„Die künftige schwarz-rote Bundesregierung plant eine ganze Reihe drastischer Verschärfungen – viele davon basieren auf längst widerlegten Narrativen. Bereits bei der Einführung der Bezahlkarte wurde deutlich: Die politische Debatte um Flucht ist zunehmend von Misstrauen und Stigmatisierung geprägt – nicht von Fakten“, so Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat. „Die Behauptung, Geflüchtete würden gezielt deutsche Sozialsysteme ausnutzen, ist ein wissenschaftlich unhaltbarer Topos rechter Rhetorik. Dass dieser Mythos gleich zu Beginn des Migrationskapitels auftaucht, ist mehr als alarmierend.“
Unter den geplanten Änderungen ist die angedachte Ausweitung von Haftmöglichkeiten besonders fatal. Mit sogenannten „Ausreisezentren“, in denen Bewegungsfreiheit faktisch abgeschafft wird, sowie neuen Kompetenzen für die Bundespolizei zur Anordnung von Ausreisegewahrsam, droht eine massive Zunahme rechtswidriger Inhaftierungen. Grundsätzlich muss hier die Frage gestellt werden, warum eigentlich Schutzsuchende, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, im großen Stil inhaftiert werden sollen?
Auch die angekündigte Intensivierung von Grenzabschottung und Zurückweisungen wirft schwerwiegende menschenrechtliche Fragen auf. Pushbacks an deutschen Außengrenzen sind bereits jetzt gängige – jedoch rechtswidrige – Praxis. Schon die Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich, so ein aktuelles Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, sind rechtswidrig.
Was zunächst befürchtet wurde, ist nun offiziell: Die Bundesregierung will den Amtsermittlungsgrundsatz durch den Beibringungsgrundsatz ersetzen. Geflüchtete müssten dann selbst Beweise für ihre Verfolgung vorbringen. Diese Änderung ist rechtlich höchst fragwürdig und verschärft die ohnehin schwierige Lage von Asylsuchenden, besonders bei knappen Beratungsangeboten vor allem im ländlichen Raum.
„Diese Umkehr legt die Beweislast gänzlich auf die Schultern der Betroffenen. Das gefährdet nicht nur das Recht auf individuelles Asyl, sondern torpediert auch die Einheitlichkeit bei der Einschätzung der Situation vor Ort und macht die Chancen auf Schutz von finanziellen und zeitlichen Ressourcen abhängig“ erklärt Leonie Melk vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.
Die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte und das faktische Ende staatlicher Aufnahmeprogramme sind Entscheidungen mit potentiell tödlicher Tragweite. Wer einige der letzten sicheren und legalen Zugangswege versperrt, zwingt Schutzsuchende auf lebensgefährliche Routen und nimmt ihren Tod im Verfolgerstaat oder auf dem Meer willentlich in Kauf.
Deutschland will außerdem noch mehr Unrechtsregime, wie z.B. Tunesien oder Algerien, trotz der verheerenden Menschenrechtslage vor Ort, als sichere Herkunftsstaaten einstufen. Hinzu kommt, dass das bis dato notwendige Verbindungselement bei Rückführungen gestrichen werden soll, was faktisch bedeutet, dass Schutzsuchende in irgendwelche aufnahmebereiten Drittstaaten geschickt werden können.
„Die Streichung des Verbindungselements betrachten wir mit großer Sorge“, so Melk „die Folge könnte die Auslagerung von Asylverfahren sowie Schutzzusagen in Drittstaaten sein, in denen die Schutzsuchenden nie waren und nie sein wollten.“ Ähnliche Modelle zwischen Großbritannien und Ruanda oder Italien und Albanien scheiterten bisher regelmäßig an (europa-)rechtlichen Vorgaben und produzierten ohne jeglichen Erfolg Kosten in Milliardenhöhe.
In einer Zeit globaler Krisen braucht es Schutz und Solidarität. Die migrationspolitischen Forderungen der neuen Regierung sind ein Angriff auf zentrale rechtsstaatliche und humanitäre Prinzipien. Der Koalitionsvertrag erfüllt in weiten Teilen die migrationspolitischen Forderungen der AfD. Wer immer noch glaubt, rechtsextreme Positionen durch ihre Umsetzung entkräften zu können, irrt gefährlich.
Kontakt: Leonie Melk, public[@]frsh.de, 0431 556 853 64