Seit dem 16.05.2025 gilt ein geänderter Erlass des Innenministeriums in Schleswig-Holstein, der die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei regelt. Hierin wurde die in der alten Fassung noch vorhandene Formulierung gestrichen, die die Nennung der Staatsangehörigkeit bei Tatverdächtigen auf relevante Fälle beschränkte. Innenministerin Frau Sütterlin-Waack hat die Polizeistellen nun angewiesen, bei zukünftigen Meldungen über Straftaten grundsätzlich immer die Herkunft des*der Verdächtigen zu nennen. Dies ist zwar nicht wörtlich im Erlass zu finden, so verstandene Auslegung wurde aber von Innenministerium bestätigt. Dies diene der Transparenz und solle das Vertrauen in die Polizei stärken. Bisher lautete die Erlasslage, dass die Nationalität nur in Fällen genannt werden sollte in denen sie für den Fall von inhaltlicher Bedeutung war. Das war eine sinnvolle Regelung, die darüber hinaus dem Pressekodex von Presserat und Presseverbänden entspricht.
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein kritisiert diesen Rückschritt in der geltenden Erlasslage scharf. Die Verknüpfung von mutmaßlicher Kriminalität und Migrant*innen oder migrantisierten Personen ist bereits im Alltagsdiskurs weit verbreitet, beruht jedoch nicht auf statistischen Fakten, sondern auf ggf. rassistischen Zuschreibungen und der verzerrten Erfassung von Verdächtigen. Die regelmäßige Nennung von Staatsangehörigkeit und einer Straftat Verdächtigen suggeriert einen Zusammenhang, der nicht besteht.
„Der insofern konstruierte Zusammenhang trägt zur Versicherheitlichung der Migrationsdebatte bei und ist geeignet, - im Spiegel migrationsfeindlicher Polemik - ein Klima der Angst zu befördern. Ein so suggeriertes Bedrohungsszenario wird so zur Rechtfertigung für Restriktion und Rechtsverschärfungen missbraucht.“ erklärt Leonie Melk, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein.
Insbesondere in kleineren Orten und bei seltenen Staatsangehörigkeiten oder ethnischen Zugehörigkeiten besteht außerdem die Gefahr, dass Personen anhand dieser Informationen unter Umständen identifiziert, oder, schlimmer noch, falsch identifiziert werden - was ggf. eine eklatante Verletzung des gebotenen Persönlichkeitsschutzes bedeute. Zwar sieht der Erlass Ausnahmen von der Nennung der Nationalität vor - in der Weisung, wann die Bekanntgabe persönlicher Daten aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu unterbleiben hat, ist die Nationalität aber neben der Angabe von Namen, Namenskürzeln und beruflicher Stellung (z.B. einer Stellung als „Bürgermeister“) trotz der erheblichen Bedeutung nicht ausdrücklich benannt.
Bisher wird die Herkunft von Verdächtigen oder überführten Täter*innen häufig vor allem bei ausländischer Herkunft genannt. Der Erlass löst diesen Bias durch die konsequente Nennung auch deutscher Staatsangehörigkeit jedoch erwartungsgemäß nicht. Aufgrund belegter Mechanismen wie der selektiven Wahrnehmung und dem Confirmation Bias, nehmen Menschen Informationen, die ihren Standpunkt bestätigen, stärker wahr als solche, die ihrem Standpunkt widersprechen.
Mit Blick auf Tatverdächtige gilt außerdem besondere Vorsicht. Diese Personen sind regelmäßig weder überführt, noch rechtskräftig verurteilt. Zudem werden rassifizierte Menschen und solche mit vermeintlicher Migrationsgeschichte aufgrund rassistischer Stereotypen und durch Racial Profiling häufiger verdächtigt. Das kann zu deutlichen Verzerrungen sowohl in der medialen Berichterstattung als auch in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik führen, insbesondere dann, wenn Ergebnisse nicht differenziert dargestellt und eingeordnet werden.
Der Flüchtlingsrat SH bedauert, dass der Erlass vom 16.5.2025 herausgegeben wurde, ohne vorher Fachverbänden und einschlägig tätigen Organisationen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wie es in Schleswig-Holstein bis dato zahlreich guter Brauch gewesen ist. Mehr noch, offenbar wurden nicht einmal die anderen Fraktionen – auch nicht die grüne Koalitionspartnerin – vor Inkrafttreten des Erlasses informiert. In polarisierten Zeiten wie aktuell und bei so weitreichenden Entscheidungen ist dieses unumkehrbare Fakten hinter verschlossener Tür zu schaffen ein fatales Zeichen für demokratische Prozesse. Bereits Ende vergangenen Jahres kündigten die CDU-geführten Länder an, eine bundesweite Regelung anzustreben. Da auf der letzten Innenminister*innenkonferenz (IMK) keine Einigung erfolgte, soll das Thema auf der in dieser Woche anstehenden IMK in Bremen als TOP 42 plaziert werden.
Deutet diese sowohl Fachdienste wie Koaltionspartner ausschließende rechtspolitische schleswig-holsteinische Praxis auf eine künftig regelmäßige öffentlichkeitsorientierte Stoßrichtung des Innenministeriums hin?
Der Flüchtlingsrat SH kritisiert die Instrumentalisierung von Herkunft und Staatsangehörigkeit durch Medien und ggf. durch staatliche Stellen, wie in dem Zzur Rede stehenden Erlass. In einer Gesellschaft, die geprägt ist von Vorurteilen und Stereotypen gegenüber Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte, wird ein suggerierter Zusammenhang ggf. rassistische Annahmen und Vorurteile verstärken und dazu beitragen, die gesellschaftliche Spaltung zu vertiefen.
Kontakt: Leonie Melk, 0431 556 853 64, public[@]frsh.de