Mit markigen Worten hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius im Juni 2024 eine größere „Kriegstüchtigkeit“ beschworen und ein Konzept für eine "neue Wehrpflicht“ vorgestellt.
Anlässlich des Internationalen Antikriegstags am 1. September 2024 erklärt der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein seine Ablehnung der Idee einer „neuen Kriegstüchtigkeit“, der damit einhergehender Pläne zur Eskalation von Rüstungsindustrieproduktion und Waffenexporten und fordert Aufnahme und Bleiberecht für Kriegsflüchtlinge.
„Mit Blick auf die weltweit lodernden Kriege und Gewaltkonflikte lehnen wir jede Form einer Pflicht zum Militärdienst ab, denn jeder wie auch immer gerechtfertigte Krieg fordert vor allem unter Unschuldigen Opfer und führt zu massenweisen Entwurzelungen und Fluchtbewegungen,“ erklärt Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.
Aktuell werden in zahlreichen Ländern Kriege geführt, mit Zigtausenden von Toten, ungezählten oft schwer Verletzten oder unter Ruinen Begrabenen, weitreichenden Zerstörungen der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur und damit regelmäßig einhergehenden transnationalen Fluchten: Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat vor mehr als zweieinhalb Jahren begonnen und ein Ende ist unabsehbar. Seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober führt Israel einen bis dahin beispiellos opferreichen zerstörerischen Krieg, der im Gaza-Streifen fast 2 Mio. Menschen in die Binnenfluchtrotation treibt. Die Türkei setzt immer wieder insbesondere gegen Kurd*innen im eigenen und in den benachbarten Staatsgebieten die Armee und gedungene Söldner ein. Die Lage zwischen Armenien und Aserbaidschan ist weiterhin angespannt. Im Sudan eskaliert die Waffengewalt und grassiert eine Hungersnot. Im Jemen, Libyen oder in Myanmar herrschen Bürgerkriege, deren Opferzahlen und Grausamkeit international kaum mediale und öffentliche Beachtung finden.
„Diese Kriege treiben ungezählte Menschen – unter ihnen auch Kriegsdienstverweigerer und Deserteure – auf die Flucht, einen Teil auch nach Europa und Deutschland“, mahnt Martin Link. Angesichts dessen könne es nicht richtig sein, noch mehr Waffen und Militärhilfe an Konfliktparteien zu liefern und sich auch nur mittelbar an inner- oder zwischenstaatlicher Kriegsgewalt zu beteiligen. „Ziel muss es vielmehr sein, jeden möglichen diplomatischen und politischen Einfluss dahingehend auszuüben, dass diese Kriege so schnell wie möglich beendet werden“, ist Link überzeugt.
Aber danach sieht es nicht aus. In diesem Sommer legen SPD[1] und FDP[2] ihre Pläne vor, wie mit der Eskalation weltweiter Waffenexporte das Bruttoinlandsprodukt wieder ins Plus katapultiert werden soll. Im Kern geht es um die lukrative Strategie, künftig auch Länder außerhalb der Nato und Staaten, die sich in bewaffneten Konflikten befinden, mit Waffen und Rüstungsgütern beliefern zu können. Kaum überrascht, wenn der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Schularick mit Blick auf innerparteiliche Kritik zur Eile mahnt: „eine rasche Erhöhung der Militärausgaben unterbleibt aufgrund von Parteiengezänk“. Es sei aber die Zeit gekommen, um aufzurüsten.[3] Erschreckend aber ist, dass sich offenbar auch die IG Metall in einem gemeinsam mit der Rüstungslobby verfassten Positionspapier an solchen Aufrüstungsgedankenspielen beteiligt.[4]
Dazu passen die Pläne zur „neuen Wehrpflicht“. Die soll zunächst durch die Erfassung aller potentiell Kriegstüchtigen[5] angegangen werden. Ziel ist, mittels eines Fragebogens alle jungen Männer und Frauen vor ihrem 18. Geburtstag durch die Wehrbehörden systematisch zu erfassen. Eine Dienstverpflichtung sei laut Bundesverteidigungsministerium damit aktuell noch nicht verbunden.
Allerdings wird so schon einmal eine Datengrundlage geschaffen, auf der sich eine später reanimierte regelmäßige Wehrpflicht aufbauen und vollstrecken lässt. Schon jetzt macht Boris Pistorius deutlich, dass Zwangsverpflichtungen möglich sein sollen, falls die neu anvisierte Personalstärke der Bundeswehr nicht erreicht werde.
Dass dafür die Zielgruppe zu überzeugen, kein Selbstgänger wird, weiß auch das Verteidigungsministerium: „Die Einsätze verlangen den Soldat:innen viel ab. Vor allem die hohe Belastung in Stresssituationen, sowie mögliche physische und psychische Verletzungen stellen sie vor große Herausforderungen.“ Deshalb gelte es in der Gesellschaft und bei den betroffenen jungen Menschen das Verständnis „für Entbehrungen und Opfer [zu] stärken, die mit dem Militärdienst verbunden sind.“[6] Minister Pistorius schätzt Gesellschaft und künftige Soldat*innen insgesamt wohl als eine eher schlichte, leicht zu verführende Zielgruppe ein, wenn er den vom Bundestag beschlossenen künftig am 15 Juni zu zelebrierenden Veteranentag „als starkes, wichtiges und überfälliges Zeichen der Wertschätzung“ an diejenigen verkaufen will, die ggf. ihr Leben für kriegsstrategische vermeintliche Interessen Deutschlands zu opfern bereit sein sollen.
„Darüber hinaus erscheint in Zeiten akut herrschenden Fach- und Arbeitskräftemangels eine Strategie, künftig hunderttausende junge Menschen mit der Verpflichtung zum volkswirtschaftlich unproduktiven Militärdienst dem Arbeitsmarkt zu entziehen, weder wirtschafts- noch arbeitsmarktpolitisch kompetent“, erklärt Martin Link. In diese Ignoranz passten auch die aktuellen Beschlüsse der Bundesregierung[7] über Abschiebungen um jeden Preis in welche Höllen auch immer und die verfassungswidrigen Pläne Dublin-Flüchtlingen nicht einmal mehr Wasser und Brot zuzugestehen.
Nie wieder Krieg!
Keine Militarisierung von Wirtschaft und Gesellschaft!
Aufnahme und Bleiberecht für Kriegsflüchtlinge!
[1]https://table.media/wp-content/uploads/2024/06/30133359/20-289-Positionspapier-Staerkung-der-Sicherheits-und-Verteidigungsindustrie.pdf
[2]https://www.fdpbt.de/beschluss/positionspapier-fdp-fraktion-staerkung-sicherheits-und-verteidigungsindustrie-zeitenwende
[3]https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/kiel-focus/schuldenbremse-und-verteidigung-den-schuss-nicht-gehoert/
[4] Der Freitag, Nr. 35, 29.8.2024 und Gegenwind Nr. 431, August 2024
[5]https://www.grundrechtekomitee.de/details/generalmobilmachung-a-la-pistorius-eine-offensive-fuer-kriegsdienstverweigerung-ist-vonnoeten
[6]https://www.spdfraktion.de/themen/zeichen-wertschaetzung
[7]https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundesregierung-massnahmen-solingen-100.html
gez. Martin Link, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V., T. 0431-5568 5640, public[at]frsh.de