Am Mittwoch (4. Februar) hatte der Innen- und Rechtsauschuss des schleswig-holsteinischen Landtages Innenminister Stefan Studt zur Stellungnahme geladen. Anlass war ein Brief der AG Migration & Arbeit[1] an den Minister vom 28. Januar, in dem die in der AG kooperierenden Flüchtlingsfachdienste ihre Bedenken gegen den am 6. Januar im Bundesrat zur Beratung anstehenden <link http: www.bundesrat.de shareddocs drucksachen externen link in neuem> Gesetzentwurf des Bundes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vortrugen.
Der Gesetzentwurf sei geeignet, die Strategie einer flüchtlingsfreundlichen Integrationspolitik der Kieler Landesregierung zu konterkarieren und würde zu erheblichen rechtlichen Beeinträchtigungen des Flüchtlingslebens in Schleswig-Holstein führen. Die AG Migration & Arbeit hatte Innenminister Studt aufgefordert, im Bundesrat dafür einzutreten, dass der Gesetzentwurf, wenn schon nicht verworfen, so doch grundlegend überarbeitet wird.
Gegenüber dem Innen- und Rechtsausschuss des Landtages erklärte nunmehr Minister Studt, dass dem Land die Hände gebunden seien, weil es sich um ein zustimmungsfreies Gesetzgebungsverfahren handele, bei dem der Bundesrat zwar gehört werde, aber keinen Einfluss habe. Die von der AG Migration & Arbeit kritisierten Einreise- und Aufenthaltsverbote habe Schleswig-Holstein auch im Beratungsverfahren zum Gesetzentwurf kritisiert, sich aber nicht durchsetzen können. Auch aktuelle Änderungen im zur Verabschiedung anstehenden Gesetzentwurf stünden nicht im Interesse der Landesregierung.
Abteilungsleiter im Innenministerium Norbert Scharbach ergänzte gegenüber dem Ausschuss seinen Minister und erklärte, um die zahlreichen im Gesetz vorgesehenen Haftgründe umzusetzen, seien bundesweit und auf unabsehbare Zeit gar nicht genügend EU-Rechts-konforme Haftplätze vorhanden. Ein nicht voraussetzungsloser Gewahrsam als milderes und zeitlich eng befristetes Mittel als Alternative zur Abschiebungshaft hält Scharbach indes für „überdenkenswert“. Minister und Abteilungsleiter erklärten nachdrücklich, dass die Landesregierung an dem im Koalitionsvertrag verabredeten „Ziel der Abschaffung der unverhältnismäßigen Verwaltungshaft“ festhalten würde.
Mit Blick auf die am 6. Februar stattfindende Sitzung des Bundesrats hofft die AG Migration & Arbeit, dass die von Innenminister Studt für den 6.2. angekündigte <link http: www.bundesrat.de de plenum plenum-kompakt externen link in neuem>kritische Stellungnahme der Länder (s.u.) tatsächlich deutlich ausfällt. Die Empfehlungen der Bundesratsausschüsse für Soziales und Wirtschaft vom 27.1.2015 (<link http: www.bundesrat.de shareddocs drucksachen externen link in neuem>BR-Drs. 642/1/14) warten immerhin mit der Einforderung von Erleichterungen für den Ausbildungs- und Arbeitsmarktzugang von Asylsuchenden und Flüchtlingen auf.
Der bis dato bekannte Gesetzentwurf des Bundes würde die angesichts bestehender europäischer Abwehrmaßnahmen verbleibenden Fluchtstrategien der Schutzbedürftigen regelmäßig kriminalisieren und lasse die im Gesetzentwurf enthaltene Bleiberechtsregelung – für die sich die Landesregierung Schleswig-Holstein besonders eingesetzt hatte – zur Makulatur verkommen.
gez. Martin Link, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V., <link>ml@frsh.de, T. 0431-735 000, <link http: www.frsh.de>www.frsh.de
i.V AG Migration & Arbeit
Hintergrund:
AG Migration & Arbeit zum Gesetzentwurf des Bundes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung
Die Bundesregierung hat am 3. Dezember 2014 den Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung im Kabinett beschlossen, er liegt dem Bundesrat zur Stellungnahme vor.
Aus Sicht der AG Migration & Arbeit werden mit dem Gesetzentwurf in erheblichem Maße die Interessen der Bundesländer berührt. Dies betrifft in besonderer Weise das Bundesland Schleswig-Holstein: Das Land hat bereits im November 2011 eine Initiative für eine Bleiberechtsregelung in den Bundesrat eingebracht. Die Landesregierung hat sich im Anschluss für die Bundesratsinitiative eingesetzt, die am 12.3.2013 vom Bundesrat verabschiedet wurde, und die laut Koalitionsvertrag Bund umgesetzt werden soll. Der aktuelle Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium weicht jedoch in wesentlichen Punkten von dieser Vorlage ab.
Bleiberecht für Heranwachsende
Nach dem Gesetzestext wird in § 25a AufenthG die Bleiberechtsregelung für geduldete Jugendliche verbessert. Allerdings erfolgt in Absatz 1 Satz 1 eine Befristung der Antragstellung auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vor Vollendung des 21. Lebensjahres. Im Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums war noch eine Antragstellung bis zum 27. Lebensjahr vorgesehen. Die Altersgrenze von 27 Jahren entspricht der Definition von „jungen Menschen“ i.S. v. § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII. Schon aus systematischen Gründen würde eine Orientierung auf das Kinder- und Jugendhilferecht Sinn machen. Es ist aber darüber hinaus nicht nur im Interesse der jungen Menschen, sondern auch unserer Gesellschaft, dass sie die Chance auf ein Bleiberecht erhalten. Die AG Migration & Arbeit bittet dringend darum, die ursprünglich vorgesehene Fristsetzung von 27 Jahren gegenüber der Bundesregierung einzufordern, und erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass insbesondere seitens der Arbeitgeber ein enormer Arbeitskräftebedarf gemeldet wird. Es ist nicht nachvollziehbar, die hier lebenden jungen Menschen von einem Aufenthaltsrecht auszuschließen.
Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete: Künftige Bleiberechtsfälle
Aus vielfältigen guten Gründen hat sich die Regierungskoalition für eine sogenannte rollierende Bleiberechtsregelung entschieden. Allerdings enthält der Gesetzestext nun im Einzelfall oft unüberwindbare Hürden, die geeignet sind, eine Bleiberechtsregelung für künftig Einreisende leerlaufen zu lassen. Nach §11 Absatz 6 wird Ausländerbehörden die Möglichkeit eingeräumt, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anzuordnen, wenn die Überschreitung der Ausreisefrist nicht unerheblich ist. Dies trifft auf den Großteil der Geduldeten zu. Ausländerbehörden können also künftig Geduldeten ein solches Aufenthaltsverbot erteilen. Das führt aber dazu, dass für die Dauer der Geltung des Aufenthaltsverbotes keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden darf. Die in §11 Absatz 6 vorgesehene Befristung auf zunächst ein Jahr wird in der Praxis unerheblich sein, da die Frist erst dann zu laufen beginnt, wenn der Ausländer tatsächlich ausgereist ist. Man schafft hier also ein scharfes Schwert, das restriktive Ausländerbehörden in die Lage versetzt, Kettenduldungen auf Dauer zu erteilen.
Ausweitung der Inhaftnahme von Personen, die unter die Dublin-Regelungen fallen
Die AG Migration und Arbeit ist in großer Sorge, dass die Neuformulierung der Haftgründe so gestaltet ist, dass in sehr vielen Fällen eine Inhaftierung möglich sein wird. Neben den sechs Haftgründen in §2 Absatz 14 möchten wir besonders auf den neu formulierten Haftgrund in §2 Absatz 15 hinweisen. Demnach soll die Dublin-Haft möglich sein, „wenn der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsprüfung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat….“. Dies würde dazu führen, dass eine Vielzahl der Asylsuchenden, die vermeintlich unter die Dublin-Verordnung fallen, in Haft genommen werden kann. Eine solche Praxis würde unserer Auffassung nach gegen die geltende Dublin-III-Verordnung verstoßen. Nach Art. 28 Abs. 1 Dublin III-VO dürfen Personen nicht allein deswegen in Haft genommen werden, weil sie dem durch die VO festgelegten Verfahren unterliegen.
Auch diese Regelung betrifft Schleswig-Holstein aufgrund der Transit-Migration nach Skandinavien in besonderer Weise und könnte die im Koalitionsvertrag des Landes festgelegte Absicht, die Abschiebehaftanstalt in Rendsburg zu schließen, konterkarieren.
Ebenfalls besonders kritikwürdig ist der Haftgrund gem. § 2 Abs. 14 Nr. 4. Danach kann ein Ausländer inhaftiert werden, der zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge für einen Schleuser aufgewandt hat. Wie sollen Schutzsuchende ohne professionelle FluchthelferInnen einreisen, wenn ihnen legale Möglichkeiten und Wege weitgehend verwehrt bleiben. Seit 1980 hat Deutschland systematisch die Visa-Pflicht für alle Herkunftsländer von Asylsuchenden eingeführt. Flankiert wurde dies mit der Schaffung von Sanktionsregelungen für Transportunternehmen. Flüchtlinge können in der Regel nicht auf legalem Weg nach Deutschland reisen. Ein Visum wird ihnen nicht ausgestellt. Sie deshalb auf Fluchthelfer angewiesen, um Schutz in Europa suchen zu können. Dies spiegelt aus unserer Sicht einen systemischen Widerspruch, weswegen wir dringend auf Entschärfung der entsprechenden Passage im Gesetzesentwurf drängen.
Die AG Migration und Arbeit kritisiert grundsätzlich die Inhaftierung von Asylsuchenden in Dublin-Verfahren. Haft ist eine absolut unangemessene Maßnahme gegenüber Schutzsuchenden und steht in keinem Verhältnis zu den vermeintlichen Gründen einer Inhaftnahme. Hinzu kommt, dass ein großer Teil der Asylsuchenden traumatisiert oder aus anderen Gründen besonders schutzbedürftig ist, was aktuell im deutschen Verfahren schwerlich in einem geordneten Verfahren erkannt und beurteilt werden kann.
Wiedereinreisesperren sind unverhältnismäßig
Nach dem Gesetzentwurf ist unter anderem geplant, Personen mit negativem Asylbescheid aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“ mit einer Wiedereinreisesperre zu versehen. Nachdem man bereits in Verkennung massiver menschenrechtlicher Defizite in den Staaten des Westbalkans eine diskriminierende Sonderbehandlung im Asylverfahren durch den sog. zweiten Asylkompromiss durchgesetzt hat, drohen nun weitere Diskriminierungen. Wenn Asylsuchende aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien EU-weit mit einer Einreisesperre versehen werden, flankiert dies auf fatale Weise die Politik mindestens zweier dieser Staaten, insbesondere Roma schon an der Ausreise zu hindern, sie nach einer Wiedereinreise/Abschiebung wegen ihres angeblich „illegalen“ Auslandsaufenthaltes bzw. der angeblichen Angabe falscher Tatsachen zu befragen und teilweise zu sanktionieren.
Kiel, 28.1.2015
AG Migration und Arbeit
- Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
- Netzwerk Land in Sicht! – Arbeit für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein
- Diakonisches Werk Schleswig-Holstein
- Zentrale Bildungs- und Beratungsstelle Schleswig-Holstein e.V.
- Umwelt, Technik und Soziales e.V.
- Beauftragter für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen Schleswig-Holstein
[1] Mitglieder der AG Migration & Arbeit sind der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V., der Beauftragte für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen des Landes Schleswig-Holstein, das Diakonische Werk Schleswig-Holstein, das IQ Landesnetzwerk Schleswig-Holstein, das Netzwerk Land in Sicht! – Arbeit für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein, Umwelt Technik Soziales UTS e.V. und die Zentrale Bildungs- und Beratungsstelle für MigrantInnen in Schleswig-Holstein ZBBS e. V.
Letzte Meldung vom 6.2.2015:
Bundesrat fordert Verbesserungen im Bleiberecht
Der Bundesrat möchte die Pläne der Bundesregierung zum ausländerrechtlichen Bleiberecht weiter verbessern. In seiner umfangreichen Stellungnahme vom 6. Februar 2015 fordert er, in dem Gesetzentwurf beim Ehegattennachzug das Erfordernis des vorherigen Sprachnachweises zu streichen. Zudem möchte er erreichen, dass Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse für Jugendliche auch bei zuvor abgelehnten Asylanträgen erteilt werden können, wenn anerkennenswerte Integrationsleistungen vorliegen.
Die Länder wollen Asylbewerbern und Geduldeten auch die Teilnahme an Integrationskursen ermöglichen, um so eine Verbesserung der Zugangschancen zum Arbeitsmarkt zu erreichen. Für jugendliche Geduldete, die sich in einer Berufsausbildung befinden, wollen sie ein eigenständiges Aufenthaltsrecht einführen.
Die Länder plädieren zudem dafür, das Abschiebungshaftrecht um Instrumente der Haftvermeidung - wie zum Beispiel Kautionen - zu ergänzen und die Höchstdauer der Haft von 18 auf 6 Monate zu reduzieren. Der Bundesrat vermisst Regelungen im Aufenthaltsrecht, die eine schnelle Arbeitsmarktintegration und die Sicherung des Fachkräftebedarfs der Wirtschaft gewährleisten. Er bittet daher, den Gesetzentwurf im weiteren Verfahren entsprechend zu ergänzen.
Neue Regeln zum Aufenthaltsrecht
Der Entwurf der Bundesregierung dient der Reform des Bleiberechts sowie des Ausweisungs- und Abschiebungsrechts. Nachhaltige Integrationsleistungen, die geduldete Ausländer trotz ihres fehlenden rechtmäßigen Aufenthalts erbringen, sollen durch einen gesicherten Aufenthaltsstatus honoriert werden. Auf der anderen Seite ordnet der Entwurf das Ausweisungsrecht - das bisher dreistufig geregelt ist - grundlegend neu. So ist vorgesehen, den Aufenthalt von Personen, denen unter keinem Gesichtspunkt ein Aufenthaltsrecht zusteht, schneller als bisher wieder zu beenden und die Ausreiseverpflichtung gegebenenfalls auch zwangsweise durchzusetzen.
Die Stellungnahme des Bundesrates geht nun zunächst an die Bundesregierung, die eine Gegenäußerung verfasst. Im Anschluss berät der Bundestag über den Gesetzentwurf.
Weblink: Die Bundesratsstellungnahme vom 6. Februar 2015 findet sich<link http: www.bundesrat.de de plenum plenum-kompakt externen link in neuem> hier.