Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein und alle anderen Landesflüchtlingsräte, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), die Neue Richtervereinigung (NRV), die Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht des Deutschen Anwaltverein (DAV), und PRO ASYL stehen und streiten für den Rechtsstaat als Grundlage unserer Demokratie.
Hierzu gehört die Wahrung völkerrechtlicher Grundsätze. Bundeskanzler Scholz forderte in seiner Regierungserklärung, dass bei schweren Straftaten Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien stattfinden sollen. In beiden Ländern drohen jedoch Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen, die Abschiebungen völkerrechtlich verbieten.
Wir sind erschüttert von den Taten in Mannheim und Wolmirstedt und drücken unser tiefes Beileid aus. Zugleich sind wir alarmiert über die einmal mehr zunehmende rassistische Gewalt u.a. in Grevesmühlen und Rostock und die aktuell stattfindenden Debatten.
Das absolute Folterverbot verbietet Abschiebungen und das Grundgesetz Doppelbestrafungen
Nach einer schweren Straftat muss die Justiz für Gerechtigkeit sorgen. Hierfür haben wir in Deutschland einen funktionierenden Rechtsstaat. Dieser darf nicht untergraben werden, indem völkerrechtliche Errungenschaften in Frage gestellt werden. „Und das Grundgesetz verspricht, dass niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden darf“, mahnt Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.
Aus dem Folterverbot folgt: Niemand darf abgeschoben werden, wenn nach der Abschiebung Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Dieses absolute Folterverbot ist in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 4 der EU-Grundrechtecharta normiert. Es gilt uneingeschränkt für alle Menschen – auch für Personen, die in Deutschland Straftaten begangen haben. Denn die Garantie der Menschenwürde gilt für alle Menschen, unabhängig von der Schwere der von ihnen begangenen Verbrechen. Ihre Strafen müssen sie in Deutschland verbüßen.
Etwaige "Sicherheitszusagen" für die abzuschiebenden Straftäter sind weder von Seiten der islamistischen Taliban noch von Seiten des Assad-Regimes vertrauenswürdig und zuverlässig und können damit eine menschenrechtswidrige Abschiebung nicht legitimieren.
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt im Bericht von März 2024 zu dem Fazit, dass »aufgrund der desolaten Sicherheitslage und der vielerorts prekären humanitären Lage in Syrien und Afghanistan […] Art. 3 EMRK etwaigen Abschiebungen in diese Staaten regelmäßig entgegenstehen [wird]«.
Wenn Bundeskanzler Scholz ankündigt, das Bundesinnenministerium würde mit Anrainerstaaten über eine Abschiebung dorthin verhandeln und eine Weiterschiebung von dort in die Herkunftsländer erfolgen würde, wäre auch das ein Verstoß gegen die o.g. rechtlichen Bindungen. „Das mit einer Gefährdungsprognose einhergehende Abschiebungshindernis kann nicht damit umgangen werden, dass man anderen den Vollzug qua Kettenabschiebung überlässt“, mahnt Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.
Katastrophale menschenrechtliche Lage unter den Taliban
Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 ist die menschenrechtliche und humanitäre Situation in Afghanistan katastrophal. Internationale Organisationen und die Vereinten Nationen berichten von außergerichtlichen Tötungen, willkürlichen Verhaftungen, Folter und weiteren Misshandlungen durch die Taliban. Besonders Frauen und Mädchen sind von weitreichenden Einschränkungen ihrer Rechte und von Gewalt betroffen.
Der UNHCR betont, dass die meisten Menschenrechtsverletzungen undokumentiert bleiben und die Verfolgungsgefahr unvorhersehbar ist. UNHCR fordert deswegen von allen Staaten, keine Abschiebungen nach Afghanistan durchzuführen. Hinzu kommt eine humanitäre Krise, die durch Erdbeben und Sturzfluten weiter verschärft wurde. Die Europäische Asylagenturbestätigt in ihrer Country Guidance zu Afghanistan vom Mai 2024, dass es im Land keine internen Schutzalternativen gibt.
Deutschland hat seit der Machtübernahme der Taliban keine diplomatischen Beziehungen zu Afghanistan. Eine Wiederaufnahme von Abschiebungen würde eine Kooperation mit den Taliban erfordern, die die Bundesregierung nicht als rechtmäßige Regierung anerkennt. Eine solche Kooperation wäre ein Schritt zur Normalisierung der Beziehungen, was außen- und menschenrechtspolitisch katastrophal wäre.
Syrien ist weiterhin ein Folterstaat
Unter Machthaber Assad wird in Syrien seit Jahren systematisch gefoltert, Menschen verschwinden und werden rechtswidrig inhaftiert oder getötet. Internationale Organisationen wie UNHCR, OHCHR und Amnesty International bestätigen dies.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrfach entschieden, dass Abschiebungen nach Syrien eine Verletzung von Artikel 3 der EMRK bedeuten. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass eine sichere Rückkehr nach Syrien derzeit nicht gewährleistet werden kann.
Rückkehrende werden pauschal als Verräter behandelt und sind systematischer Willkür ausgesetzt. Willkürliche Verhaftungen und Folter sind in Syrien an der Tagesordnung. Mehr als 100.000 Menschen gelten als vermisst. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bestätigte Ende Mai, dass die Bedingungen für sichere und würdige Rückkehr nach Syrien nicht gegeben sind. Abschiebungen nach Syrien würden eine Kooperation mit dem Assad-Regime erfordern, die die Sanktionspolitik untergräbt und das Regime rehabilitiert, anstatt es für seine Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen.
Der Rechtsstaat beweist sich durch angemessene Strafverfahren
Gerade in schwierigen Zeiten muss der Rechtsstaat Stärke durch Einhaltung wichtiger Grundsätze zeigen. Politischen Akteur*innen kommt hier eine wichtige Rolle zu, ihn zu verteidigen und wichtige Grundsätze zu vertreten. Dies stärkt unsere Demokratie langfristig gegen die, die sie untergraben wollen.
gez. Martin Link, Flüchtlingsrat SH, T. 0431-735 000, public<script type="text/javascript"> obscureAddMid() </script>frsh<script type="text/javascript"> obscureAddEnd() </script>de, www.frsh.de