf die Abwehr, Abschreckung und Abschiebung geflüchteter Menschen zu konzentrieren.
gez. Martin Link, Flüchtlingsrat SH, T. 0431-55685640, public[at]frsh.de
Zahlenhintergrund:
Die Deutsche Welle hat dazu Grafiken veröffentlicht:
- Von den rund 117,3 Millionen Vertriebenen weltweit gelten 68,3 Millionen als Binnenflüchtlinge.
- Von den insgesamt 68,3 Millionen Binnenvertriebenen weltweit stammen etwa 48 Prozent aus afrikanischen Ländern und rund 21 Prozent aus dem Nahen Osten.
- Auch in anderen Regionen - etwa in Europa - werden viele Menschen aus ihrer Heimat vertrieben.
- Neun von zehn Geflüchteten kommen aus nur zehn Gebieten: Afghanistan, Syrien, Venezuela, der Ukraine, den Palästinensischen Gebieten, dem Südsudan, dem Sudan, Myanmar, der DR Kongo und Somalia.
- Der Iran, die Türkei, Kolumbien und Jordanien beherbergen die meisten Flüchtlinge, die vor allem aus Afghanistan, Syrien, Venezuela und den Palästinensischen Gebieten fliehen.
- Deutschland nimmt von allen EU-Ländern die meisten Geflüchteten auf - mehr als 2,5 Millionen waren es Ende 2023. Das sind jedoch deutlich weniger als etwa der Iran, die Türkei, Jordanien oder Kolumbien aufnehmen.
- Die Zahl der Asylentscheidungen hält mit der Zahl der Anträge nicht Schritt. Im Jahr 2023 wurden weltweit 5,6 Millionen neue Asylanträge gestellt. Aber nur 1,4 Millionen Entscheidungen wurden getroffen.
- Im Jahr 2023 kehrten etwa 1,1 Millionen Geflüchtete in ihre Herkunftsländer zurück, wo sie Länder vorfinden, in denen noch immer Krieg und Konflikte herrschen.
Die Grafiken können mit jeweils ergänzenden Informationen unter: https://p.dw.com/p/4hG3g aufgerufen werden.
Al Jazeera bringt die Zahlenentwicklung bei den weltweit Geflüchteten und Vertriebenen in interessante Relationen: https://www.aljazeera.com/news/longform/2024/6/20/the-faces-behind-the-numbers-120-million-displaced-people-worldwide
1 69% aller Geflüchteten, die es außer Landes schaffen, halten sich in den Nachbarländern auf (vgl. UNO-Flüchtlingshilfe)
2 siehe Netzwerk Alle an Bord! - Perspektive Arbeitsmarkt für Geflüchtete (www.alleanbord-sh.de)
3 Nach acht und mehr Jahren Aufenthalt haben 86% der geflüchteten Männer eine Arbeit im Vergleich zu 81% unter der männlichen Bevölkerung in Deutschland (vgl.: Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von 2024)