Allein die Anklage gegen die Verantwortlichen Elias Bierdel und den Kapitän Stefan Schmidt des mit Hilfsgütern versehenen Lübecker Schiffes Cap Anamur, die 2004 im Mittelmeer 37 Flüchtlinge vor dem sicheren Ertrinken gerettet und an Bord genommen hatten, war skandalös. "Mit dem Freispruch hat die italienische Justiz die einzig mögliche Konsequenz gezogen", so Bernd Mesovic von PRO ASYL. Den politischen Charakter des Verfahrens habe der Oberstaatsanwalt von Agrigento zu Anfang des Verfahrens offen eingestanden: Man sei in rechtlicher und politischer Hinsicht dazu gezwungen, die Wiederholung solcher Aktionen zu verhindern, auch wenn sie in edler Absicht geschehe. Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, PRO ASYL und andere Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen verurteilen demgegenüber die Kriminalisierung humanitärer Hilfe und fordern die Einstellung aller Anklagen, die aufgrund von Rettungsmaßnahmen auf hoher See mit dem Vorwurf der Beihilfe zur illegalen Einreise erhoben wurden. Auch die tunesischen Fischer, die zur Zeit noch wegen der Rettung von 44 Flüchtlingen in Italien vor Gericht stehen, müssen freigesprochen werden. Bereits jetzt hat die Kriminalisierung humanitärer Hilfe unterlassene Hilfeleistung zur Folge. Fischer und andere Seeleute sehen sich genötigt, an Schiffbrüchigen vorbeizufahren und sie ihrem sicheren Tod zu überlassen, um nicht mit Strafverfahren überzogen zu werden. Die Flüchtlinge, die sich in kleinen Booten über das Mittelmeer auf den Weg in das vermeintlich sichere Europa machen oder anderweitig ihr Leben an den europäischen Außengrenzen riskieren, sind Menschen, die Kriegen, Willkür oder existenzieller Not entfliehen. Sie sind Schutzsuchende, die auch als solche behandelt werden müssen. Im Rahmen der europäischen Abschreckungspolitik werden sie wie Kriminelle behandelt und ihnen wird der Zugang zu fairen Asylverfahren verweigert. Dabei werden Tote in Kauf genommen. Das muss ein Ende haben. Mit dem Freispruch der Verantwortlichen der Cap Anamur wurde hoffentlich ein Zeichen gesetzt. Er bewahrte die Angeklagten vor mehrjähriger Haft und hohen Geldstrafen. Wer andere Menschen rettet, obwohl er damit eine Gefahr für sich selbst heraufbeschwört, wird in Schleswig-Holstein vom Ministerpräsidenten mit einer Rettungsmedaille geehrt. Der Lübecker Kapitän Stefan Schmidt hat eine solche Würdigung noch nicht erfahren.
gez. Astrid Willer
Nachtrag: Berichterstattung zum <link http: www.frsh.de pdf kn_capanamur_08.10.09.pdf>"Fall Cap Anamur" in den Kieler Nachrichten vom 8.10.2009